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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Der längste Krieg der USA

Von Can Merey

US-Army
(Foto: wikipedia.es)

Barack Obama gab sich verhalten optimistisch. "Auch wenn es in Afghanistan noch dunkle Tage geben wird, ist das Licht eines sicheren Friedens in der Ferne zu sehen. Diese langen Kriege werden zu einem verantwortungsvollen Ende kommen", sagte der US-Präsident im Juni 2011. Das war knapp zehn Jahre nach Beginn des US-geführten Einsatzes am Hindukusch.

Ein knappes Jahrzehnt später ist ein "sicherer Frieden" immer noch nicht in Sicht. Der jetzige Präsident Joe Biden - Obamas damaliger Vize - will den Krieg nun trotzdem beenden, und zwar ohne Bedingungen. Am 11. September soll Schluss sein, auch für die Bundeswehr. Zu diesem symbolträchtigen Datum sollen alle internationalen Truppen abgezogen sein.

In keinen Krieg waren die USA länger verwickelt. Der Konflikt zeigt eindrücklich, wie viel einfacher es ist, in ein Land einzumarschieren als es wieder zu verlassen. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 dauerte es keine vier Wochen, bis die USA unter Präsident George W. Bush die ersten Bomben über Afghanistan abwarfen. Das Taliban-Regime hatte sich geweigert, den mutmaßlichen Drahtzieher und Al-Kaida-Chef Osama bin Laden auszuliefern. Bald darauf folgten Bodentruppen. Ende 2001 stürzte das Regime.

Die USA und ihre Partner erlagen damals jedoch der Fehleinschätzung, dass der Konflikt weitgehend entschieden wäre. Mit Beginn der US-Invasion im Irak 2003 lenkten die Amerikaner Ressourcen und Truppen dorthin um.

Bei einem Washington-Besuch des afghanischen Übergangspräsidenten Hamid Karsai sagte Bush 2004: "Koalitionskräfte, darunter viele tapfere Afghanen, haben Amerika, Afghanistan und der Welt ihren ersten Sieg im Krieg gegen den Terror beschert." Wie sehr die Lage dann aber kippte, beweist eine Bush-Aussage vier Jahre später bei einem Nato-Gipfel in Bukarest: "Wir dürfen Afghanistan nicht verlieren - koste es, was es wolle."

Wie real auch heute die Gefahr ist, Afghanistan zu verlieren, machte eine vom US-Kongress eingesetzte Expertengruppe in einem Bericht im Februar deutlich. Die Fachleute entwarfen verschiedene Szenarien, keines davon optimistisch, manche katastrophal: eine Rückkehr der Taliban an die Macht, einen erneuten Bürgerkrieg, eine wachsende Terrorbedrohung für die USA und eine weitere Flüchtlingskrise mit Auswirkungen auch auf die EU.

Eine erst vor wenigen Tagen veröffentlichte Einschätzung der US-Geheimdienste klingt ebenfalls eher düster: Sie halten die Aussichten für ein innerafghanisches Friedensabkommen binnen zwölf Monaten für gering. Bei den Friedensverhandlungen in Doha gibt es auch nach vielen Monaten keine nennenswerten Fortschritte. In dem Bericht heißt es: "Die Taliban werden wahrscheinlich Gewinne auf dem Schlachtfeld erzielen und die afghanische Regierung wird Schwierigkeiten haben, die Taliban in Schach zu halten, wenn die Koalition ihre Unterstützung zurückzieht."

Der Abzug aus Afghanistan gehörte zu Bidens Wahlversprechen. Sein Vorgänger Donald Trump hatte ein solches Versprechen ebenfalls abgegeben, es aber nicht halten können. Trumps Regierung hatte mit den Taliban einen Abzug der internationalen Truppen bis zum 1. Mai vereinbart. Biden sagt nun nach vorab verbreiteten Auszügen einer Ansprache, er sei der vierte Präsident mit Truppen in Afghanistan. "Ich werde diese Verantwortung nicht an einen fünften weitergeben." Und weiter: "Es ist an der Zeit, Amerikas längsten Krieg zu beenden. Es ist der Zeit für die amerikanischen Truppen, nach Hause zu kommen."

Trotz der anhaltenden Angriffe der Taliban auf Sicherheitskräfte und Zivilisten macht die Biden-Regierung deutlich, dass der Abzug nicht an Bedingungen geknüpft ist. Das ist eine Abkehr der bisherigen Linie, die ein US-Regierungsvertreter nun als "ein Rezept für einen ewigen Verbleib" bezeichnet. Die Terrorbedrohung für die USA aus Afghanistan sei nicht mehr so groß, dass eine Truppenpräsenz notwendig wäre. Innerafghanische Probleme könnten aber nicht von ausländischen Soldaten gelöst werden. Das kann man nach fast 20 Jahren Einsatz als Bankrotterklärung werten - oder als späte Anerkennung der Realitäten.

Deutschlands Außenminister Heiko Maas (SPD) wollte das Ende des Nato-Einsatzes eigentlich vom Erfolg der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und afghanischer Regierung abhängig machen. Der bedingungslose Abzug nimmt Kabul nun das wichtigste Druckmittel in diesen Gesprächen. Entsprechend groß fällt dort der Frust darüber aus. Ein Verhandler der Regierungsdelegation nannte den Beschluss das "Verantwortungsloseste und Egoistischste", was die USA ihren afghanischen Partnern zufügen könnten.

Die US-Regierung sagt zwar zu, den Friedensprozess weiter voll zu unterstützen - aber nur mit diplomatischen Mitteln. "Was wir nicht tun werden ist, unsere Truppen als Verhandlungsmasse in diesem Prozess zu benutzen", so der Regierungsvertreter. Die USA würden auch alles dafür unternehmen, Errungenschaften wie Frauenrechte und Meinungsfreiheit zu schützen. "Aber wir sind der Meinung, dass dies durch aggressive diplomatische, humanitäre und wirtschaftliche Maßnahmen geschehen muss, nicht durch die Fortsetzung des US-Krieges in Afghanistan." Ob das ausreichen wird?

Der Regierungsvertreter betont, die USA müssten sich auf neue Herausforderungen konzentrieren: etwa den Wettbewerb mit China, die Pandemie oder Terrorbedrohungen, die von anderen Ländern ausgingen. Das erfordere, das Afghanistan-Kapitel nun zu schließen, "um Amerikas nationale Sicherheitsinteressen zu schützen und zu verteidigen". Biden formuliert das so: "Wir sind nach Afghanistan gegangen wegen eines schrecklichen Angriffs, der vor 20 Jahren geschah. Das kann nicht erklären, warum wir 2021 dort bleiben sollten." (dpa)

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