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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Das Pensionierungssystem und die Staatsfinanzen

Von Juan E. Alemann

Das argentinische Pensionierungssystem (”sistema jubilatorio”) ist für die Wirtschaft und den Staat sehr teuer geworden, und wird in Zukunft (real) noch teurer werden. Das ist eine direkte Folge der Alterung der Bevölkerung, die auf dem Fortschritt der Medizin und einer ziemlich umfassenden Gesundheitsbetreuung der Menschen, aber auch auf besserer Ernährung und gesünderen Lebensgewohnheiten zurückzuführen ist. U.a. wird auch weniger geraucht, aber der Drogenkonsum hat stark zugenommen, und die Drogensüchtigen sterben früh. Die Lebensdauer hat sich ab Mitte des vorigen Jahrhunderts um durchschnittlich etwa 20 Jahre verlängert, wenn man Einwanderer aus armen Ländern ausschließt, die Gesundheitsprobleme aufweisen und hier in Elendsvierteln wohnen. Immer mehr Menschen leben über 90 und laut ANSeS gibt es über 500 Pensionäre und Rentner, die über 100 Jahre alt sind. Wenn die Wirtschaft stark wächst, ist dies zu verkraften, aber bei geringem Wachstum oder sogar Stagnierung entsteht eine zunehmend schwierige Lage.

Die ANSeS meldet 7 Mio. Pensionäre, zu denen noch andere hinzukommen, die ihre Pension nicht über dieses Amt erhalten, wie die Militärs, die Bezieher von provinziellen Pensionen u.a. Es dürften somit insgesamt an die 8 Mio. sein. Cristina Kirchner hat als Präsidentin die Zahl der Pensionäre um etwa 3 Mio. Menschen erhöht, indem sie denjenigen, die die Altersgrenze überschritten hatten, aber nicht mit 30 Beitragsjahren zählten, erlaubt hat, die geschuldeten Beiträge in monatlichen Raten auf mehrere Jahre hinaus zu zahlen (ohne Wertberichtigung). Macri hat dies dann vervollständigt, indem unter seiner Regierung verfügt wurde, dass diejenigen, die 70 Jahre erreicht haben, eine Altersrente beziehen, die 80% der Mindestpension ausmacht. Während vor diesen Reformen knapp über 60% derjenigen, die die im System vorgesehene Altersgrenze überschritten hatten, pensioniert waren (oder eine Hinterbliebenenrente erhielten), sind es jetzt über 95%. Das Pensionierungssystem wurde somit in seinem Wesen geändert, indem es zum Teil in eine Altersversicherung umgewandelt wurde.

Vom sozialen Standpunkt ist es in Ordnung, dass alte Menschen nicht ausschließlich ihren Familien zur Last fallen, sondern auch dem Staat. Doch dies führt dazu, dass die Pensionen niedriger sind, als sie bei einem reinen Pensionierungssystem sein könnten, in dem nur diejenigen eine Pension erhalten, die Beiträge zum System während 30 Jahren geleistet haben. Dabei muss man auch berücksichtigen, dass der Anteil der Selbstständigen und Einheitssteuerzahler im Verhältnis zu denjenigen, die im Abhängigkeitsverhältnis arbeiten, stark gestiegen ist. Diese Gruppen leisten einen viel geringeren Beitrag.

Als das Pensionierungssystem unter den ersten Perón-Regierungen ausgebaut wurde, ergab es einen Überschuss, der für Staatsinvestitionen eingesetzt wurde. Doch mit der Zeit nahm dieser Überschuss stark ab, und in den 1960er Jahren ging die Rechnung mit Einnahmen und Ausgaben des Systems knapp auf. Irgendwo in den 1970er Jahren wurden die Finanzen des Systems defizitär, so dass das Schatzamt einspringen musste. Gegenwärtig deckt der Staat etwa ein Drittel der Pensionen, Hinterbliebenenrenten und Gnadenrenten, mit steigender Tendenz. Wenn man die ANSeS-Finanzen mit den Finanzen des Bundesstaates zusammenlegt, dann machen Pensionen und Renten leicht über der Hälfte der gesamten Ausgaben des Bundesstaates aus.

Das System ist im Grunde so gedacht, dass die Pensionäre auch ein anderes Einkommen haben, sei es, dass bei einem Ehepaar beide eine Pension beziehen (oder bei Tod eines Partners, eine Pension und eine Hinterbliebenenrente), auch eine eigene Wohnung haben oder mit erwachsenen Kindern wohnen, und in vielen Fällen zusätzlich ein Arbeitseinkommen beziehen, weiß oder schwarz. Bis 1994 war es den Pensionären nicht erlaubt, weiter im Abhängigkeitsverhältnis zu arbeiten. Aber die Reform von jenem Jahr erlaubt es, mit einem neuen Arbeitsvertrag, bei voller Zahlung der Beiträge, und ohne Recht auf eine spätere Erhöhung der Pension.

Die Rechnung geht bei vielen Pensionären und Rentnern nur mit Hilfe der erwachsenen Kindern auf, besonders wenn die Pensionäre bei diesen wohnen. In vielen Fällen passt die pensionierte Großmutter auf die Kinder auf, während die Mutter arbeitet, und sie hilft auch bei der Haushaltsarbeit. Ohne all diese sehr häufigen Fälle wäre das Problem der Pensionäre viel dramatischer. Aber es verbleiben viele Einzelfälle, in denen der Pensionär nur auf die Pension angewiesen ist, meistens auf eine Mindestpension, von der er gewiss nicht leben kann. Wie die meisten trotzdem über die Runden kommen, ist nicht klar. Oft helfen ihnen Freunde und Nachbarn. Es besteht in Argentinien viel soziale Solidarität.

