Weltklimarat drängt auf mehr Klimaschutz-Tempo
Genf/London/Berlin (dpa/wvg) - Nur eine rasche und drastische Senkung des Treibhausgas-Ausstoßes kann die Erderwärmung nach Einschätzung des Weltklimarats noch auf maximal 1,5 Grad begrenzen. Die Zeit zum Handeln sei gekommen, heißt es in einem am Montag veröffentlichten Bericht des Weltklimarats (IPCC). „Wir sind an einem Scheideweg. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, können eine lebenswerte Zukunft sichern“, erklärte der IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee.
Die Vereinten Nationen hatten im vorigen Jahr ihr Ziel bekräftigt, die Erderwärmung im Vergleich zum späten 19. Jahrhundert auf 1,5 Grad zu begrenzen, um katastrophale Folgen des Klimawandels abzuwenden. Es seien mittlerweile effektive Klimaschutzmaßnahmen, gesetzliche Regulierungen und Marktmechanismen bekannt, betonte Lee. „Wenn diese entsprechend skaliert und breiter angewendet werden, können sie tiefgreifende Einsparungen von Emissionen unterstützen und Innovationen ankurbeln.“ So seien etwa die Kosten für Solar- und Windenergie seit 2010 um bis zu 85 Prozent gesunken, was den Ausbau erneuerbaren Energien angekurbelt habe.
Im Durchschnitt lag der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen zwischen 2010 und 2019 so hoch wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Allerdings habe sich die Wachstumsrate verlangsamt, heißt es im Bericht. Aber ohne unverzügliche Verringerungen der Emissionen sei das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr zu erreichen.
Dazu gehört etwa im Energiesektor, erheblich weniger fossile Energieträger zu nutzen, den Verkehr und andere Sektoren weitgehend zu elektrifizieren, die Energieeffizienz zu verbessern und alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff zu nutzen.
Der Weltklimarat beleuchtete außerdem, welchen Einfluss es hat, weniger Fleisch zu essen oder sich klimafreundlicher fortzubewegen - und kommt zu dem Schluss: Lebensstil und persönliches Verhalten spielen zwar eine wichtige Rolle fürs Klima. Doch brauche es die richtigen Rahmenbedingungen durch die Politik, betonen die Autoren. Die Verantwortung dürfe nicht auf den Einzelnen abgewälzt werden. Mit Richtlinien, neuen Technologien und passender Infrastruktur könne man die Treibhausgas-Emissionen bis 2050 um 40 bis 70 Prozent reduzieren, heißt es - „ein erhebliches ungenutztes Potenzial“.
Die Wissenschaft hält es für immer wahrscheinlicher, dass die Erhitzung der Erde zeitweise die kritische Schwelle von 1,5 Grad übersteigen wird, bevor sie durch entsprechende Maßnahmen wieder sinken könnte. Dabei wird auch die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre eine Rolle spielen, die vom Weltklimarat erstmals ausführlicher betrachtet wurde. Die Experten befürworten zwar die Erforschung solcher Techniken, warnen aber davor, sich darauf zu verlassen. Keine Technologie dieser Art könne auffangen, was an notwendigen Einsparungen in anderen Bereichen ausbleibe.
Für den Bericht hatten Hunderte Wissenschaftler aus 65 Ländern in den vergangenen Jahren Zehntausende Studien ausgewertet. Er ist Teil des 6. Sachstandsberichts des Weltklimarats, dessen Veröffentlichungen als umfassendster und international anerkannter Stand der Klimaforschung gelten. In dem Bericht, dem 195 IPCC-Mitgliedstaaten am Montag zustimmten, geht es um Maßnahmen zur Abschwächung des Klimawandels.
Die Bewegung Fridays for Future und andere Aktivisten zeigten sich alarmiert. Der Bericht zeige: „Das Zeitfenster für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommen schließt sich rasant.“
Comments