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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Den Letzten beißen die Hunde

Von Juan E. Alemann

Die hohe Inflation der letzten Monate hatte zu zunehmendem Interesse für die Staatstitel geführt, die mit dem CER-Index (der dem Index der Konsumentenpreise entspricht) berichtigt werden, und dazu noch verzinst werden. Über 60% der Staatsschuld bestand bis zur letzten Woche in diesen indexierten Titeln, von denen ein Betrag von ca. $ 600 Mio. Ende Juni verfällt.

Diese Titel sind finanziell jetzt auch noch interessanter geworden, weil der Dollar auch von einer Inflation ausgehöhlt wird, die allerdings mit 8,6% jährlich nichts mit der argentinischen gemein hat. Aber bei einer mittelfristigen Anlage dürfte dann der Sparer mit den lokalen indexierten Staatstiteln ein besseres Geschäft machen als mit der Haltung von Dollarguthaben. Umgekehrt gesehen ist es so, dass für den Staat die Dollarverschuldung günstiger als die Verschuldung in Pesos mit CER Indexierung ist. Guzmán ist somit schlecht beraten, wenn er sich bemüht, die Dollarverschuldung abzubauen und stattdessen indexierte Pesotitel auszugeben.

Doch plötzlich ist in der Finanzwelt, und auch bei Sparern im Allgemeinen, die Furcht aufgekommen, dass die Regierung schließlich die Bedingungen dieser indexierten Staatstitel nicht einhalten wird. In Argentinien hat der Staat, vor allem ab 2001, aber auch schon vorher, unzählige Verträge einfach nicht eingehalten. Die Zwangsumwandlung von lokalen Dollardepositen in Dollar auf Pesos, zu einem Kurs von $ 1,40 pro Dollar, als der Wechselkurs schon höher lag, die im Jahr 2002 verfügt wurde, ist noch in frischer Erinnerung. Auch die Verträge mit Privatunternehmen, die Staatsunternehmen im Rahmen von Konzessionsverträgen übernommen hatten, wurden ab 2001nicht eingehalten. Dass Verträge vom argentinischen Staat nicht eingehalten werden, ist fast normal. Also: warum sollte es bei den mit CER indexierten Staatstiteln anders sein? Das Mindeste, was befürchtet wird, ist eine Streckung der Laufzeit der Titel, was schon 2018 (unter der Macri-Regierung) vollzogen wurde, und “Neuprofilierung” (“repeerfilamiento”) benannt wurde. Aber es könnte auch die Indexierung abgeschafft oder eingeschränkt werden. 2007 wurde der Fall von Handelssekretär Guillermo Moreno mit einer Fälschung des Preisindices des INDEC gelöst. Etwas ähnliches könnte den Genies dieser Regierung auch einfallen. Es ist auch die Rede von einem Bonex-Plan, wie der von 1990, bei denen die Sparer langfristige und niedrig verzinste Titel in Dollar erhielten.

Ende der Vorwoche kam es dann zu einer Verkaufswelle der mit CER indexierten Titel, die auf den Kurs drückte. Die ZB setzte dem schließlich durch Käufe der Titel in Höhe von $ 150 Mrd. am Donnerstag und Freitag ein Ende. Und diese Woche wurden die Käufe fortgesetzt, allein am Montag mit etwa $ 50 Mrd., wobei dies auch auf den Kurs dieser Titel gewirkt hat, so dass diese jetzt eine Rentabilität von ca. 10% ergeben, die zur Indexierung hinzukommt. Diese hohe Rendite sollte Sparer anziehen, doch stattdessen schürt sie das Misstrauen. Wenn die ZB Titel kauft, muss sie noch mehr zur Geldschöpfung greifen, die ohnehin schon zu hoch ist und laut IWF-Abkommen stark eingeschränkt werden muss.

Gleichzeitig setzte ein Ansturm auf den Dollar ein. Der Schwarzkurs sprang in die Höhe, und der Kurs, der sich durch Kauf und Verkauf von Staatstiteln in Dollar ergibt (contado con liquidación) sprang noch viel stärker in die Höhe. Die plötzliche Hausse bei diesem Kurs, der legal ist, deutet auf Käufe von Unternehmen hin, die ihre Liquidität nicht mehr in Pesos halten wollen.

In dieser Woche setzte auch eine starke Baisse an der Börse von New York ein, die sich auch auf die argentinischen Staatstitel und Aktien ausgewirkt hat, die dort kotieren. Das überträgt sich auf die lokale Börse und verstärkt die negative Stimmung.

