Von Juan E. Alemann
Argentinien hat dieses Jahr ein effektives Pro-Kopf-Einkommen, also in inflationsberichtigten Werten, das ca. 20% unter dem von 2011 liegt. Das ergeben die offiziellen Zahlen über Bruttoinlandsprodukt und die Schätzungen über die Bevölkerungsentwicklung. Die Abnahme dürfte in Wirklichkeit geringer sein, weil die technologische Revolution zu Änderungen geführt hat, die bei der BIP-Berechnung nicht oder nur zum Teil berücksichtigt worden sind. Es ist höchste Zeit, dass eine neue Berechnung der Struktur des Bruttoinlandsproduktes durchgeführt wird, da sich seit der von 1994, die der gegenwärtigen Berechnung zu Grunde liegt, die Struktur der Wirtschaft stark verändert hat. Der Computer, das Internet und vieles andere haben seither unser Leben verändert und sich auch auf die Wirtschaft ausgewirkt. Auf alle Fälle haben wir in vielen Aspekten eine qualitative Besserung erlebt. Doch auch wenn die Abnahme 15% oder nur 10% beträgt, ist dies sehr viel, bedenkt man, dass unter normalen Umständen in einem Jahrzehnt eine Zunahme des Pro-Kopf-Einkommens von mindestens 10% stattgefunden haben sollte.
Tatsache ist, dass wir auf alle Fälle im letzten Jahrzehnt viel ärmer geworden sind. Doch das bedeutet nicht, dass alle gleichmäßig Einkommen verloren haben. Viele liegen etwa beim Durchschnittsverlust, aber andere haben viel mehr verloren, oder sogar, wenn sie arbeitslos geworden sind und keine Subvention erhalten, ihr gesamtes Einkommen eingebüßt. Ebenfalls gibt es dabei auch Gewinner, wie u.a. die Betreiber vom Internethandel. Es ist jedoch nicht so, wie es linke Ideologen und ihre Mitläufer darstellen, dass die Armen noch ärmer und die Reichen noch reicher geworden sind. Es sind viele Neureiche entstanden, viele Reiche ärmer geworden, und auch Arme zu Teil wirtschaftlich aufgestiegen oder noch mehr verarmt. Für die meisten extrem Armen hat sich wohl wenig verändert.
Dieser allgemeine Einkommensverlust kommt auch in einem Reallohnverlust zum Ausdruck, der allgemein eingetreten ist, auch bei Staatsangestellten. In Einzelfällen, wie Lastwagenfahrer und Arbeiter der Speiseölindustrie, konnte der Verlust durch Lohnerhöhungen zum größten Teil ausgeglichen werden. Doch da die Zulagen meistens in monatlichen Raten erfolgen, ergibt sich eine durchschnittliche Zunahme einer Jahresperiode gegenüber der vorangehenden, die niedriger ist als es sich aus dem Vergleich der Zahl ergibt, die am Ende eines Arbeitsabkommens erzielt wird, mit der entsprechenden Vorjahreszahl. Der Reallohnverlust hat sich überall eingeschleust. Im öffentlichen Bereich ist dies ein Mittel, um die Staatsfinanzen auszugleichen. Denn schließlich kommt es auch hier auf die realen und nicht die nominellen Veränderungen an.
Die Tatsache, dass ein allgemeiner Einkommensverlust stattgefunden hat, der auch Löhne umfasst, führt dazu, dass die Lohndiskussion nicht mehr auf der Grundlage der Erhaltung des Reallohnes geführt werden kann, wie es die Gewerkschaften beanspruchen. Die Lohnerhöhungen müssen sich an die effektiven Möglichkeiten der Unternehmen halten und nicht mit weiteren Preiserhöhungen gezahlt werden. Löhne müssen an erster Stelle mit Produktivität in Beziehung gesetzt werden. Denn bei einer eben nicht möglichen unmittelbaren Aufholung des Reallohnes wirken die Erhöhungen preistreibend, also inflationär. Ebenfalls solle bei der Diskussion über die Erneuerung der Gesamtarbeitsverträge die Möglichkeit erwogen werden, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, auch wenn dabei zunächst niedrigere Löhne gezahlt werden.
Der Einkommensverlust betrifft auch Rentner, also Pensionäre (auf spanisch “jubilados”), Hinterbliebenenrentner (“pensionados”), Gnadenrentner (“pensiones graciables”), und auch Empfänger von sozialen Subventionen, die die ANSES bezahlt. Die Reform, die unter der Macri-Regierung vollzogen wurde, sah eine Berichtigung gemäß Index der Konsumentenpreise und der Löhne vor, die auf der Grundlage des Indices erfolgte, der sechs Monate vorher bestand. Im Endeffekt führte das System dazu, dass die Renten real fast erhalten wurden. Aber kurzfristig ergab sich bei zunehmender Inflation ein realer Verlust, der dann bei abnehmender Inflation aufgeholt wurde.
