Pueblo Liebig - Zwei Ansichten
Für die Bibliothek des Centro DIHA haben wir das Buch von Alba González, Los herederos. El imaginario de “gran familia” en Pueblo Liebig, Entre Ríos. Bs. As.: Biblos 2020. erworben, zum Thema Pueblo Liebig. Auf dem sechsten Kolloquium des Centro DIHA 2017, das sich mit deutschsprachigen Institutionen und Vereinen in Argentinien befasste, hatte die Architektin Adriana Ortea zum Thema Pueblo Liebig vorgetragen. Ihre Arbeit ist im Cuaderno del Archivo Nr. 5/6 herausgekommen, es ging um die Anfänge des Unternehmens mit dem dazugehörigen Dorf in der argentinischen Provinz Entre Ríos und die Geschichte der Unternehmer, welche die Liebig-Fabriken in Uruguay und Argentinien aufgebaut haben. Sie hatte herausgefunden, dass nicht nur der Fleischextrakt, der das Unternehmen berühmt gemacht hat, von dem bekannten Chemiker Justus von Liebig erfunden wurde, sondern auch, dass das Unternehmen von Georg Giebert, einem deutschen Ingenieur, gegründet und von dem Deutschen Otto Gunther finanziert worden war. Bis zum Ersten Weltkrieg befanden sich die Fabriken in den Händen der Nachkommen dieser Gründergeneration.
Dieselben Personen kommen im Buche von Alba González vor, in dem eins der Kapitel heißt “Ein englisches Unternehmen mit deutschem Namen”, ähnlich wie Orteas Artikel. Allerdings weisen wir hier darauf hin, dass in dem Buch eine völlig andere Ansicht vertreten wird als bei Ortea. Frau González nimmt als Grundlage die Arbeitswelt und die Wirtschaftsführung, die von den Bedingungen vor Ort und vom Firmenkapital abhängig waren, das aus einer Londoner Finanzanstalt kam, in der Gunther einer der Teilhaber war. Die Historikerin sieht zwar die deutschen Namen der Vorstandsmitglieder der Firma, nicht jedoch deren Geist oder die Organisation des Unternehmens. Das Buch ist gut recherchiert und zeigt u. a. die Entwicklung der Arbeitskämpfe in der Firma Liebig’s, die Anlage des Dorfes und die Arbeitsgänge in der Fabrik. In dem bezüglich Zielsetzung und Thema äußerst reichhaltigen neuen Buch wird nicht auf Orteas Artikel verwiesen (der ja erst 2019 im Druck erschien). Sehr bedauerlich, denn man hätte den historischen Hintergrund ausleuchten können. Ortea hat aufgezeigt, dass eine Gruppe deutscher Industrieller, unter anderem von England aus finanziert, zu Anfang dort arbeitete, und nicht eine englische Firma, die deutsche leitende Angestellte entsandt hatte, wie es bei Alba González steht.
Diese gegensätzlichen Ansichten aufzuzeigen, ist für Centro DIHA wichtig. Sie lassen klar erkennen, auf welche Weise der deutsche Beitrag zur argentinischen Kultur oft in Vergessenheit gerät. In der Geschichtsschreibung finden wir immer wieder solche Phänomene. Wir hoffen, dass die Arbeit unseres Zentrums die geschichtliche Wahrheit ans Licht bringt oder ergänzt.
RR
(Aus Mitteilungsblatt VII/11-2020)
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