Von Juan E. Alemann
Präsident Alberto Fernández erklärte unlängst, die Regierung der Stadt Buenos Aires spiele mit Feuer, wenn sie darauf bestehe, die Tätigkeit in den Primarschulen, mit Anwesenheit der Kinder, voll aufzunehmen. Indessen ist nachgewiesen, dass die Ansteckungen dabei, mit Achtung der Vorsichtsmaßnahmen (Mundschutz, Händewaschen, Distanz achten) minimal sind und bei Kindern nur selten eine extreme Infektion eintritt. Es ist somit besser, dieses geringe Risiko in Kauf zu nehmen, als den großen Schaden hinzunehmen, den die Kinder erleiden, wenn sie längere Zeit nicht zur Schule gehen. Denn der Kontakt mit den Lehrern ist dabei wesentlich, zum Unterschied mit den letzten Stufen der Sekundarschulen und den Universitäten, wo die Aufnahme von Kenntnissen mehr vom Schüler als vom Dozenten abhängt. Stadtchef Horacio Rodríguez Larreta spielt somit nicht mit Feuer, sondern er geht ein sehr begrenztes Risiko ein, um von den Flammen erfasst zu werden.
Wer jedoch jetzt effektiv mit Feuer spielt ist Präsident Alberto Fernández, der es auf einen Default ankommen lässt, um dem Internationalen Währungsfonds und dem Pariser Klub zunächst nichts zu zahlen. Die Gläubiger mögen dies in beiden Fällen eventuell hinnehmen, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt, aber es verbleibt dabei der Eindruck, dass Argentinien ein fauler Schuldner ist, der am Schluss doch nicht zahlen wird. Und dieser Eindruck bezieht sich nicht nur auf den IWF und den Pariser Klub, sondern auf die Finanzwelt im allgemeinen. Das bedeutet nicht nur, dass es keine neuen Auslandskredite gibt, sondern das viele Geschäfte erschwert und sogar verhindert werden. Denn dabei wird eben die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass es schließlich doch zu einem Default und einem großen Krach kommt.
Die erste Zahlung an dem Pariser Klub, von u$s 2,48 Mrd., die heute, den 4. Mai 2021, fällig ist, wird nicht gezahlt. Davon entfallen u$s 2,25 Mrd. auf Amortisation der Schuld und u$s 237 Mio. auf Zinsen. Formell besteht eine Frist von 60 Tagen, während der der Pariser Klub keinen Default erklärt. Aber es ist ein schlechtes Zeichen. Wir betonen, was wie an dieser Stelle schon gesagt haben: die Zahlungen an den Pariser Klub sollten strikt erfüllt werden, damit zukünftige Kredite, mit denen Kapitalgüterlieferungen finanziert werden, nicht behindert werden. Besonders Deutschland, mit einem Anteil von 32% an den Forderungen des Pariser Klubs, hat ein Interesse, seinen Export von Kapitalgütern aufrecht zu erhalten, was ohne Kredit nicht möglich ist. Doch wenn Argentinien nicht pünktlich an den Pariser Klub zahlt, und Defaultgefahr besteht, dann können die Kreditversicherungsinstitute (wie Hermes im Fall Deutschlands) diese Kredite nicht gegen politische Risiken versichern, und dann erteilen die Banken keinen Kredit.
Die Zahlung der argentinischen staatlichen Auslandsschuld, auch wenn sie gestreckt wird, ist nur möglich, wenn es neue Kredite gibt, die zumindest einen Teil der Zahlungen ausgleichen. Gewiss: die Zahlungen entfallen auf den Staat, die neuen Kredite für Kapitalgüterlieferungen gehen nur zum Teil an den Staat, und normalerweise mehr an Privatunternehmen. Aber zahlungsbilanzmässig ist es das Gleiche. Die Erhaltung des Gleichgewichtes der Zahlungsbilanz ist wichtiger als die Ausmerzung des primären Defizites der Staatsfinanzen.
