Am Donnerstagabend der Vorwoche, als Cristina Kirchner nach Hause kam und die wenigen Schritte vom Auto bis zum Eingang ihrer Wohnung gegangen war, näherte sich ein Mann, der mit einer 9 mm Bersa-Pistole auf ihr Gesicht zielte. Er schoss, aber aus irgendeinem Grund gab es keine Kugel, und es passierte nichts. Man fragt sich dabei als erstes, wie so etwas möglich war, nachdem Cristina mehrere Polizisten als ständige Leibwache hat und außerdem von aktiven Anhängern umgeben war, die auf die Anwesenheit eines Fremden aufmerksam sein sollten.
Der Täter wurde sofort festgenommen. Es war ein 35-jähriger Brasilianer, der seit Jahrzehnten in Argentinien lebt und schon wegen unbedeutender Delikte vorbestraft war, sich sein Leben als Chauffeur verdiente, aber politisch nicht aktiv war und offensichtlich keinen konkreten Grund für dieses Attentat hatte. Bevor der Fall auch nur oberflächlich untersucht wurde, dekretierte Präsident Fernández für den Freitag einen Nationalfeiertag, was gewiss keinen Sinn hatte. Er rechtfertigte dies damit, dass dem Volk die Gelegenheit gegeben werde, auf die Straße zu gehen und für Cristina einzustehen.
Beiläufig politisierte er den Fall, indem er das Attentat mit angeblichen Brandreden des Hasses in Beziehung setzte, ohne überhaupt zu wissen, welche Motivation der Täter hatte, der nach der Festnahme geschwiegen hatte. Schuld am Attentat haben somit Staatsanwalt Luciani und mehrere kritische Journalisten. Gleich danach wiederholten Innenminister Wado De Pedro und mehrere Politiker des Kirchnerismus die gleiche These. Im Wesen entartete somit das Attentat auf einen Großangriff der Regierung auf die Justiz und die Pressefreiheit. Denn diese Hasskampagne bezieht sich nicht nur auf die Anklage von Staatsanwalt Diego Luciani, sondern auf die meistens gut fundierte Kritik zahlreicher Journalisten an dieser Regierung, die gewiss nicht von Hass getragen wird, sondern von guten Argumenten. Dass diese Regierung ständig viel Material für Kritik liefert, ist nicht Schuld der Journalisten, deren Aufgabe es ist, zu informieren und das Geschehen zu erklären, was auch mit Kritik verbunden ist.
Cristina erwartete vor dem Attentat eine politische Reaktion auf die Klage von Luciani: dass ihre Anhänger massenweise auf die Straße gingen und es überall Unruhen gäbe. Doch nichts dergleichen geschah. Vor ihrer Wohnung versammelten sich laut Polizeiangaben nur ca. achttausend Menschen, von denen die meisten nicht lange dort verblieben. Die Gewerkschaften und der Peronismus verhielten sich passiv. Die Politiker dieser Richtung sind schlaue Füchse und wollen nichts mit der gigantischen Kirchner-Korruption zu tun haben.
Cristina hat durch das Attentat erreicht, was sie wollte: am Freitag fand ein Massenaufmarsch auf der Plaza de Mayo, auch an anderen Orten und in Städten des Inneren statt. Sie hat dabei politische Bedeutung gewonnen. Und das soll offensichtlich dazu führen, dass das Gerichtsverfahren von der Justiz auf die Politik übergeht. Wie sie sich dies konkret vorstellt, ist vorerst ihr Geheimnis.
Alles deutet darauf hin, dass dieses Attentat von ihrer Truppe inszeniert wurde. Das dürfte nach und nach allgemein bewusst werden und negativ für Cristina wirken. Ob der Täter Geld bekommen hat oder sonstwie motiviert wurde, weiß man noch nicht. Bisher hat er geschwiegen. Die Opposition hat kein Interesse am Attentat, zumal die Wahlaussichten für 2023 für sie sehr günstig sind. Und schließlich: Wenn jemand Cristina wirklich hätte umbringen wollen, wäre er nicht so stümperhaft vorgegangen. (dpa)
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