Von Juan E. Alemann
Der griechische Philosoph Aristoteles sagte vor über zweitausend Jahren: Wenn die Demokratie in Anarchie ausartet, dann kommt die Diktatur. Das ist logisch gedacht; denn die Gesellschaft kann bei totaler Unordnung, also Anarchie, nicht normal leben. Ungewissheit, Furcht vor der unmittelbaren Zukunft, persönliche Unsicherheit u.a. Erscheinungen, die das tägliche Leben betreffen, sind auf Dauer untragbar. Die Geschichte bietet viele Beispiele für diese Entwicklung.
Mussolini kam an die Macht als in Italien eine große Anarchie herrschte und sorgte für Ordnung, gelegentlich mit originellen Methoden. So wurden Lastwagenfahrer, die in der Mitte der Straße fuhren und andere nicht vorbeikommen ließen, von seinen Schwarzhemden aufgehalten und erhielten dann Rizinusöl in den Mund. Den Rest kann man sich vorstellen. Politisch erntete Mussolini dabei allgemeine Zustimmung und konnte fast bis Ende des Zweiten Weltkrieges regieren. Hätte er es vermieden, eine Allianz mit Hitler einzugehen, wie es der kluge Franco in Spanien getan hat, hätte er noch weiter regieren können.
In Deutschland traten nach dem ersten Weltkrieg auch anarchische Zustände ein, zunächst mit Hyperinflation und danach mit Rezession und zunehmender Arbeitslosigkeit, die Anfang der 30er Jahre ca. 30% der arbeitsfähigen Bevölkerung erreichte. Diese Lage erlaubte Hitler mit seiner Partei politisch Fuß zu fassen und 1933 die Regierung zu übernehmen. Es gibt noch viel mehr Beispiele dieser Art, die zum Glück nicht so tragisch wie dieser Extremfall waren.
Argentinien erlebte nach dem Tod von Perón im Juli 1974 auch eine zunehmende Anarchie, weil seine Nachfolgerin “Isabelita” der Aufgabe nicht gewachsen war, und von Terroristen und Gewerkschaften überrannt wurde. Das führte zu totaler Anarchie, die schließlich in einer Militärdiktatur endete. Die Ordnung, die danach eintrat, führte zu einer Normalisierung, die am Anfang von der Gesellschaft als positiv empfunden wurde, bis der verlorene Malwinenkrieg die Stimmung grundsätzlich änderte.
Jetzt steht Argentinien erneut vor anarchischen Zuständen, mit hoher und stark zunehmender Inflation und riesigen Straßenkundgebungen verschiedenen Ursprungs, die alle eine große Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen. Das wird durch die Spannung innerhalb der Regierung und deren Ratlosigkeit auch angespornt. Die hohe Inflation, mit Preisen, die verrückt geworden sind, die hohe persönliche Unsicherheit, die gestiegene extreme Armut, sind unerträglich, ganz besonders bei der weit verbreiteten Korruption, die in ihrer verschiedenen Ausdrucksformen eine Ohrfeige für den normalen Bürger ist.
In früheren Zeiten hätten die Streitkräfte schon längst die Regierung übernommen und für Ordnung gesorgt, ein Thema, das sie gut verstehen, nachdem die Streitkräfte selber nur mit strikter Ordnung denkbar sind. Doch heute besteht diese Möglichkeit nicht. Einmal wirken die Prozesse und die Verurteilung von Militärs zu langen, oft lebenslänglichen Haftstrafen, weil sie den Terrorismus bekämpft haben, auf die neuen Generationen von Offizieren abschreckend. Und dann sind die Streitkräfte seit Dezember 1983 stark geschrumpft, auch weil Menem den Militärdienst abgeschafft hat, und die Gehälter real stark zurückgegangen sind. Doch wenn die bestehende Anarchie noch längere Zeit andauert, kann man nicht ausschließen, das es doch zu einem militärischen Putsch kommt.
So, wie die Lage jetzt ist, muss man bis Dezember 2023 warten und hoffen, dass dann eine Regierung kommt, die Ordnung schafft. Doch die Krise kann auch vorher eskalieren, mit einem Rücktritt von Alberto und Cristina, und Ernennung eines Präsidenten durch das Parlament. Und dieser, wer immer es sei, müsste für Ordnung sorgen. Sonst geht der Reigen weiter.
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