Warnung oder Übung? Moskau und London streiten über britisches Schiff
Moskau/London (dpa) - Ohrenbetäubend dröhnen Kampfjets im Minutentakt über Deck, von der Seite knallen Schüsse der russischen Küstenwache: Es sind eindrückliche Szenen, die ein Reporter an Bord des britischen Zerstörers "HMS Defender" schildert. Auf der Brücke schlüpft die Besatzung in feuerabweisende Schutzkleidung, Abwehrsysteme werden in Stellung gebracht. Der Bericht der "Daily Mail" gestern legt nahe, dass russische Angaben über Warnschüsse und Bombenabwürfe stimmen dürften, mit denen die "Defender" vor der Halbinsel Krim im Schwarzen Meer vertrieben worden sein soll.
Doch die britische Regierung beharrt auf ihrer Position: Das Schiff habe sich an internationales Recht gehalten und sei dem direkten Kurs Richtung Georgien gefolgt. Warnschüsse? Gab es demnach nicht. Es habe sich lediglich um eine russische Militärübung gehandelt, betonte Kabinettsmitglied George Eustice im Sender Sky News. Dies komme in der Region um die von Russland annektierte ukrainische Halbinsel Krim häufiger vor, Moskau habe vorab darüber informiert. Premierminister Boris Johnson lästerte, Russland wolle allen einen Bären aufbinden.
Die Berichte britischer Medien - auch ein BBC-Reporter ist an Bord der "Defender" - legen allerdings eine andere Sicht nahe. So habe Kapitän Vincent Owen seiner Crew deutlich gemacht, dass es darum gehe, internationales Recht durchzusetzen, man sei also absichtlich durch die von Russland beanspruchte Zone gefahren, berichtete die "Mail". Demnach handelte es sich um eine Art Kräftemessen. Als zwei russische Schiffe versuchten, die "Defender" abzudrängen, habe Owen amüsiert bemerkt: "Wir hängen sie ab." Dass dies zutrifft, lässt sich aus Johnsons Bemerkungen durchaus ableiten. "Es war absolut richtig, das Gesetz zu verteidigen und die Freiheit der Schifffahrt durchzusetzen, in der Weise, wie wir es getan haben", sagte der Premier.
Hintergrund der beispiellosen Konfrontation im Schwarzen Meer ist der Ukraine-Konflikt. Die Einverleibung der Krim durch Russland 2014 wird international als illegal eingestuft, völkerrechtlich gehört das Gebiet zur Ukraine - darauf beruft sich auch die Royal Navy. Die "Defender" hatte zuvor im ukrainischen Hafen Odessa Halt gemacht und an Übungen mit US-amerikanischen und ukrainischen Kräften teilgenommen. Dagegen beharrt Moskau, das die Halbinsel zu einer militärischen Bastion ausgebaut hat, darauf, dass die Krim zu Russland gehört.
"Der Unwillkommene", titelte die russische Regierungszeitung "Rossijskaja Gaseta" am Donnerstag und zeigte dazu ein Foto des britischen Zerstörers, der unerlaubt "unsere Gewässer" befahren habe. Die Zeitung "Kommersant" machte die erhöhte Nato-Präsenz im Schwarzen Meer für die Eskalation der Lage verantwortlich.
Moskau werde seine territoriale Integrität notfalls auch militärisch verteidigen, sagte Vize-Außenminister Sergej Rjabkow der Agentur Interfax zufolge. Russland warne alle Staaten vor Grenzverletzungen und "ähnlichen provozierenden Schritten". Man könne zwar an den gesunden Menschenverstand und an die Achtung internationalen Rechts appellieren, sagte Rjabkow. "Aber wenn das nicht hilft, können wir bombardieren - nicht nur den Kurs, sondern auch Ziele, wenn die Kollegen nicht verstehen."
Moskau bleibt also bei seiner Position - und den schweren Vorwürfen in Richtung London: Die "Defender" sei unerlaubt in russisches Hoheitsgewässer eingedrungen und habe erst nach den Schüssen den Kurs geändert. Kremlsprecher Dmitri Peskow warf den Briten eine "bewusste und vorbereitete Provokation" vor. Der Vorfall könne "ernsthafteste Folgen" haben, legte das Außenministerium nach. Der britischen Botschafterin in Moskau sei eine scharfe Protestnote übergeben worden.
Der Zeitpunkt des Zwischenfalls ist brisant. Russland empfindet das bevorstehende internationale Manöver "Sea Breeze" (Meeresbrise) als Provokation. Tausende Soldaten sowie Dutzende Schiffe und Flugzeuge aus 32 Ländern trainieren vom kommenden Montag an gemeinsam im Schwarzen Meer. Russland fordert, auf das Manöver zu verzichten.
Schwierige Beziehungen
Moskau/London (dpa) - Die Beziehungen zwischen London und Moskau sind seit Jahren stark belastet. So wirft die britische Regierung der russischen vor, sie sei verantwortlich für die tödliche Vergiftung des Ex-Spions Alexander Litwinenko in London 2006 sowie für den Giftanschlag auf den früheren Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter in Salisbury 2018. Moskau weist die Anschuldigungen zurück.
Wie sich die Beziehungen nun entwickeln, bleibt abzuwarten. Seit dem Brexit meldet sich die britische Regierung vehement bei Menschenrechtsverletzungen zu Wort, kritisierte lautstark die Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny. Direkten Kontakt zwischen Moskau und London gibt es offenbar kaum.
Beide Seiten zeigen sich allerdings bereit, das zu ändern. Der Chef des russischen Auslandsgeheimdiensts SWR, Sergej Naryschkin, sagte, er stehe für Gespräche mit dem britischen Geheimdienst MI6 zur Verfügung und habe bereits dessen Chef Richard Moore geschrieben.
Erinnerung wach halten
Berlin (dpa) - Deutschland und die USA wollen künftig noch enger zusammenarbeiten, um die Erinnerung an den Holocaust wach zu halten und der Leugnung von Nazi-Verbrechen entgegenzuwirken. Die Außenminister Heiko Maas und Antony Blinken unterzeichneten gestern am Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden Europas eine gemeinsame Erklärung, die eine erste hochrangige Holocaust-Konferenz Ende dieses Jahres vorsieht. "Wir sind zutiefst darüber besorgt, dass die Leugnung, der Revisionismus und die Verfälschung des Holocaust auf dem Vormarsch sind und der Antisemitismus zunimmt", heißt es darin.
Die Konferenz soll von den Außenministerien zusammen mit Vertretern des Holocaust Memorial Museums in Washington und der deutschen Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas vorbereitet werden und der Auftakt für weitere Beratungen sein. Außerdem wollen sich beide Seiten international für bessere Bildung zum Thema stark machen.
Man sehe es als die gemeinsame Pflicht an, "alles in unserer Macht Stehende zu tun, um dafür zu sorgen, dass künftige Generationen die Wahrheit über den Holocaust erfahren, und um durch unser Handeln zu verhindern, dass solch schreckliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit je wieder geschehen", heißt es in der Erklärung.
Blinken, der aus einer jüdischen Familie stammt und dessen Stiefvater die Konzentrationslager Treblinka, Majdanek, Dachau und Auschwitz überlebt hat, nannte die Initiative einen "historischen Dialog". Er wies darauf hin, dass sich antisemitische Inhalte im Internet gerade während der Corona-Pandemie vervielfacht hätten und die Leugnung des Holocaust zunehme. Es sei gerade deswegen wichtig zu verstehen, dass der Holocaust "kein steiler Absturz, sondern ein allmählicher Abstieg in die Dunkelheit" gewesen sei.
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