Von Juan E. Alemann
Am 15. September hat die Regierung termingemäß das Projekt für den Staatshaushalt des Jahres 2023 im Kongress eingereicht. Es enthält viele grundsätzliche Entscheidungen über die Ausgaben und Einnahmen des Bundesstaates, die sich an das Ziel halten, das primäre Defizit stark zu verringern. Allein, während in Staaten mit einer geringen Inflation das Budget eingehalten wird, eventuell mit geringen Abweichungen, wird das Budget in Argentinien im Laufe des Jahres per Notstandsdekret geändert, was unter der letzten Regierung von Cristina Kirchner gesetzlich verbrieft wurde, so dass die Staatsausgaben schließlich weit über denen liegen, die im ursprüngliche Budget veranschlagt wurden.
Das primäre Defizit wird auf 1,9% des Bruttoinlandproduktes veranschlagt, und das Gesamtdefizit (mit Zinszahlungen) auf 3,9%. Ein Teil davon sollte mit Krediten internationaler Finanzanstalten und Banken finanziert werden. Der Rest wird mit Geldschöpfung gedeckt. Sofern diese die Inflation passiv begleitet, also unter der Inflation liegt, besteht kein Problem. Im Abkommen mit dem IWF hat sich die Regierung auf eine Verringerung der Geldschöpfung im Verhältnis zum BIP verpflichtet, und dies wurde ebenfalls im Budgetvorschlag vorgesehen.
Das Defizit der ZB wird beim Haushaltsgesetz beiseitegelassen. Es ergibt sich aus den hohen Zinsen auf die Leliq-Scheine. Doch hier wird damit gerechnet, dass die Zinsen schließlich nur die Inflation ausgleichen, so dass kein reales Defizit besteht. Das setzt bei den gegenwärtigen Zinsen eine Inflation von über 100% im Jahr voraus. Wenn der Betrag der Leliq sich 2023 nominell verdoppelt, und das BIP nominell infolge der Inflation ebenfalls doppelt so hoch ist, dann bleibt der Leliq-Betrag im Verhältnis zum BIP unverändert. Wenn die Inflation jedoch abnimmt, dann entsteht hier ein reales Defizit, es sei den, die Leliq-Zinsen werden entsprechend gesenkt.
Das Budgetprojekt enthält allerlei Annahmen, die fragwürdig sind. Dass das Bruttoinlandsprodukt im Jahresdurchschnitt um 2% über dem Vorjahr liegen soll, ist vorerst ein frommer Wunsch, der bei der bevorstehenden Rezession und der Wirkung der Dürre, die niedrigere Ernten in fast allen Bereichen verheißt, fragwürdig ist. Dass der Export um 7% zunehmen soll, hat zunächst keine solide Grundlage. Bei einer viel geringeren Ernte von Getreide und Ölsaaten im Landwirtschaftsjahr 2022/23 müsste der Export sogar zurückgehen. Der Import soll dabei nur um 2% steigen, was bei der strengen Importkontrolle möglich ist. Wenn der Import von Gas stark sinkt, wie es vorgesehen ist, sollte der Gesamtimport sogar zurückgehen. Das setzt voraus, dass sich die Gasleitung “Néstor Kirchner” bis Juni 2023 voll in Betrieb befindet, was gewiss nicht sicher ist.
Das Gesetzesprojekt sieht eine Jahresinflation von 60% vor, was sich auf den Jahresdurchschnitt im Vergleich zu dem vom Vorjahr und nicht auf die Zunahme im Laufe des Jahres bezieht. Die Inflation wird voraussichtlich viel höher sein, wie es schon 2022 und in den Vorjahren der Fall war. Doch wenn im Budget eine Zahl angegeben wird, die der voraussichtlichen Entwicklung entspricht, also in diesen Fall um die 100%, dann treibt das die Inflation noch mehr an. Die Tatsache, dass alle Verantwortlichen für einen Bereich der Staatsstruktur genau wissen, dass die Inflation höher als veranschlagt sein wird, führt dazu, dass sie mit den Ausgaben mogeln und stille Reserven in ihr Budget einbauen, um bei einer höheren Inflation gedeckt zu sein. Das erschwert dann die Analyse der Ausgaben. Es ist auf alle Fälle zu beanstanden, dass das System die einzelnen für die Ausgaben verantwortlichen Beamten zu diesen Betrugsmanöver veranlasst.
In einem Inflationsland wie Argentinien sollte das Budget zunächst zu konstanten Werten vom Dezember des Vorjahres aufgestellt werden. Dann könnte man die Zahlen mit denen des vorangehenden Jahres vergleichen, und könnte somit die effektive Wirkung messen, die sich aus Maßnahmen ergibt, die Ausgabenkürzungen beinhalten. Und dann müssten die Budgetzahlen indexiert werden, also jeden Monat, oder eventuell alle drei Monate, mit dem Index der Konsumentenpreise des INDEC berichtigt werden. Doch dieser ketzerische Vorschlag steht nicht einmal zur Diskussion. Wirtschaftsminister Massa ist ein mutiger Mann, der auch Entscheidungen dieser Art eventuell nicht scheuen würde. Die Frage ist, was Gabriel Rubinstein und die anderen Ökonomen, die ihm umgeben, darüber denken.