Das System wurde von der Regierung von Alberto Fernández Antang 2020 außer Kraft gesetzt und zunächst durch eine willkürliche Erhöhung ersetzt, bei der die Bezieher der Mindestpension und niedriger Pensionen zunächst eine reale Zunahme erhielten, die Bezieher höherer Pensionen hingegen einen realen Verlust erlitten. Doch der Aufgangspunkt war für die Rentner ungünstig, weil die Inflationsrate in den Vormonaten gestiegen war, und die Renten zurückgeblieben waren. Bei Beibehaltung des Systems wäre das im ersten Halbjahr 2020 aufgeholt worden. Im Laufe des Jahres 2020 erlitten schliesslich alle Rentner einen realen Verlust.
Jetzt wurde das System geändert. Obwohl die gute Absicht geäußert wurde, die Renten real zu erhöhen, wird eine neue reale Abnahme eintreten. Die Berichtigung erfolgt je zur Hälfte auf der Grundlage der Lohnentwicklung und des Betrages, den die ANSES auf Grund der Beiträge von Unternehmern und Arbeitnehmern, sowie der Beteiligung an Bundessteuern einnimmt. Wenn nun der Reallohn hinter der Inflation zurückbleibt, wie es unvermeidlich geschehen wird, und somit auch entsprechend weniger Sozialbeiträge gezahlt werden, dann bleiben auch die Renten hinter der Inflation zurück.
Beim Pensionierungssystem muss Folgendes berücksichtigt werden.
1. Die Alterung der Bevölkerung, die dazu führt, dass die Zahl der Rentner im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, und auch im Verhältnis zur den Beschäftigten ständig zunimmt. Die Menschen leben jetzt in Argentinien durchschnittlich gut 15 Jahre länger als in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts,
2. Dem Pensionierungssystem ist vor einem Jahrzehnt auch eine allgemeine Altersversicherung eingegliedert worden. Das geschah durch die Moratorien von Cristina Kirchner als Präsidentin, die Personen, die das Pensionierungsalter erreicht hatten, aber nicht die 30 geforderten Beitragsjahre, eine Pension gewährte, wobei sie den geschuldeten Betrag in monatlichen Raten, ohne Wertberichtigung abzahlen konnten. Das hat Macri dann vervollständigt, indem alle 70-Jährigen das Recht auf eine Pension gewährt hat, die 80% der Mindestpension beträgt. Das Ergebnis ist, dass von den Personen, die das Pensionierungsalter überschritten haben, jetzt über 95% eine Pension oder eine Hinterbliebenenrente (oder beides) erhalten, während es vorher knapp über 60% waren. Die Wirkung dieser Reform dürfte sich inzwischen leicht abgeschwächt haben, weil die Rentner, die dank der Moratorien in das System eingetreten sind, zum großen Teile sehr alt waren, so dass hier die Sterblichkeitsrate hoch ist.
3. Die Zunahme der Schwarzwirtschaft und der Schwarzarbeit, die mit der Krise eingetreten ist, führt dazu, dass die Sozialbeiträge wenig steigen. Hinzu kommt, dass die hohen Sozialbeiträge dazu führen, dass immer mehr Tätigkeiten auf Selbstständige, und besonders auf Einheitssteuerzahler verlagert werden, die viel weniger zahlen, als diejenigen, die im Abhängigkeitsverhältnis arbeiten. Im Endeffekt bedeutet das, dass das Rentensystem relativ weniger Einnahmen erhält.
Wir haben an dieser Stelle immer schon die Auffassung vertreten, dass das ganze Renten- und Subventionssystem, das die ANSeS verwaltet, dem normalen Ausgabensystem der Staatsverwaltung einverleibt werden sollte. Die verschiedenen Staatskassen müssen so weit wie möglich vereinheitlicht werden. Das Prinzip, dass die Beiträge der arbeitenden Bevölkerung die Renten decken sollen, ist seit Jahrzehnten überholt, nachdem immer höhere Zuschüsse aus Bundessteuern notwendig waren, um die Renten zahlen zu können. Jetzt decken Anteil an Steuern über die Hälfte des notwendigen Betrages. Unser Vorschlag würde auch erlauben, die hohen Sozialbeiträge, die störend wirken und Schwarzarbeit schaffen, auf ein vernünftigeres Ausmaß zu senken und die Renten somit stärker mit normalen Steuereinnahmen zu finanzieren.
Eine reale Erhöhung der Renten, wie sie ständig beansprucht wird, kommt nicht in Frage. Die Rentner werden einmal vom allgemeinen Einkommensverlust betroffen, und dann von den Umständen, die wir hier aufgeführt haben. Die Rentner kommen dabei zum Teil durch den Bezug von zwei Renten eines Ehepaares, durch ein weiteres Einkommen, durch Besitz einer Wohnung und durch ein Arbeitseinkommen aus. Seit 1994 wird den Rentnern gestattet, normal weiter im Abhängigkeitsverhältnis zu arbeiten. Für die Rentner, die nur auf ihre Pension angewiesen sind, gibt es gegenwärtig keine Lösung.
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