Rund 1750 Raketenabschüsse auf Israel /
Fast 90 Tote in Gaza
Jerusalem/Gaza (dpa/mc) - Nach der Eskalation im Gaza-Konflikt zeichnet sich vorerst kaum Beruhigung ab. Militante Palästinenser im Gazastreifen setzten auch drei Tage nach Beginn der Raketenangriffe den Beschuss Israels fort. Im Großraum Tel Aviv, dem am dichtesten besiedelten Gebiet Israels, heulten die zweite Nacht in Folge Warnsirenen. Das israelische Militär setzte gestern seine massiven Angriffe auf das Küstengebiet fort. Einem Armeesprecher zufolge wurden in Israel bislang sieben Menschen durch Beschuss getötet. Im Gazastreifen starben nach Angaben des Gesundheitsministeriums 87 Menschen seit der Eskalation der Gewalt.
Nach Angaben der Armee wurden seit Montagabend rund 1750 Raketen auf Israel abgefeuert. Rund 300 davon seien noch in dem Küstengebiet niedergegangen. Nach Ansicht des Militärs könnte dies Opfer zur Folge haben. Die Erfolgsquote des Abfangsystems Eisenkuppel ("Iron Dome") betrage weiterhin im Schnitt rund 90 Prozent. Zur Größe des Raketenarsenals der militanten Palästinenser äußerte er sich nicht. Sie hätten einen sehr großen Bestand gehabt. Noch immer verfügten sie über eine beträchtliche Menge. Nach Angaben von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wurden bislang schon fast 1000 Ziele der militanten Palästinenser beschossen.
Verteidigungsminister Benny Gantz genehmigte angesichts der Eskalation die Mobilisierung von weiteren 9000 Reservisten. Am Dienstag hatte die israelische Armee bereits 5000 Reservisten mobilisiert.
In der Nacht auf Donnerstag und am frühen Morgen verstärkten israelische Kampfflugzeuge ihre Angriffe auf Einrichtungen der Hamas und der militanten Gruppe Islamischer Dschihad. Nach Armee-Angaben wurde erneut ein mehrgeschossiges Gebäude beschossen. Im Vergleich zu früheren israelischen Einsätzen waren die Zerstörungen der vergangenen Tage im Gazastreifen sehr groß.
Wie die israelische Armee gestern Abend mitteilte, seien auch aus dem Libanon drei Raketen auf Israel abgefeuert worden. Sie seien aber vor der Küste im Norden des Landes ins Mittelmeer gefallen. Es war zunächst unklar, welche Gruppierung für den Angriff verantwortlich ist.
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist zuletzt wieder aufgeflammt. Er spitzte sich im muslimischen Fastenmonat Ramadan und nach der Absage der Parlamentswahl in den Palästinensergebieten immer weiter zu. Als Auslöser gelten etwa Polizei-Absperrungen in der Jerusalemer Altstadt, die viele junge Palästinenser als Demütigung empfanden. Hinzu kamen drohende Zwangsräumungen von Familien und daraus resultierende Auseinandersetzungen von Palästinensern und israelischen Siedlern im Jerusalemer Viertel Scheich Dscharrah sowie heftige Zusammenstöße auf dem Tempelberg (Al-Haram al-Scharif). Die Anlage mit Felsendom und Al-Aksa-Moschee ist die drittheiligste Stätte im Islam. Sie ist aber auch Juden heilig, weil dort früher zwei jüdische Tempel standen. Der Konflikt greift zunehmend auch auf Orte im israelischen Kernland über - mit Gewalttaten von Arabern gegen Juden und umgekehrt.
Der Status Jerusalems ist seit langem eine der zentralen Streitfragen im Nahost-Konflikt. Israel beansprucht Jerusalem als "ewige und unteilbare Hauptstadt" für sich. Die Palästinenser halten am Anspruch auf Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines unabhängigen Staates fest.
