Von Juan E. Alemann
Die argentinische Erfahrung zeigt, dass kritische finanzielle Situationen, die eine nicht traumatische Lösung haben, wenn sie rechtzeitig erkannt werden und entsprechend gehandelt wird, in der Regel schließlich zu einer explosiven Krise führen, die dann wirtschaftlich und sozial viel kostspieliger ist. Die Hyperinflation von Alfonsín, die Anfang 1989 eintrat, hätte vermieden werden können, wenn er sein Stabilisierungsprogramm, genannt Austral-Plan, durchgehalten hätte. Dieses Programm, das von seinem unlängst verstorbenen Wirtschaftsminister Juan Vital Sourrouille entworfen und erfolgreich durchgeführt wurde, was sogar in den Wahlen von 1985 zum Ausdruck kam, wurde von Alfonsín mit einem Schlag zerstört, als er dem führenden Gewerkschafter Lorenzo Miguel eine Lohnerhöhung von 35% zugestand, die sein Wirtschaftsminster vorher verweigert hatte. Er hatte die Essenz der Stabilisierung nicht verstanden. Von da bis zur Hyperinflation war es nur eine Zeitfrage.
Auch Präsident Fernando de la Rúa geschah es ähnlich. Als er 2001 Ricardo López Murphy zum Wirtschaftsminister ernannte, und dieser ein Programm vorlegte, mit Kürzung der Staatsausgaben u.a. Maßnahmen, stützte er ihn nicht und forderte seinen Rücktritt. Von da an führte der Weg direkt zu einer Megakrise, die Ende des Jahres ausbrach und zum Rücktritt des Präsidenten führte. De la Rúa ernannte nach López Murphy den ehemaligen Wirtschaftsminister Cavallo für dieses Amt, der sein Prestige als Minister unter Menem mitbrachte, aber dieses Mal große Fehler begang. U.a. verfügte er eine Abschaffung von Unternehmerbeiträgen zum Pensionierungssystem, ohne den IWF zu fragen. Daraufhin betrachtete dieser das damals bestehende Abkommen als erloschen und zahlte die nächste Kreditquote nicht aus. Das hatte eine verhängnisvolle Wirkung, die zur Aufgabe der Konvertibilität und einer starken Abwertung führte, der der Rücktritt von De la Rúa folgte. Es gab einen Inflationssprung, mit starker Abwertung, aber die Hyperinflation wurde durch die tiefe Rezession verhindert, die damals eintrat, bei der die Gewerkschaften einen kolossalen Reallohnverlust hinnahmen. Das Opfer wäre mit der Politik von López Murphy viel geringer gewesen, und die traumatische politische Entwicklung hätte vermieden werden können.
Der einzige Präsident, der auf ein Krisenzeichen richtig reagierte, war Carlos Saul Menem. Als die Wirtschaft Anfang 1990 aus den Fugen geriet und auch eine Hyperinflation eintrat, reagierte er richtig. Er benutzte die kritische Lage, um seinen Deputierten und Senatoren Angst einzuflößen, sagte ihnen, dass ein Andauern dieser Lage zu einer neuen Militärregierung führen werde, und erreichte dabei, dass sie seine wesentliche Gesetzesprojekte sofort verabschiedeten: das Privatisierungsgesetz und das Gesetz über die Staatsreform. Das waren die legalen Grundlagen der Privatisierungen, der Deregulierungen und zahlreicher Reformen der Staatsstruktur, die vor dem Konvertibilitätsplan begannen, der im April 1991 eingeführt wurde, und zu seinem Erfolg betrugen, mit minimaler Inflation und einem BIP-Wachstum von etwa 60% in seinen zehneinhalb Jahren Regierung.
Jetzt stehen wir erneut vor einer Lage dieser Art. Würde vernünftig gehandelt, mit einer Beschleunigung des Umschuldungsabkommens mit dem Internationalen Währungsfonds, einer harten Fiskalpolitik und, nicht zuletzt, mit einer ebenfalls harten Lohnpolitik, die Sprünge bei einzelnen Branchen nicht zulässt, weil sie dann auf die anderen übergehen (wobei ein Reallohnverlust unvermeidlich ist), dann kann die Krise mit relativ geringen sozialen Kosten überwunden werden. Wenn dies nicht geschieht, dann kommt es schließlich zur Hyperinflation, spätestens nach den Novemberwahlen, aber eventuell schon vorher. Und dabei geht die Wirtschaftsleistung weiter zurück, und das Leid der Bevölkerung, vor allem der Armen und des unteren Mittelstandes, nimmt weiter zu.
Halten wir fest, dass der Fonds jetzt die Lösung für Argentinien erleichtert hat, weil die neuen Ziehungsrechte für u$s 4,3 Mrd. für die Zahlung der kurzfristig bevorstehenden Zinsen und Amortisationsquoten eingesetzt werden können, so dass die Frist bis zu einem Abkommen ohne vorangehenden Default um mehrere Monate hinausgeschoben wird. Das gibt Zeit, um die einzelnen Themen zu behandeln, die sich bei der Sanierung der Staatsfinanzen ergeben.
