Von Juan E. Alemann
Solange der argentinische Staat keine Möglichkeit hat, Staatstitel auf dem internationalen Finanzmarkt unterzubringen, ist ein Default eine ständige Gefahr. Ohne dies müsste ein sehr hoher Überschuss bei der Leistungsbilanz erzielt werden, und die Kredite der Weltbank, der Interamerikanischen Entwicklungsbank, chinesischer u.a. Banken müssten die Amortisation der schon gewährten Kredite bei weitem übersteigen. In der Praxis kann man davon ausgehen, dass eine Entwicklung in diesem Sinn das Problem des Fehlbetrages bei der Zahlungsbilanz verringert, aber nicht abschafft. Die Regierung braucht eine Neuverschuldung, um die Amortisationen bestehender Schulden zum großen Teil auszugleichen. So funktioniert die Staatsverschuldung auf der ganzen Welt. Einem Staat mit Defaultgefahr werden jedoch keine neuen Kredite erteilt. Im Gegenteil: Die Gläubiger wollen aus den bestehenden Anlagen in argentinischen Staatspapieren und auch Aktien aussteigen, und verkaufen sie zu Schleuderpreisen.
Die Macri-Regierung will das Problem durch Streckung der Zahlungsfristen bei Staatstiteln lösen. Das bedeutet zunächst, dass es auf die nächste Regierung verschoben wird, aber nicht, das es gelöst ist. In diesem Sinn hat die Regierung ein Gesetzesprojekt im Kongress eingebracht, das sich auf Streckung bei Titeln bezieht, die unter argentinischer Gerichtshoheit stehen. Doch die Opposition, die erwartet, ab 10. Dezember Regierungspartei zu sein, ist wenig geneigt, dem Projekt zuzustimmen. Das haben wir aus guter Quelle erfahren. In diesem Fall besteht die Gefahr, dass Präsident Macri vor dem 10. Dezember in Zahlungsunfähigkeit gerät und einen offenen Default erklären muss. Das würde ihm eine schlechte Note ausstellen, aber in gewisser Beziehung Alberto Fernández die Arbeit erleichtern, wie es bei Néstor Kirchner 2003 war, der einen bestehenden Defaultzustand übernahm, und sich dabei Zeit nahm, um den Gläubigern einen Vorschlag zu unterbreiten. Inzwischen zahlte er weder Amortisationen noch Zinsen auf die Staatsschuld, was eine große Erleichterung darstellte und die Erholung der Wirtschaft, die schon eingesetzt hatte, beschleunigte. Das erlaubte ihm sogar, eine Schuld gegenüber dem Internationalen Währungsfonds vorzeitig zu tilgen, was einen rein politischen Sinn hatte und eine Dummheit war.
Die Zentralbank kann über u$s 11 Mrd. ihrer Reserven frei verfügen. Das schließt auch die U$s 7,2 Mrd. ein, die der IWF beigetragen hat, die im Extremfall verkauft werden können. Gleichzeitig muss die ZB bis Ende Dezember nur $ 7 Mrd. an private Gläubiger und internationale Finanzanstalten zahlen. Die Rechnung sollte somit aufgehen, wobei noch der hohe Überschuss der Handelsbilanz im letzten Quartal 2019 hinzukommt. Doch dies setzt voraus, dass es nur eine beschränkte Kapitalflucht gibt. In diesem Sinn wirkt das jüngste Verbot für größere Überweisungen (über u$s 10.000 pro Monat pro Person oder Unternehmen), die jetzt auf einem legalen Parallelmarkt vollzogen werden, bei dem Staatspapiere in Dollar in Buenos Aires gekauft und in New York verkauft werden, was im lokalen Finanzjargon als “contado von liqui” benannt wird. Dabei ist der Wechselkurs viel höher, weil es denjenigen, die Kapital ins Ausland schaffen wollen, schwer fällt, die Gegenpartei zu finden, nämlich jemand, der argentinische Staatstiteln in Dollar kauft. Diese Geschäfte stellen keine Belastung für die Zahlungsbilanz dar.
