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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Das war 2020

Medienphänomen Christian Drosten

Als zu Beginn der Corona-Pandemie die mediale Nachfrage nach Virologen sprunghaft anstieg, wurde der Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, zum Medienphänomen. Stets präsent in Talkshows und von der BILD-Zeitung zum „Star-Virologen“ ausgerufen, wurde Drosten - neben einigen seiner Kollegen - zum Corona-Erklärer der Bundesrepublik. Gleichzeitig wurde er mit seinen Forschungsergebnissen zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen und kam so in eine Rolle, die dem Selbstverständnis der meisten Wissenschaftler widerspricht: In den endlosen Debatten um Form und Umfang verschiedener Lockdown-Maßnahmen ging es - auch im Schatten des Wettbewerbs um den CDU-Vorsitz und eine mögliche Kanzlerkandidatur - schon bald nicht mehr nur um reine wissenschaftliche Erkenntnis. Drosten jedoch widersetzte sich der politischen und medialen Vereinnahmung und nutzte den NDR-Podcast „Coronavirus-Update“, um seine Standpunkte zu vertreten. Der millionenfach gehörte Podcast wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet.


„Dammbruch“: Regierungskrise in Thüringen

Mit dem Einzug der AfD in die Parlamente stand für die „etablierten Parteien“ fest: Mehrheiten und Koalitionen werden unabhängig von der AfD organisiert. Am 5. Februar wurde dieser Konsens von CDU und FDP gebrochen: Nach der Landtagswahl vom Oktober 2019 hatte Bodo Ramelows rot-rot-grüne Koalition ihre absolute Mehrheit verloren; Ramelow scheiterte in den ersten beiden Wahlgängen zum Ministerpräsidenten. Im dritten Wahlgang vollzog die AfD dann einen politischen Taschenspielertrick: Die Fraktion ließ ihren eigenen Kandidaten fallen und stimmte, genau wie CDU und FDP, für Thomas Kemmerich, den die FDP als „bürgerliche Alternative“ im dritten Wahlgang aufgestellt hatte. Kemmerich gewann die Wahl mit einer Stimme Vorsprung vor Ramelow, nahm sie an und löste damit deutschlandweit Entsetzen aus: Von einem „Dammbruch“ war die Rede; zu vorhersehbar sei das Vorgehen der AfD gewesen. Die Wahl führte in Thüringen in eine Regierungskrise und zum Rücktritt der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer. Im Gedächtnis bleibt, wie die Fraktionsvorsitzende der Linken Thomas Kemmerich den eigentlich für Ramelow bestimmten Blumenstrauß vor die Füße warf.


Anschlag in Hanau

Der 19. Februar wird im hessischen Hanau in trauriger Erinnerung bleiben: Gegen 22 Uhr stürmte ein bewaffneter Attentäter einen Kiosk und zwei Shisha-Bars und erschoss aus rassistischer Motivation insgesamt neun Menschen aus Einwandererfamilien. Sechs weitere wurden teilweise schwer verletzt. Anschließend tötete der Täter sich selbst und seine Mutter. Bereits im Vorfeld der Tat hatte der Täter im Internet eine Art Manifest voller rassistischer, antisemitischer, frauenfeindlicher und verschwörungstheoretischer Inhalte veröffentlicht. Der Anschlag löste deutschlandweit Bestürzung aus und entfachte neue Debatten über Rassismus und Muslimfeindlichkeit. Die öffentliche Aufarbeitung der Tat verlief jedoch anders als bei vorherigen Anschlägen: Anstatt sich auf die Biographie des Täters zu fokussieren, richtete sich der Blick auf die Opfer des Anschlags und ihre Geschichten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gedachte ihrer: Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Said Nesar Hashemi, Vili-Viorel Păun, Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Fatih Saraçoğlu, Kaloyan Velkov.


„Black Lives Matter“

Am Abend des 25. Mai ging ein Video um die Welt. In über acht Minuten zeigt es die Festnahme und Ermordung des Afroamerikaners George Floyd durch US-Polizisten in der Stadt Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota. Floyd hatte zuvor Zigaretten gekauft und wurde verdächtigt, mit einem falschen 20-Dollar-Schein gezahlt zu haben. Die eintreffenden Polizisten bedrohten ihn zunächst mit gezogener Waffe und fixierten ihn schließlich auf dem Boden. Anschließend kniete ein Polizist minutenlang auf seinem Hals. Obwohl Floyd fast 30 Mal „I can‘t breathe“ (dt.: etwa: Ich bekomme keine Luft mehr) rief, ließen die Polizisten nicht von ihm ab - selbst als Floyd bereits bewusstlos war und Passanten einschritten. Der Mord an George Floyd löste nicht nur in den USA eine Protestwelle aus. Unter dem Motto „Black Lives Matter“ kamen die Themen Rassismus und Polizeigewalt weltweit zurück auf die Tagesordnung. Im Zuge der Debatte versammelten sich auch in Deutschland Tausende zu groß angelegten Protestmärschen.