Auch die Annahme, auf die das Haushaltsgesetz aufgebaut wurde, dass der Wechselkurs, der für Ende 2023 auf $ 270 angesetzt wurde, ist eine Phantasie. Das Budget geht davon aus, dass die ZB den Kurs weiter beherrscht, sagt aber nichts über das Wechselkurssystem als solches. Vorläufig geht die Regierung fallweise vor. Doch gelegentlich muss entschieden werden, wie ein vernünftiges System gestaltet werden kann. In letzter Zeit kommen immer mehr Stimmen auf, die für einen gespaltenen Devisenmarkt eintreten, einen staatlich regulierten für den Warenhandel und einen freien für den Rest. Das befürworten wir an dieser Stelle schon seit Langem.
Im Grunde lässt sich aus den Budgetzahlen nicht entnehmen, welche echte Ausgabenkürzungen vorgesehen sind. Das Budget wird normalerweise auf der Grundlage der Ausgaben des Vorjahres berechnet. Das bedeutet, dass unnötige Ausgabenposten weiter bestehen. Ein rationelles Budget müsste mit der Methodologie des Nullbudgets aufgestellt werden, bei der die einzelnen Ausgabenposten ohne Bezug auf den bestehenden Stand untersucht werden. Diese Methodologie wurde schon mit großem Erfolg in einigen US-Staaten und in bestimmten Orten Spaniens und in anderen Ländern angewendet. Aber sie erfordert viel Arbeit, mit Mitwirkung von unabhängigen Fachleuten, und erfordert eine längere Zeit. Beim Nullbudget müsste man an das Budget 2024 denken. Doch die prinzipielle Methodologie, dass nicht einfach die Ausgaben des Vorjahres auf das neue Jahr übertragen werden, sondern untersucht werden, sollte schon jetzt angewendet werden. Man kann in Argentinien auf ersten Blick so viele unnötige Ausgaben streichen oder stark verringern, sodass eine Arbeit in diesen Sinn sehr ergiebig sein würde.
Der Budgetvorschlag zielt auch auf Abschaffung von Steuervergünstigungen hin, und erwähnt dabei die Richter, die keine Gewinnsteuer zahlen. Doch dies wurde schon korrigiert, indem diese Vergünstigung für neue Richter nicht mehr gilt. Denn die bestehenden Richter stützen sich auf den Verfassungsparagraph, dass die Gehälter der Richter nicht verringert werden dürfen. Wenn die Richter jedoch von Anfang an die Gewinnsteuer zahlen, gibt es keine Verringerung. Das Budgetprojekt erwähnt auch die Steuerbefreiung, die in Feuerland gilt. Wie weit sie begrenzt werden kann, sei dahingestellt. Weitere Abschaffungen von Steuervergünstigungen werden nur allgemein erwähnt. Doch die Steuerexperten des Schatzamtes und der AFIP wissen genau Bescheid. Gelegentlich könnten somit Initiativen in diesen Sinn aufkommen. Im Grunde handelt es sich in Argentinien an erster Stelle um die Erfassung der Steuerhinterziehung, die im internationalen Vergleich anormal hoch ist. Das ungelöste Problem besteht dabei darin, wie man außerhalb des Zoos jagen sollte.
Was die Steuereinnahmen allgemein betrifft, so gibt es wenig Neuigkeiten. Die Wichtigste ist, dass den Provinzen jetzt erlaubt wird, die Sätze der Steuer auf den Bruttoumsatz (die objektiv schlechteste aller Steuern) zu erhöhen, nachdem sie sich zur Zeit von Macri verpflichtet hatten, sie schrittweise abzuschaffen, was der richtige Weg war. Die Provinzen müssten dabei mehr bei der Immobiliensteuer einnehmen, was sie ohne Weiteres durch eine Erhöhung der Fiskalwerte erreichen könnten, die meistens absurd niedrig sind. Doch dies ist sehr konfliktiv, und die Gouverneure wollen dieses politische Problem vermeiden.
In einer Periode, in der noch viele wichtige Entscheidungen bevorstehen, ist die Ausarbeitung eines Budgets prinzipiell fragwürdig. Der IWF fordert per sofort strukturelle Maßnahmen, die konfliktiv sind. Die Fondsfachleute, und auch die lokalen, wissen genau, dass die Rechnung sonst nicht aufgeht. Es müssen unnötige Ämter abgeschafft werden, die unter den Kirchners massenweise geschaffen wurden (um Freunden gut bezahlte Staatsstellen zu vermitteln), und es muss auch an die stark defizitären Staatsunternehmern herangegangen werden, was auch im Budget in allgemeiner Form erwähnt wird. An erster Stelle steht das absurde Kohlenbergwerk Río Turbio, ein wahrer Skandal, der allgemein verschwiegen wird und nicht einmal von der sonst sehr kritische Presse erwähnt wird. Doch dann stehen auch Aerolíneas Argentinas und das Eisenbahnunternehmen im Blickfeld. Man kann von Massa erwarten, dass er hier vorgeht. Doch wie weit er dafür die notwendige politische Unterstützung hat, ist fragwürdig. Und bei AySA, die die Wasserversorgung und -entsorgung im Raum von Groß-Buenos Aires betreibt, würde er dabei Krach mit seiner Frau Malena haben, die das Unternehmen leitet.
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