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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Das ethische Bewusstsein

Von Juan E. Alemann

Der Skandal, der anlässlich der Impfung von Ministern, hohen Regierungsbeamten, Politikern, Freunden und anderen entstanden ist, hat zu Klagen vor Gericht geführt. Präsident Alberto Fernández, der Professor für Strafrecht war, erklärte, es bestehe hier kein strafbarer Tatbestand. Andere Juristen teilen diese Meinung nicht. Doch es handelt sich im Wesen um etwas anderes: Diese Impfungen verstoßen gegen die Ethik, an die sich hohe Regierungsbeamte halten müssen.

Die argentinische Gesellschaft hat traditionell eine elastische Vorstellung von Ethik. Ein gewisses Ausmaß an Korruption, an Vetternwirtschaft und Übertretung der Gesetze wird als normal angesehen. Kleinere Schmiergelder, Steuererklärungen, die nicht ganz stimmen, und ein zugedrücktes Auge beim rechtswidrigen Verhalten von Freunden und Familienangehörigen, all das ist nicht der Rede Wert.

Doch in letzter Zeit hat eine wichtige Änderung stattgefunden. Die tiefe soziale Krise und das Ausmaß der Kirchner-Korruption haben dazu geführt, dass dies anders beurteilt wird. Man erträgt das Opfer, das diese schwere Zeit erfordert, besser, wenn es alle betrifft und niemand aus der Reihe tanzt. Die Menschen, die am Samstag massenweise auf die Straße gingen, mit argentinischen Fahnen, wie schon mehrere Male zuvor, mögen in vielen Aspekten unterschiedlich denken, aber eins vereint sie: die ethische Überzeugung.

Das ethische Bewusstsein der Gesellschaft ist jetzt in den Vordergrund getreten, wie es immer schon hätte sein sollen. Ethik gehört zu den ungeschriebenen Regeln der Demokratie und einer freien Gesellschaft. Nur mit einer ethischen Grundlage kann man von den Menschen fordern, dass sie die Schwierigkeiten ertragen, denen sie ausgesetzt sind, und dabei von Gewaltanwendung Abstand nehmen.

In diesem Sinn wird jetzt auch die phänomenale Bereicherung der Familie Kirchner, ihrer Mitarbeiter und Strohmänner und auch mancher Parteifreunde und anderen anders gesehen. Der Prozess gegen Lázaro Báez läuft seit vielen Jahren. Er begann schon als Cristina Kirchner Präsidentin war. In einem zivilisierten Land wäre der Prozess schon vor Jahren abgeschlossen. Aber in Argentinien wurde er hinausgeschoben, und auch unter der Macri-Regierung war der Fortschritt gering. Dass es jetzt zu einem harten Urteil gekommen ist, dürfte auch darauf beruhen, dass die Richter spüren, dass der Wind von einer anderen Seite bläst, mit Ethik als oberstem Gebot. Die Gesellschaft duldet diese unverschämte Bereicherung, die im Schatten der Regierungsmacht unter Néstor und Cristina Kirchner stattgefunden hat, nicht mehr. Auch Cristina kann jetzt nicht gegen diese Richter vorgehen, die den Schutz der öffentlichen Meinung genießen, die die Ethik als oberstes Gebot aufgestellt hat.

Die Verurteilung von Lázaro Báez und dessen Familie springt unvermeidlich auf Cristina über. Denn ohne die Kirchners hätte er sein Riesenvermögen nicht anhäufen können, so dass es auch keine Geldwäsche gegeben hätte. Ohne Mitwirkung von Néstor und Cristina Kirchner wäre die anormal hohe Zuteilung öffentlicher Bauten an die Báez-Firmen mit phänomenalen Überpreisen und Vorzugszahlungen nicht möglich gewesen. Die Aufzeichnungen des Chauffeurs Centeno, der mit Dollar gefüllte Säcke in der Wohnung von Cristina und in der Residenz in Olivos abgegeben hat, zu denen noch die Aussagen mehrerer reuiger Unternehmer kommen, bestätigen dies. Juristisch ist der Fall eindeutig. Doch jetzt stehen die Richter auch unter dem Druck der öffentlichen Meinung. Eine Verurteilung von Cristina wäre ein klares Zeichen des ethischen Wandels der Gesellschaft.

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