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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Am Rande des Abgrunds

Von Juan E. Alemann

Die effektiven Devisenreserven der Zentralbank, die für Kurspflege eingesetzt werden können, neigen ihrem Ende zu und wären ohne die restriktiven Maßnahmen, die die Regierung und auch die ZB schon getroffen haben, schon erschöpft. Es sollen weniger als eine Milliarde Dollar verbleiben. Und wenn man den Goldbestand und die Ziehungsrechte des IWF hinzuzählt, gelangt man auf höchstens u$s 6 Mrd. Wenn die Reserven zu Ende gehen, dann springt der offizielle Wechselkurs in die Höhe. Eventuell kann dies zunächst verhindert werden, indem keine Importgenehmigungen erteilt werden. Doch auch das bedeutet nur, dass sich die Kursexplosion nur verzögert.

Wenn die ZB nicht mehr auf dem Devisenmarkt interveniert, dann löst der Markt das Problem. Doch das bedeutet, dass man einen bedeutenden Kurssprung erwarten kann, der die ganze Wirtschaft noch mehr durcheinander bringt. Dieser Sprung wirkt sich sofort auf das allgemeine Preisniveau aus, viel mehr als es sich aus der Wirkung auf die Preise von Import- und Exportgütern ergibt. Das kann dann der Impuls sein, der für die Hyperinflation fehlt. Halten wir fest, dass die Erfahrung mit den drei Hyperinflationswellen, die Argentinien erlebt hat (mit Höhepunkt jeweils im März 1976, 1989 und 1990) in sehr kurzer Zeit auftraten. Nachdem jetzt auch ein hoher Geldüberhang besteht, weil die anormal hohe Zunahme der Staatsausgaben mit Geldschöpfung finanziert wurde, wird die Hyperinflation, (vom US-Ökonomen Phillip Cagan, der das Phänomen weltweit eingehend studiert hat, definiert als eine Preissteigerung von ca. 50% in einem Monat) auch von dieser Seite angespornt. Abgesehen davon würde ein Kurssprung die bestehende Rezession vertiefen und auch die soziale Katastrophe explosiv erhöhen.

Präsident Alberto Fernández hat jetzt Wirtschaftsminister Martín Guzmán die volle Verantwortung für die Überwindung der Krise gegeben. In dieser Lage müsste eigentlich sofort ein doppelter Devisenmarkt eingeführt werden, mit einem für die Handelsbilanz und einen Teil der Dienstleistungsbilanz, und einem anderen für die Kapitalbilanz, den Tourismus u.a. Dienstleistungsbereiche. Das würde sofort den Druck auf den offiziellen Markt verringern, weil dann der Kauf der u$s 200 monatlich und auch Devisenkäufe für Auslandsreisen auf den freien Markt übergehen. Und wenn gleichzeitig eine Weißwaschung für Kapitaleingänge verfügt würde, die für bestimmte Zwecke eingesetzt werden (Wohnungsbau, Zahlung von Steuern, Arbeitskapital und konkrete Investitionen), dann kann man auf diesem freien Devisenmarkt ein Angebot erwarten, das den Wechselkurs drückt. Denn der hohe Kurs auf dem Schwarzmarkt, der eine verheerende Wirkung hat, beruht darauf, dass dieser Markt strukturell unausgeglichen ist, also eine hohe Nachfrage aufweist, die durch Geldschöpfung geschürt wird, aber kaum Angebot aufweist.

Doch Minister Guzmán sieht die Dinge anders und handelt nach dem Prinzip: “Warum einfach, wenn man es auch kompliziert machen kann.” In diesem Sinn will er jetzt die Devisengeschäfte erleichtern, die über den gleichzeitigen Kauf und Verkauf von Staatstiteln in Dollar erfolgen, und “contado con liquidación” benannt werden. Wenn der Zugang zu diesem Markt erleichtert wird, dann wird eine Baissewirkung auf dem Schwarzmarkt erwartet, wobei es zum Teil auch umgekehrt sein kann. Guzmán hofft, dass dann der freie Kurs, weiß und schwarz, sinkt und die Differenz zum offiziellen Kurs tragbar wird.

Konkret wurde beschlossen:

  • Die Periode, während der die Staatspapiere bei diesen Geschäften nicht verkauft werden dürfen (benannt “parking”), wird auf 3 Tage verringert. Vor Kurzen war verfügt worden, dass es 5 Tage bei denjenigen, die in Argentinien wohnhaft sind, und 15 Tage, bei denen, die ihren Wohnsitz im Ausland haben, sein mussten. Statt den freien legalen Devisenmarkt, der über Kauf und Verkauf von Staatstiteln in Dollar (“contado con liqui”) erfolgt zu hemmen, wie es vor einigen Wochen versucht wurde, soll dieser Markt jetzt gefördert werden, so dass er indirekt auch dazu beiträgt der schwarzen Kurs zu drücken. In diesem Sinn hätte die dreitägige Parking-Frist ganz abgeschafft werden sollen. Doch die Bürokraten machen eben alles halbherzig, und wundern sich dann, wenn die erwünschte Wirkung ausbleibt. Im Grunde verstehen sie den Markt nicht.

