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Cristina, der Gesellschaftsvertrag und José Ber Gelbard

Von Juan E. Alemann

José Ber Gelbard
José Ber Gelbard.

Cristina Elisabet Fernández Wilhelm de Kirchner, wie die ehemalige Präsidentin (2007/15) mit vollem Namen heißt, hielt am Donnerstag der Vorwoche einen Vortrag in einem Saal des Geländes von “La Rural”, im Stadtbezirk Palermo, in dem sie ihr neues Buch “Sinceramente” vorstellte. Es war im Wesen eine politische Veranstaltung. Etwa tausend Menschen waren im Saal anwesend (die alle eine spezielle Einladung erhalten hatten), und viel mehr befanden sich auf der Straße, wo der Vortrag auf einem großen Bildschirm wiedergeg-eben wurde.

Entgegen ihrer Gewohnheit, stundenlang zu sprechen (Bei der Eröffnung der Kongresssitzungen hat sie einmal drei Stunden geredet), hat sie nur 40 Minuten gesprochen. Sie hat sich (noch?) nicht als Präsidentschaftskan-didatin aufgestellt, aber doch Grundzüge für eine eventuelle neue Präsidentschaft bekanntgegeben. Die Rede war freundlicher als das Buch, in dem viel Ressentiment zum Ausdruck kommt.

Auffallend war ihr Lob für den US-Präsidenten Donald Trump, der ideologisch so ungefähr das Gegenteil von ihr darstellt, und außerdem persönlich mit Präsident Macri befreundet ist. Sie betonte, dass die Wirtschaft der USA in Schwung gekommen sei, und lobte einmal seine Politik der niedrigen Zinsen, und dann auch seinen Protektionismus für die Industrie. Hier knüpfte sie an das Konzept an, dass der Ausbau der Industrie wesent-lich sei, um Beschäftigung und Wohlstand zu schaffen. Dass heute in Argentinien etwa zwei Drittel der Bes-chäftigung auf Dienstleistungen entfallen, erwähnte sie nicht, ebenso wie sie die Veränderung der Industrie als Folge der technologischen Revolution und der internationalen Verflechtung überging. Sie denkt im Grunde in Kategorien, die seit Langem überholt sind.

In diesem Zusammenhang kam sie auf José Ber Gelbard zu sprechen, den sie besonders lobte und als einen vorbildlichen Unternehmer darstellte. In Wirklichkeit war Gelbard kein echter Unternehmer, sondern ein Ges-chäftemacher und ein Unternehmenspolitiker, der einen Verband aufbaute (benannt “Confederación Gen-eral Económica”), der sich von den traditionellen Unternehmen und ihrer Verbände (wie die “Union Industrial Argentina”, die “Sociedad Rural Argentina” und die argentinische Handelskammer) distanzierte und kleine und mittlere Unternehmen ansprach, vor allem im Landesinneren. Mit dieser Struktur machte Gelbard dann Politik, und dabei gelang ihm die Annäherung zu Péron, der mit den traditionellen Unternehmerverbänden eine konfliktreiche Beziehung hatte. Dass Cristina jetzt Gelbard hervorhob, hängt wohl auch damit zusam-men, dass die Journalistin und Schriftstellerin María Seoane, die ihr Buch geschrieben hat (Cristina hat nur Anekdoten diktiert), vor Jahren ein Buch über Gelbard geschrieben hat, das den Titel “Der verfluchte Bour-geois” (El burgués maldito) trägt. In der Tat war Gelbard eine höchst außergewöhnliche Persönlichkeit.

Gelbard war in Polen geboren, war Jude (was in Argentinien zum Glück keine Rolle spielt), und kam als Junge nach Argentinien, ohne die Primarschule abgeschlossen zu haben. Das hat er nachher in Argentinien aufge-holt, ohne jedoch die Sekundarschule zu besuchen. Er hat sich mit allerlei Tätigkeiten durchgeschlagen und war dabei auch Straßenverkäufer in Catamarca. Er trat damals der kommunistischen Partei bei. Plötzlich war er dann Inhaber eines großen Hotels in Catamarca und hatte somit ein Unternehmerformat. Es wird ange-nommen, dass die Sowjetunion ihm damals das Hotel finanziert hat, im Zuge einer Politik der Bildung einer argentinischen Unternehmerschaft, die ihr freundlich gesinnt war. Das hat Gelbard viel später, als Minister, honoriert, u.a. indem er u.a. das Wasserkraftwerk Salto Grande, am Uruguay Fluss, an ein sowjetisches Un-ternehmen vergab, das dabei eine veraltete Technologie verwendete, die ineffizient war.

1954 hatte Präsident Juan Domingo Perón bestimmt, dass Gelbard, damals Leiter des genannte Un-ternehmerverbandes, den Kabinettssitzungen beiwohnen konnte. Das hat ihn politisch gestärkt, und ihm auch erlaubt, mehr Anhänger für seinen Verband zu erhalten. Nachdem Perón abgesetzt wurde, und sich schlie-ßlich in Madrid niederließ, unterhielt Gelbard gute Beziehungen zu ihm. Als der Peronismus 1973 wieder an die Regierung kam, zunächst mit Héctor Cámpora als Präsident, und dann auch mit Perón und Isabel, wurde Gelbard zum Wirtschaftsminister ernannt, ein Amt, für das er gewiss nicht qualifizierte.

