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Das unverantwortliche Pokerspiel von Guzmán

Von Juan E. Alemann

Guzman
Wirtschaftsminister Martín Guzmán.

Die lange Rede, die Wirtschaftsminister Martín Guzmán am Mittwoch der Vorwoche vor dem Präsidenten und vielen (nicht allen) Gouverneuren der Regierungspartei hielt, ist in der Wirtschaftswelt sehr schlecht angekommen. Argentinische Staatstitel und Aktien, die in New York gehandelt wurden, verloren an Wert (gleich nach der Rede, und noch mehr in den folgenden Tagen), die Landesrisikorate stieg auf über 1.830 Basispunkte, und die Unternehmer bereiten sich allgemein auf schlimme Zeiten vor - viel schlimmere als jetzt.

Der Minister erklärte klipp und klar, dass er keine “Anpassung” (den sogenannten verpönten “ajuste”) vornehmen werde, wies beiläufig darauf hin, dass die Staatsausgaben zum Wachstum der Wirtschaft beitrügen, und gab zu verstehen, dass die schrittweise Verringerung des primären Defizites mit höheren Steuereinnahmen und einer unzureichenden Erhöhung der Tarife von Strom und Gas (sowie anderer öffentlicher Dienste) erreicht werden soll.

Das Defizitproblem bezog er dabei auch auf die verlogene Darstellung, die auch die Opposition nicht beanstandet. Einmal spricht er nur von primären Defizit, also ohne Zinsen, wie wenn diese nicht bezahlt werden müssten. Dann wird die Abhebung des reinen Buchgewinnes der ZB als echte Einnahme gebucht, obwohl die ZB dies mit Geldschöpfung zahlt. Und schließlich wird das enorme Defizit der ZB unter den Teppich gefegt, wie wenn die ZB nicht zum Staat gehören würde. Der Minister spricht jetzt von 3%, aber in Wirklichkeit sind es an die 10%. Ein kleiner Unterschied. Der Fonds weiß genau, wie es um das Defizit bestellt ist, und weiß auch, dass man das Problem nicht durch konzeptuelle Tricks bei der staatlichen Buchhaltung löst. Denn das ändert nichts an der Realität.

Das Defizit wird schließlich mit Geldschöpfung oder zusätzlicher Verschuldung gedeckt. Eine zusätzliche Verschuldung auf dem Finanzmarkt ist kaum noch möglich, schon gar nicht auf dem internationalen, und kaum auf dem lokalen, und dabei nur auf Kosten einer noch stärkeren Restriktion des Bankenkredites an Privatunternehmen. Es besteht nur die Möglichkeit der Aufnahme von Krediten für Staatsinvestitionen von internationalen Finanzanstalten und Förderungsbanken, die jedoch an die Bedingung geknüpft sind, dass vorher ein seriöses Abkommen mit dem IWF abgeschlossen wird. Der Staat hat 2021 das Defizit schon zu über 70% mit Geldschöpfung gedeckt, und hat gewiss keine Möglichkeit, dies ungestraft 2022 zu wiederholen. Die Geldmenge ist an eine Grenze gelangt, wo eine weitere Erhöhung direkt zur Hyperinflation führt. Das wäre ein totaler Zusammenbruch. Der Kernpunkt der Diskussion mit dem IWF besteht darin, dass der Fonds das primäre Defizit kurzfristig abschaffen will, Guzmán dies um einige Jahre hinausschieben will.

Guzmán spielt Poker. Er geht davon aus, dass der Internationale Währungsfonds und besonders die Staaten, die in der Führung entscheidend sind, an erster Stelle die Vereinigten Staaten, einen Default Argentiniens vermeiden wollen. Auch denkt er, dass die Fachbeamten des Fonds es bestimmt nicht auf einen Default ankommen lassen, der den IWF vor ein enormes Problem stellt.

Allein, Guzmán irrt sich gewaltig. Yanet Yellen, die in der US-Regierung für Finanzen zuständig ist und auch direkten Einfluss auf den IWF ausübt, steht für ein seriöses Abkommen ein, mit einer bedeutenden Verringerung des primären Defizites und Maßnahmen, die zu einer realen Ausgabensenkung führen. Tatsachen und nicht leere Versprechen. In der Fondsleitung neigen angeblich auch andere Staaten, wie Japan, Deutschland und Frankreich dazu, sich der US-Haltung anzuschließen. Dass der Fonds jetzt den Brasilianer Ilan Goldfajn, ehemaliger ZB-Präsident seines Landes, beauftragt hat, die Verhandlungen in Argentinien persönlich zu führen, ist ein weiteres Zeichen der Härte. Denn Goldfajn ist für seine orthodoxe Haltung bekannt und genießt innerhalb des Fonds großen Respekt. Er hatte schon eine Unterredung mit Guzmán. Sein Vorgänger Alejandro Werner wurde versetzt (also bestraft), weil er dem Abkommen von 2018 zugestimmt hatte, und dabei mehr guten Willen als Beachtung der Regeln gezeigt hatte.

All das bedeutet, dass der Fonds es lieber auf einen Default ankommen lässt, als auf ein Abkommen, von dem man von vorneherein weiß, dass es keine Lösung darstellt, sondern nur Schlimmeres verheißt. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Argentinien ist in der Weltwirtschaft unbedeutend, so dass die großen Staaten und auch die anderen ohne Argentinien auskommen können. Sie können warten, auch jahrelang. Aber Argentinien kann nicht lange warten. Auch die Meinung, die in der Regierung aufgekommen ist, dass der Fondskredit an Argentinien im Verhältnis zu den Gesamtkrediten der IWF so groß ist, dass dieser es nicht vertragen kann, dass Argentinien nicht zahlt, geht an der Tatsache vorbei, dass die großen Fondsmitglieder den Betrag ohne Schwierigkeiten decken können, falls es notwendig wäre.