Diese Lage zwingt das Wirtschaftsministerium, nur noch kurzfristige Titel anzubieten, um den Verfall der bestehenden zu decken. Doch schließlich führt diese Lage zu einer stark erhöhten Geldschöpfung, so dass die mit dem Fonds vereinbarte Grenze überschritten wird. Und schließlich kann dabei auch der offizielle Wechselkurs nicht mehr kontrolliert werden, und es kommt zu einem Abwertungssprung, der umso größer sein wird, je mehr die Entscheidung hinausgeschoben wird. Die Panikstimmung, die eingetreten ist, beruht auf folgenden sehr konkreten Faktoren:

- Die Handelsbilanz weist im ersten Halbjahr 2022 einen viel niedrigeren Überschuss als im Vorjahr aus, obwohl die Exporte in Dollarwerten viel höher waren. Im zweiten Halbjahr sinken die Exporte, so dass bestenfalls ein bescheidener Überschuss erwartet wird, der nicht entfernt ausreicht, um die verpflichteten Schuldenzahlungen zu decken. Es wird befürchtet, dass die ZB die Lage nicht beherrschen kann, so dass nichts übrig bleibt, als ein hoher Abwertungssprung, der die Inflation in die Höhe treibt und eine starke Rezession herbeiführt, die alles noch viel schwieriger macht.

- Die Staatsfinanzen sehen auch nicht gut aus. Gemäß einer Veröffentlichung des Budgetbüros des Kongresses (bei dem Fachleute mit langjähriger Erfahrung in der Budgetabteilung des Schatzamtes tätig sind) stieg das primäre Defizit in den ersten fünf Monaten 2022 real (also bei Abzug der Inflation) gegenüber der gleichen Vorjahresperiode um 19%. Die Ausgaben stiegen real um 13,1% auf $ 5,5 Bio. während die laufenden Einnahmen real nur um 1,9% auf $ 4,2 Bio. zugenommen haben. Die Staatsausgaben sind aus den Fugen geraten: Subventionen für öffentliche Dienste und Staatsunternehmen stiegen real um 29,8%, wobei allein Energiesubventionen real interannuell um 49,5% zugenommen haben. Das wurde durch geringe Erhöhung bei den Personalausgaben (+13,4%) und Pensionen und Hinterbliebenenrenten (+7,7%) nur zum Teil ausgeglichen. Es gibt keine echten Bemühungen, die sich auf Abschaffung überflüssiger und überhöhter Ausgaben beziehen, und bei den sozialen Subventionen ist der Staat besonders nachgiebig. Die mit dem IWF vereinbarten Ziele werden auf keinen Fall auch nur annähernd erfüllt, und der Fonds muss somit noch viel nachgiebiger sein als bisher, um einen Default zu vermeiden. Doch inzwischen hat Ilan Goldfaijn im Fonds die Verantwortung für Argentinien übernommen, der für seine harte Haltung bekannt ist.

- Die Zentralbank weist ein unlösbares Problem auf. Die Schulden der ZB bestehen einmal aus den Banknoten, die sie ausgegeben hat, plus der Depositen der Banken bei der ZB. Der Bestand an Geldscheinen macht jetzt 3,8 Bio. aus. Diese Schulden werden von den Gläubigern, also den Inhabern der Geldscheine, nicht gefordert. Außerdem hat die ZB eine Schuld von ca. $ 5 Bio., die in Leliq u.a. Titeln besteht, die hochverzinst und bei Verfall erneuert werden, wobei auch zusätzliche Titel ausgegeben werden, um die Zinsen auf die schon bestehenden zu zahlen, sofern diese nicht direkt mit Geldschöpfung beglichen werden. Dies führt in nicht sehr langer Zeit zu einem unhaltbaren Zustand, weil die Banken und auch institutionelle und private Investoren nicht bereit sind, diese Titel weiter zu kaufen. Wenn die Inflation stark zunimmt, wird nicht einmal die Erneuerung der bestehenden Titel möglich sein. Wenn die Leliq u.a. Titel ausgezahlt werden, steigt die monetäre Basis mit einem Schlag auf mehr als das doppelte, was Hyperinflation bedeutet. Gibt es sonst eine Lösung? Eine besteht auch hier in einem Bonex-Plan, also Zwangsumwandlung der Leliq in langfristigen Dollarbonds, die niedrig verzinst werden. Eine andere haben die Ökonomen Diego Giacomini (Partner von Javier Milei) und Mariano Fernández am Sonntag in der Zeitung “La Nación” vorgeschlagen. Sie besteht darin, dass der Staat diese Schuld mit Staatsbesitz von Immobilien u.a. Gütern zahlt, die er zunächst als Garantie stellt und dann veräußert. Das erscheint theoretisch in Ordnung, ist aber eine Phantasie.

Wenn man sich all dies vor Augen hält, und dabei noch berücksichtigt, dass die Regierung nicht die geringste Ahnung hat, wie sie die genannten Probleme lösen soll, und die Verantwortlichen für Regierungsentscheidungen sich untereinander streiten, wobei die harten Kirchneristen für einen Default gegenüber dem Fonds und auch gegenüber allen anderen Gläubigern, einschließlich der Inhaber von Leliq und Staatstiteln mit CER-Berichtigung, eintreten, dann ist es begreiflich, dass Sparer aller Art und auch Geschäftsleute u.a. aus Argentinien aussteigen wollen, und bereit sind, dabei einen Verlust zu ertragen, und dabei so schnell wie möglich handeln. Denn, je länger man wartet, um so höher ist der Verlust.


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