Schließende Clubs, abziehende Modeszene, überteuerte Mieten
Berlin (dpa) - Es gibt diese charmanten Orte natürlich noch; die Matratzen auf den Gehsteigen, die zerbrochenen Flaschen am U-Bahnhof, den Imbiss mit Technomusik. Berlin lebt vom Image, dass aus wenig ständig Neues entsteht und dort (scheinbar) alles geht. Nun verlassen wesentliche Teile der Fashion Week überraschend die Stadt, Kunstsammlungen wandern ab und Clubs fürchten ums Überleben.
Mit dem Ausdruck „Arm, aber sexy“ hat der frühere Regierungschef Klaus Wowereit seine Stadt beschrieben. Rausgekramt wird das Zitat heute gerne, aber trifft es eigentlich noch zu?
Die Hauptstadt war lange verschrien als verarmter Klotz am Bein der reicheren Bundesländer.
Mittlerweile hat sich Berlin an vielen Ecken verändert. Nirgendwo in Deutschland wuchs in den vergangenen Jahren die Zahl der Erwerbstätigen stärker. Zehntausende zogen an die Spree, auch weil sie dort Arbeit fanden. Auf Brachflächen entstanden Wohnungen mit Doppelwaschbecken und Kücheninsel. Selbst ein Pastrami-Sandwich kann 15 Euro kosten.
Die Mieten sind explodiert, der Raum für Querköpfe und Kreative wird enger, das ungehobelte Berlin glatter. Die Clubszene etwa fürchtet ums Überleben. Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, mussten Clubs zwar überall schließen. Aber in Berlin macht das Nachtleben zwischen Späti und dem bekannten „Berghain“ viel aus.
Das merkte man auch im Januar während der Modewoche. Der große Laufsteg lag im alten Kraftwerk und soll auch dort bleiben, mehrere Modemessen dagegen ziehen nach Frankfurt am Main. Die Neuauflage ist dort für Sommer 2021 geplant. Der Wunsch: sich neu aufstellen an einem „unverbrauchten Standort“.
Dass Teile der Fashion Week nach Frankfurt ziehen, findet Heinz Gindullis - genannt Cookie - traurig. Er gründete in den 90ern den legendären Cookies Club und betreibt heute zwei Restaurants. Die Fashion Week habe internationales Flair gebracht.
Früher habe man Berlin wegen der Loveparade gekannt, dann wegen der Mode. Auch die Berlinale sei wichtig. Er findet, es habe noch nie so eine große Vielfalt und Menschen mit Leidenschaft in der Stadt gegeben wie jetzt. Wowereits Spruch sei gut gewesen, passe aber nicht mehr: Statt „Arm, aber sexy“ gelte eher „Arm, sexy und reich“.
Berlins Tourismuschef Kieker sieht im Weggang der Modemessen dagegen keinen Grund zur Sorge - im Gegenteil. Berlin habe mehr Fünf-Sterne-Hotels als New York, sagte Kieker.
In der Stadt selbst allerdings sorgen die Veränderungen auch für Auseinandersetzungen. Die Mieten hat die Landesregierung mittlerweile mit einem umstrittenen Gesetz gedeckelt; werden etwa Kiezkneipen die alten Mietverträge gekündigt, sorgt das regelmäßig für Proteste. Dass es enger wird in der Stadt, ist auch für Clubs nicht leicht. Die Pandemie bedroht nun zusätzlich ihre Existenz.
Das Clubleben auf Pause, Modemessen auf dem Absprung - und auch in der Kunstwelt läuft beispielsweise der Leihvertrag mit der „Flick Collection“ ab. Verliert Berlin also seinen Status und sein Gesicht? „Ich tue mich schwer mit Abgesängen“, sagte Kultursenator Klaus Lederer (Linke) der Deutschen Presse-Agentur. „In Berlin wurde vieles immer mal wieder totgesagt und hat sich trotzdem in neuer Form anderswo wieder und weiterentwickelt.“
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