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Der Fall Nawalny als Beziehungskiller

Von Claudia Thaler und Andreas Hoenig

Alexej Nawalny
Alexej Nawalny. (Foto: dpa)

Lange war es undenkbar, doch bei der Ostseepipeline Nord Stream 2 ist auf den letzten Kilometern eine Kehrtwende der Bundesregierung nicht mehr auszuschließen. Denn wegen des Giftanschlags auf den Kremlkritiker Alexej Nawalny, der nach Wochen im Koma wieder ansprechbar ist, könnte die Bundesregierung dem russisch-deutschen Milliardenprojekt ihre politische Unterstützung entziehen. Berlin baut immer mehr eine Drohkulisse Richtung Moskau auf. Aber würde ein Baustopp dem Gaslieferanten aus dem Osten wirklich wehtun?

Selten hat man Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem außenpolitischen Thema so entschlossen erlebt wie im Fall Nawalny. Berlin geht davon aus, dass der Putin-Gegner vergiftet wurde, und zwar mit einem Stoff aus der Nowitschok-Gruppe. Das weist die russische Führung bislang als unbewiesen zurück. Als Reaktion halte Merkel es für falsch, etwas auszuschließen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Bezug auf Nord Stream 2. Zugleich machte er aber klar: Für eine international abgestimmte Antwort sei es noch zu früh.

Mit dem eigentlichen Fall hätten die Forderungen aus Berlin kaum noch etwas zu tun, sagte der russische Deutschland-Experte Wladislaw Below. "Nawalny wird hier zum Spielzeug der Politik. Er wird genutzt, um Nord Stream 2 zu stoppen", sagte der Leiter des Deutschland-Instituts von der staatlichen Akademie der Wissenschaften in Moskau.

Bisher hat die Bundesregierung Nord Stream 2 gegen alle Kritik verteidigt und unterstützt. Die Position war: Nord Stream 2 ist ein Projekt der Wirtschaft, hat aber politische Implikationen. Und: Gas ist wichtig als "Brückentechnologie" zur Versorgungssicherheit. Bis Ende 2022 steigt Deutschland aus der Atomkraft und bis spätestens 2038 aus der Kohleverstromung aus. Die ersten Blöcke gehen in den kommenden Jahren vom Netz. Der Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sonne aber stockt derzeit. Die Gasförderung in der EU ist rückläufig.

Deshalb ist Europa auf Gas aus dem Ausland angewiesen und bezieht dies auch schon über mehrere Pipelines vom Riesenreich Russland: zum Beispiel über Nord Stream 1. Außerdem ist die Ukraine eines der wichtigsten Transitländer. Für Nord Stream 2 fehlen rund 150 Kilometer, die letzten Rohre sollen bis zum Jahresende verlegt werden - wenn alles nach Plan läuft.

Zusätzlich sollen mit Nord Stream 2 künftig 55 Milliarden Kubikmeter Gas in die EU fließen. Jedoch deutete Außenminister Heiko Maas am Wochenende einen Kursschwenk an: "Ich hoffe nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nord Stream 2 zu ändern."

Für Kremlchef Putin ist die Pipeline sehr wichtig, fast ein Prestigeprojekt. Die russische Wirtschaft lebt zu einem guten Teil von den Einkommen aus Gas und Öl. Für Moskau ist das Projekt deshalb ein weiteres lukratives Geschäft. Denn auch Russland ist abhängig von den Energiegeschäften mit Europa. So rechnete der russische Gasmonopolist Gazprom als Hauptaktionär damit, die zehn Milliarden Euro für den Bau der Ostseepipeline innerhalb von einigen Jahren wieder einzuspielen.

Sollte es zu Sanktionen kommen, würde das die traditionell guten Beziehungen zwischen beiden Ländern zwar sehr treffen, sagte der Moskauer Ökonom Wladislaw Inosemzew der Deutschen Presse-Agentur. Die wirtschaftliche Kooperation würde ein Baustopp aber nicht nachhaltig erschüttern. "Es wäre zwar schade ums Geld, Gazprom wird deswegen aber nicht pleite gehen", sagte der Wirtschaftsexperte. Russland könnte etwa mehr Gas durch die Ukraine nach Europa schicken, wovon Kiew profitieren könnte. Darüber hinaus sucht Russland die Nähe zu anderen Ländern. So wurde im vergangenen Winter die Pipeline zwischen Russland und China mit dem Namen Sila Sibirii (Kraft Sibiriens) gelegt.

Ein Stopp der Pipeline Richtung Westen ist aber alles andere als einfach. Nord Stream 2 hat Genehmigungen zum Bau und Betrieb der Pipeline, die EU hatte eine Änderung der Gasrichtlinie beschlossen. Auch für deutsche Firmen steht viel Geld auf dem Spiel. Nach Angaben der Gaswirtschaft müssten im Falle eines Baustopps Investitionen in Höhe von acht Milliarden Euro abgeschrieben werden. Rund 120 Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern seien direkt im Bau und Betrieb der Pipeline involviert. Dazu kommt: Forderungen nach einem Baustopp sind in der deutschen Politik alles andere als unumstritten.

Die EU-Sanktionen wegen der Ukraine-Krise 2014 hatten die russische Wirtschaft zwar geschwächt, aber nicht in die Knie gezwungen. Auch am Vorgehen der Russen im Nawalny-Fall ist durch Sanktionen kaum eine Änderung zu erwarten. Die Beziehungen zu Berlin seien angeschlagen, aber eine gemeinsame Untersuchung könne das noch retten, sagt Deutschland-Experte Below.

Die russische Regierung griff Deutschland scharf an. Außenminister Sergej Lawrow hielt Berlin vor, die Ermittlungen zu verschleppen. Bei ihrer Kritik an Moskau habe die deutsche Seite einen "absolut inakzeptablen Ton, um ihre Position in der Weltöffentlichkeit zu verbreiten", sagte Lawrow russischen Agenturen zufolge. Es gebe viele Fragen an die deutschen Kollegen.

Dass das mit der Analyse der Proben beauftragte Bundeswehrlabor den kompletten Nachweisweg - ihr teils geheimes Handwerkszeug - vollständig mit der russischen Seite teilen könnte, gilt Experten zufolge aber als ausgeschlossen. (dpa)

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