Dass die Umschuldung gegenüber dem Pariser Klub, die unter der Regierung von Cristina Kirchner erfolgte, mit Axel Kicillof als Wirtschaftsminister, von argentinischer Seite schlecht ausgehandelt wurde, mit Annahme von Strafzinsen, die normalerweise ganz oder teilweise erlassen werden, ist etwas anderes. Darüber muss man jetzt bestimmt reden, aber ohne die unterschwellige Drohung, nicht zu zahlen und es auf einen Default ankommen zu lassen.
Was die Umschuldung gegenüber dem Internationalen Währungsfonds betrifft, so hat Guzmán schon mit dem Fonds informell vereinbart, dass er einen Kredit auf 10 Jahre (im Jargon des Fonds “extended facilities” benannt) erhalten soll, aber mit der Klausel, dass die Frist automatisch verlängert wird, wenn der Fonds seine Statuten ändert, um längere Zahlungsfristen zu gestatten, und dies bei anderen Ländern angewendet wird. Diese Klausel, die eher unbedeutend ist, weil anzunehmen ist, dass der Fonds bei seinen 10 Jahren verbleiben wird, war für Guzmán insofern wichtig, als er dadurch angeblich die Zustimmung der Regierungsfraktion im Parlament, lies Cristina, erhielt, um die Verhandlungen mit dem Fonds fortzusetzen.
Doch das ist nur ein Problem bei einem neuen Abkommen mit dem IWF. Cristina besteht auf ihrem Standpunkt, dass der Stromtarif, der unlängst um 9% erhöht wurde, nicht weiter zunimmt, und der Gastarif, der jetzt um 6% steigt, auf diesem Niveau verbleibt. Dabei geht jedoch die Rechnung nicht auf. Denn das primäre Defizit der Staatsfinanzen muss gesenkt werden, und das ist ohne eine weitere Erhöhung der Tarife kaum möglich. Guzmán will, dass die verpflichtete Erhöhung für Haushalte nur für einem geringen Konsum gilt, bei höherem indessen noch eine weitere Zunahme erfolgen soll. Cristina hat bisher diese Initiative abgelehnt, ohne näher auf sie einzugehen. Doch sie könnte sie eventuell durchgehen lassen. Denn das Argument, das Alberto Fernández und Martín Guzmán dabei verwenden, bezieht sich darauf, dass der Betrag für Sozialhilfen (wie immer sie auch konkret gestaltet werden) ohne die Tariferhöhung beschränkt werden muss.
Die Diskussion mit dem Fonds ist auch sonst nicht einfach. Der IWF besteht auf einer stärkeren Senkung des primären Defizites, und das erfordert konkrete Entscheidungen, die meistens konfliktiv sind. Das Wirtschaftsministerium hat für dieses Jahr ein primäres Defizit von 4,2% des BIP vorgesehen. Doch die Stiftung Fundación Mediterranea, die qualifizierte Ökonomen beschäftigt (und aus der seinerzeit Cavallo und seine Mannschaft stammten), rechnet jetzt mit 5,2%, und das ist viel zu viel, weil keine Finanzierung vorhanden ist und die Geldschöpfung schon jetzt eine gefährliche Grenze erreicht hat. Das primäre Defizit müsste höchstens 3% des BIP ausmachen.
Die Regierung hat die Ausgabenbeschränkungen zunächst dadurch erreicht, dass die Beamtengehälter, und Pensionen und Hinterbliebenenrenten, real stark zurückgegangen sind. Wie weit dies jetzt weitergeführt werden kann, sei dahingestellt. Auch dürfte der Fonds die Form der Berechnung des Defizites beanstanden, bei der der Zentralbankgewinn, den das Schatzamt abgibt, als echte Einnahme gebucht wird, was er nicht ist, da es sich um einen reinen Buchgewinn handelt, der sich auf der Abwertungswirkung auf die Devisenreserven ergibt.