Der verkappte Default, der bei einseitiger Streckung der Zahlungsfristen besteht, ist im Wesen auch ein Default. Doch da dabei die Zinsen, so wie sie sind, weiter bezahlt werden und es keinen Kapitalschnitt gibt, dürften die Gläubiger dies hinnehmen, auch wenn sie formell protestieren. Wenn sich die Lage dann wieder normalisiert, gerät alles in Vergessenheit, weil es schließlich keinen Schaden gegeben hat. Aber wenn diese Lösung im Kongress verhindert wird, kann es zu einem echten Default kommen, und dabei kommt es, unter der nächsten Regierung, womöglich außer einer Streckung der Zahlung auf eine viel längere Frist, zu einem Zins- und Kapitalschnitt.
Die nächste Regierung muss dabei davon ausgehen, dass sie auf alle Fälle die Verschuldung auf dem internationalen Finanzmarkt zunächst nicht erhöhen kann. Eine zusätzliche Verschuldung ist dann nur durch Kredite der internationalen Finanzanstalten und ausländischer Banken möglich, die jedoch in der Regel zweckbestimmt sind, also für die Finanzierung von Staatsinvestitionen oder privaten Importen von Kapitalgütern bestimmt sind. Das Defizit der Staatskasse muss dann auf andere Weise gedeckt werden. Und das bringt die Gefahr mit sich, dass es schließlich mit Geldschöpfung gezahlt wird.
Die Regierung müsste sich dann viel intensiver um die Ausmerzung des Defizites bei den Staatsfinanzen kümmern, als es bisher geschehen ist. Und das ist gewiss nicht einfach. Angeblich hat Alberto Fernández (oder seine Wirtschaftler) eine drastische Verringerung der Zinslast im Auge, an erster Stelle durch Aufgabe der Leliq. Die Banken, die diese Titel halten, würden dann Staatstitel in Dollar zu niedrigen Zinsen oder etwas ähnliches erhalten. Hierzu sei bemerkt, dass eine peronistische Regierung viel weniger Skrupel haben dürfte, Verträge zu brechen und Banken u.a. unter Druck zu setzen als eine liberale oder marktwirtschaftlich eingestellte, die sich in die Welt eingliedern will und dabei die weltweit gültigen Spielregeln übernimmt, wie die von Macri. Die Peronisten gehen traditionell von einem Konzept einer mehr geschlossenen Wirtschaft aus. In diesem Sinn würde eine Regierung von Alberto Fernández den Akzent auf Schutz und Förderung der Industrie setzen, und dabei die Landwirtschaft benachteiligen. Letzteres befürchten viele Landwirte schon, weshalb sie vorsichtshalber weniger Weizen und Mais gesät haben. Man kann davon ausgehen, dass es wieder Exportzölle auf alle Arten von Getreide und Ölsaaten sowie Rindfleisch geben wird.
Die Beziehungen mit dem IWF sind jetzt schon schwierig geworden, nachdem die Regierung die Auflagen des Abkommens nicht eingehalten hat. In der Vorwoche wurde auch die Einfrierung der monetären Basis aufgegeben, die letzte Bedingung, die noch erfüllt wurde. Beiläufig sei bemerkt, dass dies von Anfang an keinen Sinn hatte. Wenn die Inflation nur mit einer sehr restriktiven Geldpolitik bekämpft wird, wie es unter der Macri-Regierung der Fall war, dann tritt eine Rezession ein, wie sie effektiv besteht.
Das bestehende Abkommen mit dem IWF wird voraussichtlich in eine neue Kategorie gekleidet, benannt “extended facilities”, bei der die Schuld langfristig abgebaut wird. Es steht auf alle Fälle, unabhängig davon ob der nächste Präsident Alberto Fernández oder Mauricio Macri ist, eine schwierige Verhandlung bevor. Doch der Fond ist an solche Dinge gewohnt, und weiß, dass er schließlich dazu da ist, um den Ländern zu helfen, ihre finanziellen Schwierigkeiten zu überwinden.
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