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Das Problem der Exportzölle

Von Juan E. Alemann
Dominguez
Landwirtschaftsminister Julián Dominguez. (Foto: argentina.gob.ar)

In der Regierung besteht eine ungelöste Diskussion über die Erhöhung der Exportzölle für landwirtschaftliche Produkte, deren internationaler Preis infolge des Ukraine-Krieges stark gestiegen sind. Soll man die gestiegenen Exporteinnahmen zum Teil mit einem höheren Exportzoll abschöpfen und dabei den Inlandspreis vom internationalen abkoppeln, oder soll man den Landwirten einen Ansporn geben, um mehr zu produzieren, so dass die gute Konjunktur genutzt und mehr exportiert werden kann? Landwirtschaftsminister Julián Dominguez ist entschieden gegen höhere Exportzölle, der jetzt zurückgetretene Handelssekretär Roberto Feletti offen dafür, und Wirtschaftsminister Martín Guzmán und Produktionsminister Matías Kulfas haben keine klare Haltung. In der Politik ist der Kirchnerismus dafür, die Opposition dagegen. Kein Wunder, dass Präsident Alberto Fernández zweifelt, und keine Entscheidung trifft.

Exportzölle für Getreide, Ölsaat, Rindfleisch und andere Produkte gibt es in Argentinien seit langem, aber nicht in anderen Ländern, zumindest nicht, in der Form, wie sie hier bestehen. Sie wurden zunächst als “Einbehaltungen” (retenciones) getauft, und dann formell als Exportrechte (derechos de exportación) bezeichnet. Sie führen dazu, das die internen Preise dieser Exportprodukte unter dem internationalen Preis liegen. Das passt in das Konzept einer Wirtschaft, die grundsätzlich auf sich selbst angewiesen ist und nicht in die Weltwirtschaft eingegliedert, ist, das der Kirchnerismus im Prinzip vertritt.

Aber diese Abschottung von der Welt widerspricht dem Wesen der heutigen Weltwirtschaft. Die technologische Revolution hat eine Welt geschaffen, in der global gewirtschaftet wird, und der technologische Fortschritt sofort von einem Land auf das andere übergeht. Internet und die Computertechnologie haben die Grenzen unter den Staaten einfach zerstört. Argentinien hat sich faktisch dank seiner vielen intelligenten und auf dem Gebiet der Informatik gut ausgebildeten jungen Menschen, sehr gut in diese neue Welt eingegliedert. Was jedoch noch fehlt, ist dass dies wirtschaftspolitisch in seiner ganzen Tragweite verstanden wird.

Die Frage der Exportzölle ist stark politisiert worden. Das ist die Folge der Initiative der Regierung von 2008, einen beweglichen Exportzoll auf Sojabohne einzuführen, der im Verhältnis zum Weltmarktpreis lag und damals auf über 40% gestiegen wäre. Das hat zu einer Rebellion der Landwirte geführt, die erfolgreich war, und erreichte, dass dies im Kongress nicht durchkam, allerdings nur dank der Stimme von Vizepräsident Cobos. Diese Episode überschattet die gegenwärtige Diskussion.

Die Landwirte sind sich damals ihrer politischen Stärke bewusst geworden, und das führt dazu, dass sie sich jetzt für die Abschaffung oder zumindest für die Beibehaltung des Statu quo einsetzen. Der Präsident hat das Unbehagen vor einem eventuellen Traktorenaufmarsch (tractorazo) zum Ausdruck gebracht, der ihm politisch gewiss schaden würde.

Die Exportzölle stellen jetzt auch ein legales Problem. Die bestehenden haben eine legale Grundlage, in den Haushaltsgesetzen oder anderen, aber Erhöhungen und neue Exportzölle bedürften eines Gesetzes. Präsident Fernández wies darauf hin, dass es keinen Sinn habe, dass er in Gesetz über Erhöhungen der Exportzölle im Kongress einbringe, weil die Opposition, die die Mehrheit in der Deputiertenkammer hat, dagegen stimmen würde.


Die gespaltene Kostenstruktur existiert nicht mehr

Man ging früher davon aus, dass Argentinien eine gespaltene Kostenstruktur habe, mit niedrigen Kosten bei der Landwirtschaft und hohen bei der Industrie, die diese Exportzölle rechtfertigte. Unter der ersten peronistischen Regierung gab es keine Exportzölle, dafür aber differenzierte Wechselkurse, wobei die Landwirtschaft den niedrigsten erhielt. Damals wurden auf diese Weise die Preise von Getreide, Ölsaat und Rindfleisch stark gedrückt, was zu einem hohen Reallohn führte, der den Präsidenten Perón besonders interessierte. Denn die Arbeiter, besonders der Industrie, stellten den größten Teil seiner Wähler dar. Doch gleichzeitig führte dies zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion, was die Zahlungsbilanz unter Druck stellte und zu einer strengen Devisenbewirtschaftung zwang. In der Nachkriegszeit bestand eine hohe Nachfrage nach Getreide und Ölsaaten, was zu hohen Preisen führte. Argentinien konnte diese gute Konjunktur wegen Mangel an Produktion nicht nutzen. Außerdem hat diese Haltung damals dem europäischen Landwirtschaftsprotektionismus ein Argument gegeben.