Der deutsche Außenminister Heiko Maas sagte: "Zumindest die jüngste Eskalation hat Hamas mutwillig herbeigeführt, indem sie über tausend Raketen auf israelische Städte geschossen hat." Deutschland setze sich für ein sofortiges Ende der Gewalt ein.
In der Bundesrepublik kam es zu mehreren antisemitischen und anti-israelischen Demonstrationen. In Gelsenkirchen stoppte die Polizei am Mittwochabend einen Demonstrationszug, der sich in Richtung Synagoge bewegte. Auch in Hannover musste die Polizei bei einer Anti-Israel-Demonstration einschreiten.
Diplomatische Dissonanzen
Buenos Aires (AT/mc) - Zwischen Argentinien und Israel ist es zu diplomatischen Verstimmungen gekommen. Grund sind Äußerungen des argentinischen Außenministeriums. Dieses hatte am Dienstag in einer Pressemitteilung seine tiefe Besorgnis angesichts des neuen Gewaltausbruchs im Nahen Osten geäußert und sich dabei unter anderem auf den „unverhältnismäßigen Einsatz“ der israelischen Sicherheitskräfte gegen protestierende Palästinenser bezogen. Zwar nannte das Amt in diesem Zusammenhang auch den Raketenbeschuss, der „als Antwort“ vom Gaza-Streifen aus auf Israel abgefeuert wird. Doch für Verstimmung sorgte vor allem die Kritik am israelischen Verhalten.
„Diese Erklärung betrachten wir mit Sorge, denn sie spiegelt nicht die guten Beziehungen wider, die zwischen unseren beiden Ländern bestehen“, formulierte Galit Ronen, die israelische Botschafterin in Argentinien, ihre Missbilligung. Man werde angegriffen, Menschen schlafen in Notunterkünften, beschreibt die Diplomatin die Situation ihrer Landsleute. Präsident Alberto Fernández versuchte, die Wogen etwas zu glätten. Die Position seiner Regierung basiere auf dem Standpunkt der Vereinten Nationen.
Hohe Dunkelziffer
Washington (dpa) - Die Corona-Pandemie könnte mehr als doppelt so viele Todesfälle ausgelöst haben wie bisher angenommen. Schätzungen von Forschern der Universität Washington im gleichnamigen US-Bundesstaat hätten ergeben, dass weltweit 6,9 Millionen Menschen durch eine Infektion mit dem Coronavirus gestorben sein dürften, erklärte der Direktor des verantwortlichen Uni-Instituts IHME, Christopher Murray, vor wenigen Tagen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab die Zahl der weltweiten Coronatoten am selben Tag mit rund 3,2 Millionen an.
In fast jedem Land der Welt gebe es signifikante Lücken bei der Erfassung der Todesfälle, es gebe aber deutliche Unterschiede zwischen den Ländern, erklärt das Institut. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass in Deutschland rund 120.700 Menschen infolge einer Infektion mit dem Erreger Sars-CoV-2 starben. Die WHO nennt über 84.000. Global betrachtet stehe Deutschland mit Blick auf die Erfassung nicht schlecht da, sagt Murray. Als Grund für die, auch in reichen Ländern wie Deutschland, deutlich abweichenden Zahlen vermutet das Institut die mangelnde Erfassung älterer Menschen, vor allem in der Langzeitpflege.
Im Fall von Russland unterscheiden sich die offiziellen Angaben (WHO: rund 112.000) besonders stark von der Schätzung des Instituts (rund 593.600 Tote). In den USA schätzen die Forscher die Zahl der Toten auf rund 905.300 (WHO: rund 573.000). Im Fall von Indien gehen die Wissenschaftler davon aus, dass die Zahl der Toten mit rund 654.400 fast dreimal so hoch ist wie erfasst (WHO: rund 230.000).
Die Forscher leiteten ihre Schätzungen aus der Übersterblichkeit ab: Die ergibt sich, wenn man die erwarteten Todesfälle durch alle Ursachen in einem bestimmten Zeitraum vor der Pandemie mit den tatsächlichen Todesfällen in der Pandemie vergleicht.
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