Der Fortschritt der Medizin und das gesündere Leben führen nicht nur zu einer Verlängerung des Lebens, sondern auch dazu, dass die Menschen auch mit 65, 70 und mehr Jahren arbeitsfähig sind, und meistens auch arbeiten wollen, weil sie sich sonst langweilen. Nur wollen die Pensionäre in der Regel etwas weniger arbeiten. Diese Entwicklung sollte auch von einer Erhöhung des Pensionierungsalters begleitet werden, in Argentinien auf 67, bzw. 62 Jahre. Das würde das System finanziell entlasten. Doch dagegen sträuben sich vor allem Unternehmer, von denen viele gegenwärtig die Arbeitnehmer, die in Pension gehen, nicht ersetzen, weil sie wegen der neuen Technologie mit weniger Personal auskommen.

Theoretisch sollten die Pensionen inflationsberichtigt werden, also in Kaufkraft gleich bleiben. Das war beim System so, dass die Macri-Regierung eingeführt hatte. Doch bei zunehmender Inflation ergab sich dabei eine Lücke, weil Preis- und Lohnindices genommen wurden, die sich ein halbes Jahr vorher ergaben. Bei sinkender Inflation würde das automatisch aufgeholt. Die gegenwärtige Regierung hat das System reformiert, so dass die Berichtigung zum Teil auf dem Preisindex und zum Teil auf den Einnahmen des Systems beruht. Und dabei blieben die Pensionen stark unter der Inflation zurück, was beiläufig die Staatsfinanzen erleichterte. Doch dieser reale Verlust soll auch mit dem neuen System aufgeholt werden. Außerdem hat die gegenwärtige Regierung Sonderzulagen für die Bezieher niedriger Pensionen und Renten verfügt, während die höheren Pensionen eine Zeitlang eingefroren waren. Das hat das Solidaritätsprinzip gestärkt und das Proportionalitätsprinzip geschwächt. Bei niedrigen Löhnen liegt die Pension jetzt bei einem noch höheren Prozentsatz des Lohnes, während die Proportion bei höheren Pensionen weiter zurückgegangen ist.

Das Wirtschaftsinstitut CIPPEC hat ermittelt, dass 40% der Pensionen auf eines der vielen Sonderregime entfallen. Diese Pensionäre erhalten dabei durchschnittlich 85% mehr als im allgemeinen System. Es gibt unzählige Sondersysteme, darunter die der Streitkräfte, der Polizei, der Gendarmerie, der Marinepräfektur, der Diplomaten, der Lehrer, der Minister, Staats- und Unterstaatssekretäre, der Senatoren und Deputierten, der Piloten, der Beamten vieler Provinzregierungen, und vielen anderen Gruppen. Im Fall der Streitkräfte liegen nicht nur die Pensionen leicht unter dem letzten Gehalt (also nicht weit unter diesem, wie beim allgemeinen System), sondern die Offiziere treten in vielen Fällen mit knapp über 50 Jahren in den Ruhestand, was keinen vernünftigen Sinn hat und in anderen Ländern nicht so ist. Es gibt bei diesen Sondersystemen auch viel zu korrigieren. Doch hier überwiegt der korporative Geist der Gesellschaft, in dem jede bevorzugte Gruppe auf der Erhaltung ihrer Lage besteht, und dabei die Privilegien anderer nicht in Frage stellt. Außerdem würden Reformen erst für zukünftige Pensionäre gelten, aber nichts am Statu quo ändern.

Die Finanzen des Pensionierungssystems werden auch durch die hohe Zahl der Schwarzarbeiter beeinträchtigt. Auf die Löhne werden hier keine Beiträge gezahlt, und diese Arbeitnehmer oder selbstständig Tätigen erhalten jetzt eine Pension, wenn sie 70 Jahre alt geworden sind, ein Alter, dass immer mehr Menschen erreichen und dann um viele Jahre überschreiten. Das Problem der Übertragung dieser Schwarzarbeiter auf das legale System besteht in den hohen Beiträgen zum Pensionierungssystem. Diese Soziallasten müssten beim Übergang von schwarz auf weiß zunächst erlassen und dann für einige Jahre viel geringer sein. Die ANSeS würde dabei auf alle Fälle mehr Einnahmen erhalten.

Doch auch allgemein stellt sich die Frage, ob es vernünftig ist, eine so hohe Steuer auf Löhne und Gehälter zu erheben. Denn wirtschaftlich sind die Beiträge im Wesen Steuern. Doch wenn man sie verringert, um die Beschäftigung zu fördern, dann müssten andere Steuereinnahmen geschaffen werden, oder sonst beim Staat kräftig gespart werden, und beides ist nicht einfach.

Die Problematik des Pensionierungssystems stellt mehr Fragen als Antworten. Als erstes sollte die Regierung eines oder mehrere Wirtschaftsforschungsinstitute beauftragen, eine vollständige Analyse des Systems auszuarbeiten und Vorschläge zu machen. Und dann müssten diese von der Regierung, eventuell mit Änderungen, übernommen und schließlich im Parlament diskutiert werden. Das ist ein langer Weg, mit ungewissem Ausgang.



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