Wirtschaftsminister Martín Guzmán ist sich des Problems bewusst. Wie weit er Präsident Alberto Fernández überzeugt hat, weiß man nicht. Denn dieser hat ohnehin keine festen Überzeugungen, und schwankt hin und her. Doch das Problem ist Cristina Kirchner, die meint, dass die Wirtschaftspolitik, die Guzmán befürwortet, bei der Bevölkerung schlecht ankommt und ihre Partei dann die Wahlen verliert. Guzmán soll ihr erklärt haben, dass ohne harte Maßnahmen die Gefahr einer Inflationszunahme und einer Vertiefung der Rezession besteht, was sich auch negativ auf die Wahlen auswirken werde. Doch Cristina denkt anders, lässt sich vom Wunschdenken verführen, und steht auch unter dem ideologischen Einfluss von Personen ihres Umfeldes, die zur Cámpora-Gruppe oder zum Patria-Institut gehören, und die Ansicht vertreten, ein Bruch mit dem IWF spiele keine Rolle, und man müsse eine Wirtschaftspolitik auf der Grundlage einer Abschottung von der Welt, von Verstaatlichung privater Unternehmen (die in Wirklichkeit Beschlagnahmungen ohne Entschädigung sind) und Kontrollen aller Art durchführen. Obwohl der Kommunismus weltweit versagt hat, und aufgegeben wurde, in der Sowjetunion und den Satellitenstaaten explosiv zusammengebrochen ist, und in China schrittweise und geordnet abgeschafft wurde, gibt es immer noch Kommunisten, die sich als “fortschrittlich” oder dgl. tarnen. Zu dieser Kategorie gehören viele sogenannte “harte” Kirchneristen.
Das erste auffällige Symptom der Hyperinflation ist der freie Wechselkurs, der in mehreren Wechselkursen zum Ausdruck kommt und in extremer Form im schwarzen Kurs (“blue”) in Erscheinung tritt. Der Geldüberhang, der schon besteht und ohne Verhärtung der Finanzpolitik weiter zunehmen wird, führt in Argentinien direkt zu einer höheren Dollarnachfrage. Der Kurs von $ 185, der in der Vorwoche erreicht wurde, ist bezogen auf die Kaufkraftparität, absurd. Zu diesem Kurs kostet vieles, in Dollar umgerechnet, halb so viel und auch weniger als in den USA. Aber die Menschen wissen, dass der Dollar sie schließlich nie betrogen hat, und kaufen weiter, unabhängig des Wechselkurses.
Der Zusammenhang zwischen Geldschöpfung und Inflation hat in Argentinien bestimmte Eigenarten. Gewiss kommt dies nicht in einer allgemein überhöhten Nachfrage zum Ausdruck. Bestenfalls wird dabei ein Teil des Nachfrageausfalls gedeckt, den die Krise herbeigeführt hat. Aber der freie Dollarkurs gilt als Richtlinie für viele Preise, die nichts mit diesem Kurs zu tun haben. Und dann führt die hohe Marge zwischen dem offiziellen und dem freien Kurs zu Überfakturierung bei Importen und Unterfakturierung bei Exporten. Die Kontrollen des Zollamtes reichen nicht aus, um dies zu vermeiden. Wobei auch hier die Korruption eine Rolle spielt. Ebenfalls nährt dies die Erwartung eines Abwertungssprunges beim offiziellen Markt, der dann vorsichtshalber bei den Wiederbeschaffungskosten einkalkuliert wird, was die Preise vorzeitig in die Höhe treibt. Die ZB kann vorläufig den offiziellen Kurs dank einer strengen Devisenbewirtschaftung und frei verfügbaren Währungsreserven von ca. u$s 7 Mrd. halten. Aber die Finanzwelt weiß, dass dies nicht ewig dauert, und rechnet somit auch hier mit einem Abwertungssprung, noch in diesem Jahr. Auch diese Erwartung wirkt inflationär.
Wenn die allgemeine Preiszunahme zu zusätzlichen Lohnerhöhungen führen, entsteht auch von dieser Seite Druck auf die Kosten, die auf die Preise abgewälzt werden. Und wenn dieser Reigen sich beschleunigt, dann ist die Hyperinflation bald da. Der Weg von einer Jahresinflation 50% auf eine ebenso hohe Inflationsrate in einem Monat ist erfahrungsgemäß sehr kurz.
Was nach der Hyperinflation kommt, weiß man nicht. Alberto Fernández ist nicht eine Reaktion, wie die von Menem zuzumuten. Doch vielleicht überrascht er uns. Eine Hyperinflation hat auch politische Folgen. Theoretisch sollte sie Cristina schwächen, aber es kann auch so kommen, dass sie die Schuld auf Alberto Fernández abschiebt, und ihn eventuell zum Rücktritt zwingt. In diesen Dingen ist sie eine Meisterin.
Eine Hyperinflation löst das Problem des zu großen Staates durch reale Verringerung von Gehältern von Staatsangestellten, von Pensionen und Renten, und auch von anderen Ausgaben. Das ist schon eingetreten, wird aber bei Hyperinflation verstärkt. Das schafft eine neuen Ausgangspunkt, etwa wie es 2002 der Fall war, und erleichtert die Sanierungspolitik. Aber es kann auch anders kommen.
Religiöse Menschen sollten beten, andere können nur hoffen. Doch alle sind dabei politisch gefordert und sollten für Vernunft eintreten und die Politiker unter Druck setzen. Eine mehrheitliche öffentliche Meinung wirkt gelegentlich Wunder.
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