Von Juan E. Alemann
Der Konflikt zwischen dem formellen Recht, wie es in Gesetzen, Dekreten und Beschlüssen zum Ausdruck kommt, und dem gerechten Recht, das dem vernünftigen Sinn für Gerechtigkeit und auch dem gesunden Menschenverstand entspricht, besteht immer, kommt aber jetzt in Argentinien als Folge der Politisierung vieler juristischen Entscheidungen offen zum Ausdruck. Doch gehen wir zunächst etwas zurück in der Geschichte.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Hauptverantwortlichen für den Nazihorror in Nürnberg verurteilt, in den meisten Fällen zum Tode. Aber danach gab es einen wenig bekannten zweiten Prozess, bei dem die Richter angeklagt wurden, die die Rassengesetze angewendet hatten. Diese Gesetze, mit denen die Judenverfolgung legalisiert wurde, standen in krassem Gegensatz zu den Grundlagen einer Rechtsordnung. Aber sie wurden von den Richtern angewendet. Im Prozess wies die Anklage darauf hin, dass die Richter diese absurden Gesetze nicht anwenden durften, während die Richter darauf hinwiesen, dass sie sich an das formelle Recht halten mussten. Sie wurden schließlich zu lebenslanger Haft verurteilt, und einige Jahre später von der Regierung der Bundesrepublik begnadigt
In Argentinien ist jetzt der Fall mit der Ernennung des zweiten Senatsvertreters beim Richterrat aufgekommen, der von der Opposition ernannt werden muss. Doch im Gesetz wird diese als zweitgrößte Fraktion bezeichnet, was Cristina erlaubt hat, die Mehrheitsfraktion aufzuteilen und auch den Vertreter zu ernennen, der für die echte Opposition gedacht war. Dagegen hat Senator Luis Juez, der für die wirkliche Opposition für den Richterrat vorgesehen war, beim Obersten Gerichtshof Klage eingereicht. Es wird jetzt erwartet, dass dieser das Manöver von Cristina als ein schmutziger Trick eingestuft wird, wie es dem Konzept des gerechten Rechtes entspricht.
In zahlreichen anderen Fällen hat die Justiz das Gerechtigkeitsprinzip beiseitegelassen. So wurde seinerzeit die Vermögenserklärung von Cristina vom verstorbenen Richter Oyarbide ohne Prüfung für richtig erklärt, obwohl sie hinten und vorne falsch war. Bei Anwendung elementarer Rechtsprinzipien hätte sich hier eine ergeben, dass eine Bereicherung auf Kosten des Staates stattgefunden hat, und Cristina hätte verurteilt werden müssen. Doch das geschah nicht.
Jetzt ist der Fall der Entwendung von zwei Millionen Dollar aufgekommen, die bei der Erneuerung der Schuld der Provinz Formosa gegenüber dem Bundesstaat an eine angebliche Beratungsfirma bezahlt wurden, als Amado Boudou Wirtschaftsminister war. Die Einschaltung eines Beraters war illegal und absurd. Dennoch hat der zuständige Richter in Formosa das Verfahren niedergeschlagen und den Raub, an dem Boudou und Gouverneur Insfran beteiligt waren, gutgeheißen. Dass ist wirklich zu viel des Guten.
Cristina Kirchner versucht, bei ihren Prozessen durch allerlei formelle Tricks Zeit zu gewinnen und schließlich freigesprochen zu werden. Beim Abkommen mit Iran, in dem es um das Attentat auf das jüdische Hilfswerk AMIA ging, hatte sie als Präsidentin angeordnet, dass der Prozess auf eine gemischte Kommission verlagert werde, die in Iran tätig sein würde, also dem Land, dessen Regierung den vermutlichen Attentäter, die Hisbollah, unterstützt. Das führte zu einer Klage vor Gericht, die jedoch aus formellen Gründen abgelehnt wurde. Im Sinne der Gerechtigkeit hätte Cristina verurteilt werden müssen. Auch wenn das Parlament dem Abkommen mit Iran zugestimmt hat, besteht hier ein schweres Verbrechen.
Gerechtigkeit vor formellem Recht, und vor allem, vor Politik. Für das muss sich die Opposition energisch einsetzen. Und vielleicht machen dabei anständige Mitglieder der Regierungskoalition auch mit.
Comments