Auf alle Fälle müssten Verhandlungen mit dem Fonds formell aufgenommen werden, und dann so bald wie möglich, eine Einigung auf bestimme Grundprinzipien bekanntgegeben werden. Die Regierung müsste dabei unmissverständlich äußern, dass das Abkommen mit dem IWF nicht auf die Wahlen warten wird. Die notorische Besserung der Staatsfinanzen, die in den ersten vier Monaten 2021 erreicht wurde, muss andauern und von der Regierung gut erklärt werden.
Grundsätzlich geht es darum, dass sich Präsident Alberto Fernández durchsetzt, und Cristina sich im Hintergrund hält und ihn nicht ständig desavouiert. In einem konkreten Fall war Fernández schon erfolgreich: er hat zunächst den Konzessionsvertrag mit der belgischen Jan de Nul und der lokalen Emepa für die Baggerung des Paraná-Flusses für 90 Tage verlängert, und will dann zwei weitere gleiche Verlängerungen verfügen, bis die neuen Ausschreibungsbedingungen fertig sind, und dann die Ausschreibung und Zuteilung an eine Privatfirma erfolgt. Die Cámpora-Gruppe u.a. extrem linke Kirchneristen, die für die volle Verstaatlichung eintraten, haben bisher nichts erreicht. Der Präsident ist sich bewusst, dass er die Schifffahrt auf dem Paraná, über den an die 80% der Exporte erfolgen, nicht gefährdet werden darf. Die Baggerung ist zu komplex, als das sie der Staat durchführen kann. Auch verfügt der Staat nicht über die notwendigen Bagger, so dass die Verstaatlichung zunächst viel Geld kosten würde. Dass der Staat den Konzessionär kontrolliert ist in Ordnung. Das tut er ohnehin schon, wobei jedoch die eigentliche Kontrolle von den Schifffahrtsunternehmen erfolgt, die sich sofort beklagen, wenn die Tiefe des Flusses nicht ausreicht, um die Frachter an den Flusshäfen voll zu beladen. Sie haben einen guten Dialog mit Jan de Nul, und haben die Firma gegenüber der Regierung verteidigt.
Der Präsident müsste jetzt noch weitere Entscheidungen dieser Art treffen und sie bekanntgeben. Denn es geht jetzt um die Glaubwürdigkeit einer Politik zur Überwindung der tiefen Krise, die weit mehr als eine normale Rezession ist. Wir können ihm sofort mehre wichtiger Entscheidungen vorschlagen. Wenn er dem Mut hätte, das absurde Kohlenbergwerk von Río Turbio, in Santa Cruz, aufzugeben, wäre das ein klares Signal, das Wunder wirken würde. Aber auch ohne so weit zu gehen, gibt es viele Entscheidungen, die sich auf grundsätzliche Probleme beziehen, die er sofort retten kann. Schließlich ist er, und nicht Cristina, formell der Präsident, und die Verfassung verleiht ihm eine weitreichende Entscheidungsgewalt.
Innerhalb der Regierung sind in letzter Zeit mehrere kritische Stimmen aufgekommen. Das ist in Krisenzeiten eine normale Erscheinung, weil niemand die Verantwortung für die Katastrophe übernehmen will. Es geht dabei nicht nur um den Gegensatz zwischen dem Präsidenten und der Vizepräsidentin, sondern um Meinungen von Ministern u.a. hohen Regierungsbeamten, auf der einen Seite, und sehr differenzierten Auffassungen der Kirchneristen, mit einer extrem staatswirtschaftlichen Einstellung in der Cámpora-Gruppe und vernünftigeren Ansichten von anderen. All dies schafft noch mehr Ungewissheit, die eine störende Wirkung auf die Wirtschaft hat. Denn niemand weiß, wie dies weitergeht, und man befürchtet dann das Schlimmste. Diese Lage kann nur kurzfristig überwunden werden, wenn der Präsident sich durchsetzt und klar zu verstehen gibt, dass schließlich nur seine Meinung gilt und alles andere Kaffeegeschwätz ist. Er muss das Feuer löschen, bevor er sich verbrennt.
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