Als Minister hat er mehrere Gesetze durchgesetzt, an erster Stelle das Mehrwertsteuergesetz. Es handelt sich hier um die wichtigste Steuerreform seit der Einführung der Einkommenssteuer im Jahr 1932. Das war ein großer Fortschritt, der wohl auch ohne Gelbard gekommen wäre. Doch dann hat er auch das Gesetz über Industrieförderung durchgesetzt, das eine wahre Kalamität war. Das Gesetz förderte die Gründung von Indus-triebetrieben im Landesinneren mit übertrieben großzügigen Steuervergünstigungen, wobei kaum echte Kapitalbeiträge notwendig waren. Eine Berechnung des Ökonomen Daniel Artana (von der Stiftung FIEL) hat ergeben, dass die Staatskasse dabei mehr Geld eingesetzt hat, als effektiv für die Errichtung der Fabriken investiert wurde. Gewiss wurden im Rahmen dieses Gesetzes einige Unternehmen errichtet, die heute noch bestehen, wie die Zellstofffabrik Alto Paraná in Misiones, die Gipsplattenfabrik Durlock und viele andere. Aber in den meisten Fällen ging es nur darum, den Staat zu betrügen. Die Steuervergünstigungen wurden 1976 stark eingeschränkt, auch mit Einführung von Quoten, aber das Gesetz als solches wurde erst in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts außer Kraft gesetzt. Der Druck der Begünstigten war eben sehr groß gewesen, und es dauerte eine Weile, bis sich bestehende Unternehmen bewusst wurden, was diese künstlich geförderte Konkurrenz für sie bedeutete. Viele, besonders Textilunternehmer, gingen dabei zu Grunde.

Zurück zu Cristina. Diese Industriepolitik von Gelbard entspricht etwa ihrem Konzept, was das große Lob für ihn erklärt. Doch außerdem lobte sie das Sozialabkommen, das Gelbard 1973 erreicht hat, das im Wesen kein solches und noch weniger ein “Gesellschaftsvertrag” war, sondern in einer Einfrierung von Preisen und Lö-hnen bestand. Das führte zunächst zu einer drastischen Senkung der Inflation, bei gleichzeitig starker BIP-Zunahme. Das dauerte jedoch nicht lange, wobei ein zunehmendes Haushaltsdefizit aufkam und die Geld-schöpfung gefährlich zunahm. Die Einfrierung ließ sich nicht lange durchhalten, so dass es wieder Preis- und Lohnerhöhungen gab, wobei beiläufig auch der Wechselkurs stark zurückblieb, was nach dem Tod von Pe-rón, Mitte 1975 mit einer Megaabwertung korrigiert wurde, die Wirtschaftsminister Celestino Rodrigo vollzog, der von aller Welt verflucht wurde, obwohl er gewiss keine Schuld am unhaltbar niedrigen Wechselkurs hatte, der auf alle Fälle korrigiert werden musste. Danach kam der Zusammenbruch, der in der ersten Hyperinfla-tion und der Regierungsübernahme durch die Streitkräfte endete.

Das Konzept eines Sozialpaktes hatte Mussolini als wesentlichen Bestandteil des Faschismus aufgestellt. Perón war ein Bewunderer von Mussolini (was er offen zugab) und wollte dies in Argentinien einführen. Doch das System hat auch in Italien nicht funktioniert. Mussolini konnte jedoch als harter Diktator, mit großer Macht, auch die Gewerkschaften beherrschen, und das hat er dann in sein korporatives Konzept gekleidet.

Allein, abgesehen davon, dass Cristina von Wirtschaft nicht allzuviel versteht, und von allerlei Vorurteilen belastet ist, ist das Konzept eines Gesellschaftsvertrages im Sinne des französischen Philosophen Jean Jacques Rousseau, der es im 18. Jahrhundert, vor der französischen Revolution, zum ersten Mal vorlegte, richtig. Es muss eine Einigung über die Grundlagen einer modernen Gesellschaft geben, die von der Regierung, den Oppositionspolitikern und auch Unternehmern, Gewerkschaftler und Intellektuellen prinzipiell geteilt wird. So etwas besteht, ohne es an die große Glocke zu hängen, in den großen Staaten, die sowohl auf wirtschaftlichem, wie auf sozialen Gebiet, und auch sonst, erfolgreich sind. Wenn Cristina jetzt von einem Sozialpakt spricht, so ist sie eigentlich nicht so weit von Macri entfernt, der sich um eine Grundsatzeinigung bemüht. Und das ist positiv. Dennoch denken beide anders. Für Macri geht es nur um Grundsätze, auf denen eine moderne Gesellschaft und eine Marktwirtschaft fußt, während Cristina ein Interventionismus vorschwebt, der in Einzelheiten geht und, wie sie es am Donnerstag ausdrücklich sagte, in einer Planung mit quantitativen Zielen zum Ausdruck kommen soll. Das hat sie mit Nachdruck hervorgehoben. Wenn sie ihrem Buch schreibt, dass sie die Macri-Regierung mit Chaos verbindet, so zeugt das eben von ihrem Unverständnis der Marktwirtschaft, die Ordnung nicht durch staatliche Planung sondern durch Marktsignale schafft, an denen staatliche Planung meistens vorbeigeht. Und hier besteht der wesentliche Unterschied im Konzept der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik zwischen ihr und Macri.

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