  • Die ZB bestätigte, dass das Verbot aufgehoben wird, das Mitte September für ausländische Anleger eingeführt wurde, in Argentinien Staatstitel zu verkaufen, die sie im Land gekauft hatten, die ab 16.09.20 verkauft werden konnten, sofern sie der Käufer nicht mindestens ein Jahr im Portefeuille gehalten hat. Das bedeutet, dass Paragraph 5 der ZB-Mitteilung A 7106 von 15.9.20 aufgehoben wird. Dass eine Maßnahme kurzfristig wieder rückgängig gemacht wird, verstärkt den Eindruck einer großen Improvisation.

  • Am 9. und 10. November 2020 soll ein Staatsbond per Auktion verkauft werden, der insgesamt u$s 750 Mio. ausmacht. Das Schatzamt geht somit wieder auf Staatstitel in Dollar über, nachdem in letzter Zeit versucht wurde, nur Titel in Pesos auszugeben. Allerdings war schon die Ausgabe von Titeln, die mit dem offiziellen Wechselkurs indexiert waren (“dollar linked”), ein Schritt in die neue Richtung. Guzmán scheint schließlich verstanden zu haben, dass die Anleger bestenfalls nur bereit sind, Titel zu kaufen, die auf Dollar lauten. Sie müssten jedoch der US-Gerichtsbarkeit unterstellt werden, was hier nicht der Fall ist, und das kostet schließlich eine Zinsdifferenz. Wenn die Inhaber von Pesotiteln bei Verfall die neuen Dollartitel kaufen, dann entfällt der Druck auf den freien Devisenmarkt, der sonst entsteht, weil die Anleger keine Pesotitel halten wollen, weil sie eine hohe Inflation oder eine nicht-Einhaltung von Indexierungsklauseln befürchten, und somit mit den Pesos Dollar kaufen. Konkret bezieht sich dieser neue Bond auf die bestehenden Anlagen der US-Investmentfonds Pimco und Templeton, die u$s 4 Mrd. in argentinischen Titeln halten, die zum Teil mit dem Badlar-Satz verzinst und zum Teil mit dem CER indexiert werden. Wenn sie jetzt die neuen Bonds für u$s 750 Mio. kaufen, kann man erwarten, dass sie dann auch den restlichen Betrag in Bonds dieser Art anlegen.

Abgesehen vom Problem der hohen Differenz zwischen dem freien Kurs (“contado von liqui”) und dem schwarzen mit dem offiziellen, besteht auch ein ungelöstes Problem mit den Importen, die die ZB willkürlich hemmt, um die Devisennachfrage in Schranken zu halten. Der Präsident der Kammer der Importeure, Rubén García, erklärte, es gäbe gegenwärtig an die tausend Anträge für Importgenehmigungen, die von der ZB nicht erledigt werden. Das bezieht sich auf Importe, die noch nicht abgeschlossen wurden und auch auf solche, die schon bezahlt wurden. Ohne diese Importhemmung wären die verfügbaren Devisenreserven schon aufgebraucht worden. Dieser Zustand führt dazu, dass die Importeure ihre Bestände nicht verkaufen, weil sie nicht wissen, ob und zu welchem Preis (in Dollar) sie sie erneuern können. Da es sich in vielen Fällen um Rohstoffe und Produkte handelt, die als Teile in lokal erzeugte Produkte eingeschlossen werden, hemmt dies die lokale Fabrikation. Das Problem tritt vorläufig nicht akut auf, weil die Industrie allgemein viel weniger als normal produziert.

Die formelle Devisenbewirtschaftung, bei der ein Importantrag zunächst beim Produktionsministerium gestellt wird, und nach Annahme dann bei der ZB die Genehmigung zur Überweisung des entsprechenden Betrages eingeholt werden muss, erfolgt in der Praxis ungeordnet und willkürlich, ohne konkrete Normen, die in jedem Fall bestimmen, was und wie viel importiert werden kann. In einem rationellen System müsste verfügt werden, dass für jedes Importprodukt Fristen für die Einreichung von Importanträgen bestehen, und dann ein Gesamtbetrag für eine bestimmte Periode festgesetzt wird, und die Genehmigungen der einzelnen Anträge entsprechend verringert werden. So funktionierte das System in früheren Zeiten, als die Devisenbewirtschaftung in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts eingeführt wurde. Die willkürliche Handhabung des Systems schafft auch einen Spielraum für Korruption. Außerdem: die Preise, die die Importeure angeben, werden kaum kontrolliert. Das Zollamt u.a. Regierungsämter sind dabei überfordert. Die hohe Differenz zwischen offiziellem und schwarzem Wechselkurs verleiht dieser Kontrolle große Bedeutung.

Die Finanzwelt hat die neue Maßnahme mit großer Skepsis aufgenommen. Am nächsten Tag stieg der Kurs des legalen freien Devisenmarktes (“contado con liqui”) um 4,1% auf $ 171,85. Die neuen Maßnahmen sollten besonders auf diesen Markt wirken und eine Baisse herbeiführen. Doch im Gegenteil näherte sich der Kurs mehr dem des Schwarzmarktes, der um die $ 180 verblieb. Im Grunde besteht die Überzeugung, dass diese Einzelmaßnahmen zu spät kommen und eine geringe Wirkung haben, wie es bei der Senkung der Exportsteuer für Sojabohne um 3 Prozentpunkte der Fall war. Man erwartet eben etwas grundsätzlich anderes, wie u.a. die von uns vorgeschlagene Spaltung des Devisenmarktes (mit gezielten Weißwaschungen).

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