„Hoher Flug, tiefer Fall“

In den Zahlungsdienstleister Wirecard zu investieren galt lange Zeit als Geheimtipp. Verlockend schienen die rasant steigenden Aktienkurse des deutschen Vorzeigeunternehmens, das weltweit elektronischen Zahlungsverkehr abwickelte. Auf Auslandsreisen warb Kanzlerin Merkel höchstpersönlich für die Firma. Im Juni endete der Höhenflug jedoch abrupt. Schon länger hatten Experten vermutet, dass etwas mit der Wirecard-Bilanz nicht stimmen könne. Als das Unternehmen dann am 18. Juni zugab, dass ca. zwei Milliarden in der Bilanz ausgewiesene Euro schlicht nicht existierten, begann ein filmreifer Wirtschaftskrimi: Die Aktie stürzte ins Bodenlose, es wurden Haftbefehle erlassen, der operative Geschäftsführer setzte sich ins Ausland ab und ist bis heute unauffindbar. Nach der Auslistung aus dem DAX dürften sich die politischen Konsequenzen der Affäre noch bis weit ins nächste Jahr fortsetzen. Für viele Kleinanleger scheint das investierte Geld jedoch unwiederbringlich verloren.


„Querdenken“

Was zu Beginn der Corona-Pandemie mit wenigen Teilnehmern begann, entwickelte sich schnell zu einer landesweiten Bewegung: Unter dem Titel „Querdenken“ fanden sich im vergangenen Jahr all jene zusammen, denen das Thema „Corona“ Unbehagen bereitete. Die Zusammensetzung der „Querdenker“ war von Anfang an divers: Neben Impfgegnern, radikalen Veganern und Friedensaktivisten demonstrierten Kleinbürger, Reichsbürger und ausgewiesene Neonazis. Ähnlich vielfältig waren auch die Argumentationslinien: Von einfachen Maskenverweigerern bis zu „QAnon“-Gläubigen ließ sich jede noch so schräge Theorie beobachten - ein Blick ins Internet offenbarte die tatsächlichen Ausmaße. Mit dem Weltfrieden war es dann aber nicht so weit her bei den Querdenkern: In Erinnerung bleibt der dilettantisch ausgeführte, aber in seiner Motivation gefährliche „Sturm“ auf den Reichstag Ende August. Dass Deutschland sich in den Fängen finsterer Mächte befindet hatte schon „Pegida“ in Dresden immer wieder verkündet - mit „Querdenken“ verbreitet sich dieses Denken im ganzen Land.


Die Explosion in Beirut

Als am 4. August die Sonne über der libanesischen Hauptstadt Beirut aufging, ahnte noch niemand, was am Abend passieren sollte. Als dann um 18.08 Uhr in einem Lagerraum im Hafen 2750 Tonnen falsch gelagertes Ammoniumnitrat explodierten, stand die Zeit in Beirut für einen Moment still. Rasend schnell verbreiteten sich Videos, die zeigten, wie nach einem lauten Knall eine orangene Wolke pilzartig in den Himmel stieg. Die anschließende Druckwelle ließ auch weit vom Unglücksort entfernt Scheiben und Fenster bersten, der Knall der Explosion war noch in 300 Kilometern Entfernung zu hören. Mindestens 190 Menschen starben durch die Explosion, weit über 6000 wurden verletzt. Die Augen der Welt richteten sich in den folgenden Tagen nach Beirut, wo sich die bereits zuvor brodelnde politische, soziale und wirtschaftliche Krise infolge der Explosion verschärfte. Wenige Tage später, am 10. August, trat die Regierung zurück.