Nach Perón wurde etappenweise ein normaler Devisenmarkt hergestellt, und die Diskriminierung der Landwirte wurde mit Exportzöllen erreicht. Abgesehen von der direkten Wirkung auf die Preise und die Einkommensverteilung stellen die Exportzölle für den Fiskus eine sichere Einnahme, mit geringen Eintreibungskosten und ohne Hinterziehungsmöglichkeit dar, so dass die zuständigen Beamten nicht darauf verzichten wollten.

Inzwischen hat sich die argentinische Wirtschaft stark verändert. Die Industrie hat sich modernisiert und ist in vielen Fällen sogar international konkurrenzfähig geworden, was sie früher nicht war. Die Exportstatistik zeigt, dass reine Industrieprodukte und Industrieprodukte, die auf der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte hervorgehen, etwa die Hälfte der Gesamtexporte ausmachen. Gewiss spielt hier auch der verwaltete Kfz-Handel mit Brasilien eine Rolle, der Kfz-Exporte schafft, die ohne dies nicht möglich wären. Allein, viele andere Industrieprodukte sind in den letzte Jahrzehnten zum Export hinzugekommen, die eventuell eine geringe Exportsubvention erfordern, die den Steuern entspricht, mit denen das Produkt belastet wird. Das nennt man “draw back”.


Die Erneuerung der Landwirtschaft

Abgesehen davon hat sich die Landwirtschaft grundsätzlich erneuert und ein Potential gezeigt, von dem früher nicht einmal geträumt hätte. Die Ernten von Getreide und Ölsaaten (zu denen die Sojabohne ab 1976, mit einem Sprung in den 90er Jahren, hinzugekommen ist) haben sich gegenüber Anfang der 90er Jahre verdreifacht und gegenüber den 60er Jahren verachtfacht. Argentinien hat jetzt eine Struktur, die höhere Exporte (absolut und im Verhältnis zum BIP) erfordert, um die Industrie mit importierten Rohstoffen und Teilen versorgen zu können, damit sie wirtschaftlich sein kann. Die Industrie hat sich viel stärker in die Weltwirtschaft integriert, und das hat erlaubt, die Kosten zu senken und die Qualität zu verbessern. Der Schutzbedarf ist drastisch gesunken.

Die landwirtschaftliche Produktion kann noch stark erhöht werden, aber das erfordert höhere Preise. Denn dabei muss auf trockenere Gebiete übergegangen werden, wo die Erträge geringer und ungewisser sind, und wo auch mit Bewässerung viel erreicht werden kann, die zunächst aber auch zusätzliche Kosten darstellt. Und allgemein muss dazu mehr gedüngt werden, was sich auch auf die Kosten auswirkt. Gelegentlich wird an einen gespalten Markt gedacht, mit höheren Preisen nur für zusätzliche Produktion. Doch das ist faktisch und auch legal nicht möglich. Somit muss man sich damit abfinden, dass der höhere Preis auch für diejenigen gilt, die die Produktion nicht erhöhen.

Beiläufig sei bemerkt, dass der Preis für Düngemittel dieses Jahr stark gestiegen ist, und auch andere Kosten über die Inflation hinaus zugenommen haben. Der höhere Preis führt somit nicht zu einem entsprechend höheren Gewinn. Dann sollte man nicht vergessen, dass auch der Zusatzgewinn von der Gewinnsteuer erfasst wird, die bei der Produktion von Getreide und Ölsaaten nicht so leicht hinterzogen werden kann. Der Wechselkurs ist seit 2020 stark hinter der internen Inflation zurückgeblieben, was bedeutet, dass auch die Kosten stärker als der Kurs zugenommen haben.