Jetzt ist auch die Alternative aufgekommen, eine Art provisorisches Abkommen abzuschließen, um den Default zu vermeiden. Dabei würden die unmittelbar bevorstehenden hohen Zahlungen an den Fonds hinausgeschoben, so dass formell kein Default eintritt. Aber in der Praxis hätte dies eine Wirkung, die nicht viel anders als ein Default wäre. Denn dabei würden einmal die internationalen Finanzanstalten keine Kredite gewähren und noch weniger auszahlen, und im privaten Bereich würde die bestehende Pause verlängert werden. Kredite für Kapitalgüterlieferungen, die mit der Garantie gegen politische Risiken rechnen, die von einem staatlichen Institut ausgestellt werden, würde es auch nicht geben. Die zahlreichen Investitionsprojekte, die mit langfristigen Krediten begleitet sind, würden nicht in Gang gesetzt.

Mit einem provisorischen Abkommen würden die Verhandlungen weitergehen, aber unter schlechteren Bedingungen für Argentinien. Wenn die Wirtschaftswelt dann nicht empfindet, dass Argentinien doch bereit ist, die Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, dann wird damit gerechnet, dass es schließlich doch zum Default kommt, und dann wird entsprechend gehandelt..

Innerhalb der Regierung sind die Meinungen geteilt. Präsident Alberto Fernández, und noch mehr Kabinettschef Juan Manzur, wollen so bald wie möglich zu einem Abkommen gelangen, und sind angeblich auch bereit, Maßnahmen zur Kürzung der Ausgaben zu ergreifen. Manzur, der in letzter Zeit in den Schatten getreten ist, ist nicht ein Mann, der auf ideologische Phantasien eingeht. Bei Cristina ist der Fall komplizierter. Auf der einen Seite verlautet, dass sie ein Abkommen abschließen will, auch wenn sie dabei Federn lassen muss, Doch auf der anderen Seite will der radikale Flügel des Kirchnerismus, der einen großen Einfluss auf die Cámpora-Gruppe und das Patria-Institut (der “think tank” von Cristina) hat, einen Default, so dass dann auf Jahre hinaus nichts an Amortisation und Zinsen von Staatsschulden gezahlt wird, wie es ab 2002 der Fall war. Das würde zunächst eine finanzielle Erleichterung schaffen, von der sich diese Leute als Nebenfolge einen unmittelbaren konjunkturellen Aufschwung erhoffen. Letzteres will Guzmán auch, weshalb er bei der Verhandlung mit dem Fonds darauf besteht, dass in den ersten Jahren (2022, 2023 eventuell etwas mehr) keine Schulden abgezahlt werden. Doch das geht nicht: der Wille, das Abkommen zu erfüllen und die Schuld zu zahlen, muss von vorneherein gezeigt werden, auch wenn die Amortisationsquoten zunächst geringer sind.

Das Konzept von Guzmán, dass der Aufschwung zuerst und die Anpassungsmaßnahmen danach kommen, ist grundsätzlich falsch. Der ersehnte Aufschwung, mit einer jährlichen BIP-Zunahme von über 4%, beruht einmal darauf, dass die Belastung der Privatwirtschaft durch den Staat abnimmt, dann, das rationell gehandelt wird und Effizienzfortschritte angespornt (und nicht verhindert) werden, dann auf einer progressiven Verringerung der Inflationsrate, und schließlich auf öffentlichen und privaten Investitionen, die mit Auslandsfinanzierung zählen. Abgesehen von der direkten Wirkung dieser Investitionen, gleichen die Auslandskredite (und eventuell Auslandsinvestitionen) bei der Zahlungsbilanz die Amortisationen bestehender Staatsschulden aus, und erlauben eventuell noch eine Zunahme der ZB-Reserven, die beruhigend wirkt und auch zum Wachstum beiträgt.

Die Diskussion um das Abkommen mit dem Fonds geht im Wesen somit um zwei entgegengesetzte Konzepte. Eines in Richtung der fortgeschrittenen Staaten dieser Welt, und das andere in Richtung Venezuela. In diesen Sinn ist es verhängnisvoll, dass Präsident Fernández jetzt den Vorsitz der CELAC übernommen hat und die Mitglieder in Argentinien versammelt hat. Die CELAC wurde 2010 gegründet, um Stellungnahme gegen die USA zu beziehen, wie es vorher schon Néstor Kirchner mit der UNASUR gemacht hatte, die inzwischen aufgelöst wurde. Die CELAC ist eine Art Organisation Amerikanischer Staaten (OEA) ohne die Vereinigten Staaten und Kanada. Bei Brasilien steht die Entscheidung noch aus, ob das Land in der CELAC verbleibt. Die CELAC vertritt eine Stellungnahme für Kuba, Venezuela und Nicaragua, die Menschenrechte offen und brutal verletzen, und gegen die Vereinigten Staaten. Der Vorsitz der CELAC, die ohnehin nur ein abstraktes Gebilde ist, ohne konkrete Funktionen, bringt uns nur eine größere Distanz zu den USA, der EU u.a. Staaten, zu einer Zeit, in der Argentinien den guten Willen dieser Staaten dringend benötigt, um sein Finanzproblem zu lösen. Eine größere Dummheit kann man sich kaum vorstellen.



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