Von Juan E. Alemann
Seit 1983 besteht in Argentinien eine Demokratie. Ab 1930 war das demokratische System periodisch durch Regierungsübernahmen der Militärs unterbrochen worden, wobei die Militärregierungen von der Gesellschaft als etwas Normales hingenommen wurden und in vieler Hinsicht bessere Arbeit geleistet haben als die demokratischen Regierungen. Die verschiedenen Militärputschs kamen nicht aus heiterem Himmel, sondern sie hatten einen Grund. Wie weit persönliche Ambitionen von Militärs eine Rolle spielten sei dahingestellt. Auf alle Fälle trugen die Politiker auch eine Verantwortung, da sie sich oft passiv verhielten, in Krisensituationen keine Lösung boten, und die Opposition oft einen Putsch unterstützte, in Erwartung, nach der Militärperiode an die Macht zu gelangen.
Seit 1983 wird ein Putsch ausgeschlossen, und das ist ein großer Fortschritt. Aber die Politiker sind sich nicht bewusst, dass sie alle, sowohl die der Regierungspartei wie der Opposition, für die Regierungstätigkeit verantwortlich sind. Denn wenn sich die Krise, wohl die schlimmste der argentinische Geschichte, verschärft, dann kann man undemokratische Lösungen nicht ausschließen. Denn die meisten Menschen interessiert eine Überwindung der Krise viel mehr als die formellen Aspekte der Demokratie.
Der Begriff der Demokratie geht über die Formalitäten hinaus, auf denen sie aufgebaut ist: periodische Wahlen, ohne Wahlbetrug, Achtung der Verfassung und damit besonders der Gewaltentrennung und der Unabhängigkeit der Justiz. Doch darüber hinaus erwartet die Gesellschaft von der Demokratie auch konkrete Ergebnisse auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet - und besonders bei der persönlichen Sicherheit.
Die Demokratie wird gegenwärtig von der Regierung selber, und auch von der Regierungspartei, gefährdet. Der Angriff auf die Justiz, der von Cristina Kirchner ausgeht, und die Reforminitiativen, die nur den Zweck verfolgen, dass es bei den Korruptionsprozessen , die gegen Cristina laufen, keine Verurteilung gibt, ist im Wesen ein direkter Angriff auf die Demokratie. In diesem Fall ist sich die Opposition der Bedeutung des Falles bewusst und hat daher eine aktive Rolle übernommen. Es ist ein glücklicher Umstand, dass die Opposition bei den Wahlen vom Oktober 2019 41% der Stimmen erhielt und jetzt eine bedeutende Vertretung in der Deputiertenkammer hat. Mit den Stimmen von Deputierten der Regierungskoalition, die jedoch zu Lavagna, Schiaretti u.a. stehen, kann eine Mehrheit zustande kommen, die die Regierung, und vor allem Cristina, bremst. Ohne dies würde die Demokratie durch gehorsame Deputierte und Senatoren, die Befehlen von oben gehorchen, verfälscht, und schließlich auch gefährdet.
Eine große Gefahr für die Demokratie stellt der Populismus dar. Darunter versteht man eine Haltung der Regierung, die nur darauf gerichtet ist, Wahlen zu gewinnen, aber nicht an die echten Probleme herangeht. Der Populismus verspricht besonders den Armen unmittelbar mehr Wohlstand, beeinträchtigt dabei jedoch die langfristigen Aussichten, um dies zu erreichen. Cristina baut ihre politische Macht auf den Stimmen der armen Bevölkerung auf, besonders der, die in der Umgebung der Bundeshauptstadt in Elends- oder Armenvierteln unter menschenunwürdigen Bedingungen leben. Die Demokratie hat hier ein ungelöstes Problem: denn die Stimmen dieser Leute haben das gleiche Gewicht wie alle anderen. Es ist gewiss zu viel verlangt, dass sie verstehen, dass ihre Lage nicht sofort gelöst werden kann, und sie ihre Misere noch längere Zeit werden ertragen müssen, bis es effektiv besser wird. Doch die Politiker, die den Populismus verabscheuen, kommen nicht umhin, eine Lösung für diese Quadratur des Kreises zu finden.
Comentarios