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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Carmen 2.0

Flamenco-Pop, Bierkästen und Mundschutz in der Oper Hannover

Von Catharina Luisa Deege

Staatsoper
Die Staatsoper Hannover krempelte den Klassiker erfolgreich um. (Foto: Sandra Then)

Hannover (AT) - Im Web, mit rotem Minirock und weißen Sneakern; so stellt man sich die Diva aus George Bizets berühmtester Oper wohl nicht vor. Und trotzdem muss man an diesen einen Namen denken, wenn Sängerin Evgenia Asanova mit ihrem dunklen, welligen Haar so selbstbewusst dasteht, in der Mitte der riesigen Bühne: Carmen.

Die tschechische Regisseurin Barbora Horáková hat sich mit ihrer Inszenierung dieses waschechten Opernklassikers viel getraut. Schon im Vorhinein verriet sie in einem Interview, dass sie sich von der jungen Popsängerin Rosalía inspirieren ließ. Pop und Oper - wie geht das zusammen?

Ein Bindeglied zwischen Rosalías Musik und der Szenerie Bizets Oper ist das traditionell Spanische. Die Popsängerin arbeitet musikalisch sowie tänzerisch mit Elementen aus dem Flamenco. Carmen ist stolze Spanierin; sinnlich, verführerisch und leidenschaftlich wie ihre landeseigene Tanzmusik.

Diese Einflüsse sind nicht das einzig Außergewöhnliche an der Opernadaption. Horáková spielt mit den Hygienemaßnahmen, die von der deutschen Regierung für Kulturstätten beschlossen wurden. Die Tänzerinnen, die Carmen wie eine Art „Gang“ in vielen Szenen umgeben (Choreographie: James Rosental), tragen teilweise barbusig Mundschutz. Passagen, in denen eigentlich ein riesiger Opernchor die Solisten gesanglich eingehüllt hätte, wurden schlichtweg gestrichen oder von wenigen Sänger*innen übernommen. Marius Felix Lange hatte keinen leichten Job beim Neuarrangement der Partitur. Da der Orchestergraben in diesen Zeiten nur etwa zu einem Drittel gefüllt werden darf, musste die Komposition von Lange rigoros bearbeitet werden. Dem Musikgenuss tat dies jedoch keinen Abbruch, wikte an einigen Stellen sogar erfrischend.

Die Geschichte der weltberühmten 1875 uraufgeführten Oper Bizets ist genauso dramatisch wie hochaktuell. Es ist eine Erzählung, die eine junge, freiheitsliebende Frau aus einfachen Verhältnissen in den Blick nimmt, ihre Liebesdramen und Entscheidungen deutet und am Ende schmerzlich verurteilt.

Warum sollte sich Carmens Leben heutzutage nicht auf der Straße abspielen? Warum sollte die durch ihre Schönheit und Sinnlichkeit wie ein Star wirkende Frau nicht beim Singen der berühmten Arie „Habanera“ von einer Videokamera gefilmt werden? Was würde besser passen, als eine Carmen, die auch Männer beim „Wettsaufen“ schlagen könnte? Tragischerweise passt selbst die Schlussszene perfekt in die heutige Zeit. Auf entsetzliche Art und Weise wird Carmen von dem vor Eifersucht verrückten Don José (Rodrigo Porras Garulo) niedergestochen. Dabei erweist der Mörder dem Publikum nicht einmal die Ehre, sich vom hübschen Gesicht Carmens zu verabschieden. Er deckt es mit seinem weißen Hemd ab. Nach dem verübten Femizid singt er noch ein letztes Mal „Carmen, meine Liebe“.

Die Staatsoper Hannover feierte die Premiere von „Carmen“ kurz vor der zweiten großen Schließung der Kulturinstitutionen in Deutschland. Es ist jedoch möglich, die Inszenierung auf der Plattform youtube.com oder direkt auf der Website „OperaVision“ bis Mitte nächsten Jahres kostenlos abzurufen.

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