Proteste in Belarus

Unter Beobachtern war der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko auch als der „letzte Diktator Europas“ bekannt. Nach 26 Jahren im Amt und fünf Amtszeiten wollte sich der autoritäre Regierungschef am 9. August für eine sechste Amtszeit bestätigen lassen. Getrieben von der allgemeinen Unzufriedenheit mit der Situation im Land kam es bereits im Vorfeld der Wahl zu Protesten. Nach der offensichtlich manipulierten Wahl fanden dann die größten Proteste seit der Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepublik statt. Oppositionskandidaten waren zuvor festgenommen worden, Journalisten wurden drangsaliert und die Wahlbeobachter der OSZE waren erst gar nicht angereist. Lukaschenko reagierte mit der vollen Gewalt seines Sicherheitsapparates: Tausende wurden festgenommen, aus Gefängnissen mehrten sich Berichte über Folter. Bei Demonstrationen gab es sechs Tote. Die Proteste rissen jedoch nicht ab, obwohl einige Oppositionsführer unter dem Druck des Regimes ins Ausland flüchten mussten. Trotz internem und internationalem Druck hält sich Lukaschenko - auch mit Unterstützung aus Moskau - bisher weiterhin im Amt.


Die Schande Europas

Ursprünglich war das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos für 2800 Menschen geplant. Dennoch lebten zeitweise über 20.000 Geflüchtete unter katastrophalen hygienischen Bedingungen und teils ohne ausreichende Grundversorgung im Lager. Was innerhalb der EU undenkbar wäre, wurde an ihren Rändern geduldet, wenn nicht gar befördert. Die Situation in Moria verschärfte sich, als Anfang September die ersten Fälle von Covid-19 im Lager bestätigt wurden und die Behörden daraufhin eine Ausgangssperre verhängten. Das Virus erzeugte Panik; am Abend des 8. September brach dann ein Großbrand aus, der beinahe das ganze Lager zerstörte. Obwohl über 10.000 Menschen alles verloren hatten, wurde nicht evakuiert. In der Folge des Brandes entstand in der EU ein Streit, wer die nun obdachlosen Geflüchteten aufnehmen solle. Das Ergebnis war enttäuschend: Während viele der Geflüchteten in einem noch prekäreren „Übergangslager“ landeten, konnten sich die EU-Staaten nur zur Aufnahme eines Bruchteils der ehemaligen Bewohner überwinden.


Biden gewinnt US-Wahl

Nach knapp vier Jahren Chaos, systematischer Fehlinformation und Twitter-Tiraden ist das Ende von Donald Trumps Präsidentschaft besiegelt: Am 7. November, erst einige Tage nach der Wahl am 4. November stand fest: Der Demokrat Joe Biden hat die US-Präsidentschaftswahl gewonnen. Obwohl von vielen erwartet (und denkbar knapp), ließ das Wahlergebnis die Welt aufatmen. Zu groß waren die Befürchtungen vor einer weiteren Präsidentschaft Trumps, der mit seinen teils bizarren Auftritten, seiner Unberechenbarkeit und seiner „America-first“-Ideologie das internationale Gleichgewicht ins Wanken gebracht hatte. Auf den Wahlgewinner Joe Biden kommen nur große Herausforderungen zu: Nicht nur hat die Corona-Pandemie die USA in eine schwere Krise gestürzt, auch die gesellschaftlichen Verwerfungen nach vier Jahren Trump und die angeschlagenen internationalen Beziehungen müssen wieder ausgeglichen werden. Ob Trump das Wahlergebnis bis zu Bidens Vereidigung im Januar akzeptiert, bleibt weiter offen.


Brexit: Der letzte Akt

Das im Juni 2016 begonnene Drama um den Brexit scheint mit dem Jahr 2020 zumindest formal zu Ende zu gehen: Nach jahrelangen Verhandlungen erfolgte am 31. Januar 2020 der Austritt Großbritanniens aus der EU, allerdings ohne ein Abkommen über die künftigen Beziehungen. Dieses wurde dann - nach fast einem weiteren Jahr zermürbender Verhandlungen - an Heiligabend verkündet, nur wenige Tage vor Ablauf der Frist. Die Aushandlung des Handelsabkommens war, wie der gesamte Brexit, ein Spiel ohne Gewinner: Zwar wurde der „harte Brexit“ ein weiteres Mal in letzter Minute abgewendet; die verhandelten Ergebnisse stehen jedoch in keinem Verhältnis zu den wirtschaftlichen und politischen Folgen. Der Vertrauensverlust zwischen beiden Seiten ist enorm. Zuletzt waren es Verhandlungen über wirtschaftlich kaum bedeutsame Fischereiquoten, die die Verhandlungen in die Länge zogen. Mit der Corona-Pandemie fällt der Brexit in eine denkbar ungünstige Zeit: Gerade jetzt käme europäische Solidarität für das stark betroffene Großbritannien günstig - die Briten haben jedoch anders entschieden. (AT)


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