Das Problem der Einkommensverteilung

Wenn man die Einkommensverteilung in den Vordergrund stellt, müsste es Exportzölle geben, die bei den gegenwärtigen Weltmarktpreisen hoch sein müssen, also bei Weizen, Mais und Sonnenblume gut bei 25% liegen müssten. Gegenwärtig liegen sie bei 12% und 15%. Bei Sojabohne liegt der Exportzoll bei 33%, was absurd hoch ist, wobei mit einem normalen Exportzoll von bis zu 15% viel mehr produziert werden würde. Dabei wird darauf hingewiesen, dass die Sojabohne andere Kulturen verdrängen würde. Dagegen ist jedoch nichts einzuwenden. Normalerweise wechseln die Landwirte die Kulturen, um den Boden besser zu erhalten. Im Prinzip sollten die Landwirte das pflanzen, was den höchsten Dollarbetrag pro Hektar ergibt. Damit sie das tun, müssen die Exportzölle bei allen Arten gleich sein.

Wenn man von Einkommensverteilung spricht, kommt man nicht umhin, das Lohnproblem zu erwähnen. Einerseits ist es so, dass ein höheres Realeinkommen der Landwirte zu einem niedrigeren Reallohn führt. Doch man muss das Problem auf seine wirkliche Dimension beschränken. In den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union u.a. Ländern gelten für landwirtschafliche Produkte internationale Preise, oder eventuell noch höhere (besonders in der EU), aber der Reallohn ist hoch, weit über dem argentinischen. Es wäre daher gut, wenn die Regierung untersucht, wie das funktioniert und welche Lehren man für Argentinien daraus ziehen kann.

Auf der anderen Seite ist ein Schema, dass zu dauerhaftem Wachstum führt, auch wenn es zunächst die relativen Preise ändert und den Reallohn verringert, auf Dauer auch für die Lohnempfäger günstig. Denn nur eine wachsende Wirtschaft bietet mehr gutbezahlte Arbeitsplätze, und ist die Voraussetzung für Vollbeschäftigung.


Eine vernünftige Kompromisslösung

Im Kongress sollte das Thema anders angegangen werden, nämlich mit einem Gesetz, dass Exportzölle erlaubt, Höchstgrenzen festsetzt und den Satz allgemein an die internationalen Preise und den realen Wechselkurs bindet. Bei einem Weltmarktpreis für Weizen von ca. u$s 450 pro Tonne ist ein Exportzoll von 20% verkraftbar, bei einem von u$s 200, wie er vor einigen Jahren bestand, eben nicht. Ein Höchstsatz wurde gegenwärtig Sojabohne begünstigen, die nur indirekt eine Wirkung auf die internen Preise hat, nämlich über das Sojamehl, das als Futter für Geflügel und Schweine eingesetzt wird. Die Wirkung auf das Endprodukt, das der Konsument im Supermarkt kauft, ist bei Geflügel und Schweinefleisch viel geringer, als die Wirkung eines höheren Exportzolles bei Weizen auf Brot und Teigwaren. Für diese Produkte hatte die Regierung einen Fonds geschaffen, der mit dem Exportzoll auf Sojaöl und -mehl geschaffen wurde, und mit dessen Erlös der Preis des Weizenmehls subventioniert werden sollte. Das hat in der Praxis jedoch nicht funktioniert. Warum, das wurde nie erklärt. Zum Thema Weizenpreis und Brotpreis sei bemerkt, dass die gewaltige Preiserhöhung für Brot nur zum geringeren Teil durch den höheren Weizenpreis bedingt ist. Der größte Teil entfällt auf die jüngste Lohnerhöhung, die die Bäcker direkt auf die Preise abwälzen. Hinzu kommt jetzt noch der Sprung bei den Energiekosten, die beim Brot auch ins Gewicht fallen. Sie wurde zum Teil auch schon einkalkuliert.

Die Opposition wird voraussichtlich ab 10. Dezember 2023 Regierung sein. Somit sollten die führenden Politiker der drei Koalitionspartner und auch andere ein konkretes Interesse haben, dass ein geordnetes System der Exportzölle besteht. Denn die nächste Regierung muss mit dem gleichen Problem fertig werden, das die gegenwärtige jetzt hat. Fernández sollte das zu nutzen wissen. Doch das erfordert als erstes, dass er Macri nicht mehr als Feind bezeichnet, und auf eine zivilisierte Zusammenarbeit mit der Opposition hinzielt, wie sie in den fortgeschrittenen Staaten besteht. Der Konflikt zwischen Regierungs- und Oppositionskoalition, den an erster Stelle Cristina Kirchner geschaffen hat, erschwert die Regierungstätigkeit und behindert eine sogenannte “Staatspolitik”. Die Distanzierung von Alberto Fernández zu Cristina Kirchner gibt ihm jetzt die Gelegenheit, die Politik grundsätzlich anders aufzubauen, mit einer Abkehr von extremen Positionen, wie sie im Kirchnerismus vertreten werden, und einer zivilisierten Beziehung zur Opposition. Der Peronismus ist bestimmt dazu bereit, der Kirchnerismus hingegen kaum.


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