Neues Buch von María Bjerg
Von Maria Bjerg, einer bekannten Immigrationsforscherin in Argentinien, kam ein neues Buch heraus (El viaje de los niños. Inmigración, infancia, memoria en la Argentina de la segunda posguerra) über die Geschichte von Einwanderern, die nach schwierigen Jahren im Europa des spanischen Bürgerkriegs und des Zweiten Weltkriegs als Kinder mit ihren Familien nach Argentinien kamen. Es sind bewegende Geschichten von Kindern und Jugendlichen, die aus Gesprächen mit den Betroffenen zusammengestellt und in einen geschichtlichen Zusammenhang eingebettet wurden, sodass nicht die Perspektive der erinnernden Person überwiegt, sondern die Umstände begreiflich werden, unter denen die Kinder damals aufwachsen mussten.
Obwohl kurz vor und auch in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg insgesamt ca. 80.000 Deutsche nach Argentinien kamen, meist Familien, unter denen naturgemäß mehrere Tausende Kinder waren, kommt laut der Einleitung kein deutsches oder deutschsprachiges –inzwischen alt gewordenes– Kind zu Wort, das von der Verfolgung von Deutschen (meist jüdischen Glaubens oder aus jüdischer Familientradition) innerhalb von Deutschland durch die Nazis berichtet oder über die allgemeine Not und Entbehrungen, die der Weltkrieg und die Zerstörung Deutschlands für die deutsche Bevölkerung bedeuteten. Eine Ausnahme war Rosette Kleinmann, deren Eltern aus Köln nach Paris geflohen waren, wo sie zur Welt kam, allerdings nicht als Deutsche, sondern als Tochter einer Geflohenen. Kleinmann, ein Wiener, lernte die Mutter erst kennen, als Rosette schon da war, und er adoptierte sie. In der Familie wurde Französisch und Deutsch gesprochen (die Mutter lernte keine fremden Sprachen), aber für die Töchter war Frankreich ihr Land. Wenn sie zum Zeitpunkt der Interviews noch gelebt hätte, wäre die Geschichte der Mutter ein Beispiel für die Verfolgung gewesen.
Als ich vor ca. dreißig Jahren im Goethe-Institut einen Literaturkurs gab, erzählten die Teilnehmer zu Beginn ihr Leben. Fast alle in dieser Gruppe kamen aus jüdischen Familien und hatten ein sehr zwiespältiges Verhältnis zu ihrem Herkunftsland, das sie mit zwölf, dreizehn, vierzehn Jahren ausgesondert und als Nichtdeutsche verfolgt hatte. Sie hatten in Argentinien ohne Schulabschluss und Berufsausbildung einen schwierigen Start und einen ganz anderen Lebensverlauf, als ursprünglich angestrebt. Ähnlich erging es den ganz jungen volksdeutschen Einwanderern, die, nachdem ihre Familien im Nachkriegsdeutschland nicht heimisch geworden waren, in Argentinien früh zur Arbeit in ungelernten Tätigkeiten gezwungen waren. Die Soziologin Beate Hock hat in dem Buch In zwei Welten (2016) einige dieser Schicksale aufnotiert. Das Buch von Maria Bjerg gibt viel zu denken, gerade wenn man, wie auch ich, natürlich schon mit einer belastenden Vorgeschichte, in jenen Jahren als Kind in dieses Land gekommen ist und damals den so nationalistischen Peronismus miterlebt hat. Da frage ich mich jetzt, was denn mein Schicksal gewesen wäre, hätten meine Eltern sich nicht gerade dieses Land ausgesucht, um sich den verkrusteten Strukturen Nachkriegsdeutschlands zu entziehen. R. Rohland (Aus Mitteilungsblatt VII – 5/2020)
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