Russland räumt viele Tote ein / Keine Waffenruhe in Sicht
Brüssel/Moskau (dpa/mc) - Als Reaktion auf Berichte über Menschenrechtsverletzungen der russischen Armee hat die UN-Vollversammlung die Mitgliedschaft Russlands im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ausgesetzt. Für die Suspendierung Russlands aus dem Gremium stimmten 93 UN-Mitglieder, darunter Deutschland, Argentinien und die USA. 58 Mitglieder enthielten sich.
24 Mitglieder stimmten dagegen, darunter neben Russland unter anderem noch Algerien, Bolivien, China, Kuba, Nordkorea, Eritrea, Äthiopien, der Iran und Syrien. Der russische Vize-UN-Botschafter Dmitri Polianski sagte, die Resolution habe "keinerlei Beziehung zur wirklichen Menschenrechtssituation vor Ort".
Nach wie vor bleibt Russland aber Mitglied der Vereinten Nationen - und als ständiges Mitglied mit Veto-Recht im Sicherheitsrat auch eines der mächtigsten. Es erklärte seine Mitgliedschaft im Menschenrechtsrat nach der Abstimmung selbst vorzeitig für beendet.
Derweil räumte Russland sechs Wochen nach seinem Einmarsch in die Ukraine erstmals große Verluste in der eigenen Truppe ein. "Wir haben bedeutende Verluste, das ist eine gewaltige Tragödie für uns", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow gestern dem britischen Sender Sky News.
Zuletzt hatte Russland noch von 1351 getöteten eigenen Soldaten gesprochen. Die Ukraine schätzt, dass knapp 19.000 russische Soldaten getötet wurden. Überprüfbar ist das nicht. Die Schuld an zivilen Opfern in der Ukraine gab Peskow am Donnerstag ausschließlich den ukrainischen Kräften. "Unsere Militär tut sein Bestes, um diese Operation zu beenden", sagte der Kremlsprecher.
Nach Gräueltaten an Hunderten Bewohnern in der Region Kiew, wo die Russen abgezogen sind, verschärft auch die Nato ihren Kurs - und will nun mehr und auch schwere Waffen an die Ukraine liefern. Bei einem Außenministertreffen der Nato-Staaten verständigten sich die Anwesenden auf zusätzliche Militärhilfe. Noch vor rund zwei Wochen war eine Lieferung schwerer Waffen in dem Verteidigungsbündnis ausgeschlossen worden - wegen der Sorge, dass Russland auch gegen Nato-Staaten vorgehen könnte. Mehrere Teilnehmer bestätigten nun im Hintergrund, dass das Nato-Land Tschechien bereits Kampfpanzer auf den Weg in die Ukraine gebracht hat.
Vor der erwarteten russischen Offensive im Osten der Ukraine forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mehr Unterstützung aus dem Westen. Sollte es kein "wirklich schmerzhaftes Sanktionspaket" und keine Lieferung der angeforderten Waffen geben, werde Russland dies als "Erlaubnis zum Vormarsch" sehen, warnte er. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba drang bei den Nato-Staaten auf mehr Tempo. "Entweder Sie helfen uns jetzt, und ich spreche von Tagen, nicht von Wochen, oder Ihre Hilfe wird zu spät kommen."
Im Kiewer Vorort Butscha verdichten sich nach Angaben der örtlichen Behörden die Hinweise auf russische Kriegsverbrechen. Etwa 90 Prozent der getöteten Zivilisten wiesen Schusswunden auf, sagte Bürgermeister Anatolij Fedoruk gestern der Deutschen Welle. Mit Stand Mittwochabend seien in Butscha 320 Leichen gefunden worden. "Aber die Zahl der entdeckten Leichen steigt mit jedem Tag", sagte Fedoruk.
Dem Bundesnachrichtendienst (BND) liegen abgefangene Funksprüche russischer Militärs vor, die an der ukrainischen Zivilbevölkerung verübte Gräueltaten unweit von Kiew belegen. Wie der "Spiegel" gestern zuerst berichtete, informierte der Auslandsgeheimdienst am Mittwoch Parlamentarier über den Inhalt der Funksprüche.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtete gestern unter Verweis auf ukrainische Augenzeugen von neuen Hinweisen auf russische Kriegsverbrechen in der Ukraine. Russische Truppen hätten ihren Informationen zufolge wiederholt unbewaffnete Menschen in deren Häusern oder auf offener Straße erschossen, teilte die Organisation mit.
Kohle-Embargo gebilligt
Brüssel (dpa) - Die 27 EU-Staaten haben das fünfte große Paket mit Russland-Sanktionen auf den Weg gebracht. Die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten billigten gestern Abend Vorschläge der EU-Kommission, die einen Importstopp für Kohle, Holz und Wodka sowie zahlreiche weitere Strafmaßnahmen vorsehen. Das bestätigten mehrere Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel.
Damit die Sanktionen in Kraft treten können, müssen die notwendigen Rechtsakte nun nur noch im schriftlichen Verfahren angenommen und im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden. Diese Schritte gelten allerdings als Formalie und sollen am heutigen Freitag abgeschlossen werden.
Die EU unterstützt zudem jene Staaten, die Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen, mit weiteren 3,4 Milliarden Euro. Das EU-Parlament in Straßburg stimmte gestern einem entsprechenden Vorschlag der EU-Kommission zu. Rund 2,55 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine haben sich seit Beginn der russischen Invasion vor mehr als einem Monat allein ins Nachbarland Polen gerettet.
Frankreich wählt
Paris (dpa/mc) - In Frankreich steht am Sonntag die erste Runde der Präsidentschaftswahl an. Die Kandidatinnen und Kandidaten warben auf den letzten Metern um die Wählergunst. Staatschef Emmanuel Macron stellte bei seinem einzigen großen Wahlkampfauftritt am Samstag mehr soziale Gerechtigkeit und Kaufkrafthilfen in der aktuellen Krise in Aussicht. "Unser Projekt für 2022, das ist Solidarität und sozialer Fortschritt", sagte Macron vor Zehntausenden Anhängern in Nanterre bei Paris. Die Kaufkraft ist zum alles überragenden Wahlkampfthema geworden, weitere wichtige Themen sind die Bildung, Gesundheitsversorgung und Migration. Der 44-jährige Mitte-Politiker kandidiert für eine zweite Amtszeit.
Drei Tage vor dem Urnengang war der Abstand zwischen Macron und seiner wichtigsten Herausforderin Marine Le Pen nur noch knapp. Während der amtierende Präsident gestern in einer Umfrage von Ipsos-Sopra Steria leicht auf 26,5 Prozent fiel, legte die Rechte Le Pen auf 23 Prozent zu. Auf Rang drei liegt der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon mit 16,5 Prozent.
Den gleichen Trend wies gestern eine Ifop-Umfrage aus, die Macron ebenfalls mit leichten Verlusten bei 26,5 Prozent und Le Pen mit Zugewinnen bei 24 Prozent sah. Mélenchon blieb in dieser Umfrage stabil bei 17,5 Prozent.
Abgeschlagen folgen in beiden Umfragen die Bewerber der klassischen Volksparteien, die bürgerlich-rechte Republikanerin Valérie Pécresse mit 8,5 bis 9 Prozent und die Sozialistin Anne Hidalgo mit jeweils zwei Prozent. Den Rechtsextremen Éric Zemmour, der zu Beginn des Wahlkampfs einen Höhenflug erlebte, sehen beide Umfragen nur noch bei 8,5 Prozent.
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