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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Am Rande des Abgrundes

Von Juan E. Alemann

Wenn sich jemand am Rande eines Abgrunds befindet, bedeutet das nicht, dass er in diesen fällt. Er kann zurückgehen und einen anderen Weg suchen. Aber er kann auch einen Sprung über den Abgrund wagen, um auf die andere Seite zu gelangen. Wenn dies nicht gelingt, weil diese zu weit entfernt ist oder die Kraft dafür nicht ausreicht, dann ist es aus. Vor einer Alternative dieser Art steht jetzt die Regierung in Bezug auf die Wirtschaftspolitik.

Die Signale, die in letzter Zeit aufgetreten sind, sind furchterregend. Argentinische Staatstitel, die aus der jüngsten Umschuldung hervorgegangen sind, werden an der Börse von New York zu Schleuderpreisen gehandelt, so dass sich in einer Welt mit extrem niedrigen Zinsen eine Rendite von etwa 18% (in Dollar) ergibt, und die Landesrisikorate fast 1650 Basispunkte erreicht. Als die Umschuldung am 10. September abgeschlossen wurde, bestand die Hoffnung, dass sich die Finanzmärkte beruhigen würden. Doch die Landesrisikorate sprang sofort von 1.100 auf 1.400 in die Höhe, und in letzter Zeit noch viel mehr. Das Vertrauen, das von der Umschuldung erwartet wurde, blieb aus. Auch Aktien argentinischer Unternehmen werden zu Preisen gehandelt, die kaum etwas mit ihrem objektiven Wert (wie immer man diesen berechnet) zu tun hat. Das betrifft nicht nur YPF, das einen Börsenwert von unter u$s 2.000 aufweist, nachdem es noch vor einigen Jahren etwa u$s 20 Mrd. waren. Diese Entwicklung erhält noch durch den Umstand besondere Bedeutung, dass inzwischen der Preis von Sojabohne, und auch von anderen Arten von Getreide und Ölsaaten, sprunghaft gestiegen ist, so dass für dieses Jahr zusätzliche Exporteinnahmen von etwa u$s 10 Mrd. erwartet werden. Dies hätte unter normalen Umständen dazu führen müssen, dass die Landesrisikorate sinkt.

Hinter dieser Entwicklung steht die Verhandlung mit dem Internationalen Währungsfonds, die schleppend vorangeht und von Cristina behindert wird. Von einem Abschluss im Mai, wie in Wirtschaftsminister Guzmán vorweggenommen hatte, ist nicht mehr die Rede. Cristina will kein Abkommen vor den Oktoberwahlen, weil sie vorwegnimmt, dass ein Abkommen so oder so Anpassungsmaßnahmen enthalten wird (den sogenannten “ajuste”), die das Realeinkommen der Bevölkerung beeinträchtigen und im Oktober Stimmen kosten.

Die Klage gegen Mauricio Macri, wegen der Aufnahme des IWF-Kredites von u$s 44 Mrd., die Präsident Fernández angekündigt hat, schafft einen zusätzlichen Konflikt mit dem Fonds. Die Tatsache, dass die Klage juristisch unbegründet ist, weil der Tatbestand nicht justiziabel ist (was der Präsident bestimmt weiß), lässt vermuten, dass dahinter die Absicht steckt, einen Konflikt mit dem IWF zu schaffen, dessen Vorstand (und somit die Staaten, die die einzelnen Direktoren vertreten) das Abkommen angenommen hat und somit die Verantwortung mit Macri teilt. Auf alle Fälle erschwert das die Verhandlung, die sich in Gang befindet.

Aber ohne Abkommen werden Kredite, Investitionen und allerlei einzelne Initiativen und Geschäfte hinausgeschoben, und das wirkt negativ auf die Konjunktur. Der Stillstand, der gegenwärtig besteht, ist umfangreich und für die Wirtschaft sehr kostspielig. Es geht im viele Milliarden Dollar, die auf eine Entscheidung warten. Wenn die für dieses Jahr erwartete Konjunkturerholung ausbleibt, und eventuell eine Vertiefung der Rezession eintritt, dann sind die Wahlaussichten für die Regierungspartei noch schlechter. Wie verlautet, soll sich Guzmán über dies bewusst sein. Aber es gelingt ihm nicht, Cristina und ihre Leute, besonders den harten Kern der Cámpora-Gruppe, zu überzeugen.

Als erster Konfliktpunkt ist schon die Entscheidung über den Stromtarif aufgetreten, dem auch die Tarife öffentlicher Dienste im Allgemeinen folgen. Der Stromtarif ist seit bald zwei Jahren eingefroren, mit unbedeutenden Korrekturen, und das stellt eine untragbare Belastung für die Staatsfinanzen dar, abgesehen davon, dass dabei auch die Unternehmen, die Strom erzeugen, ihn transportieren und vertreiben unter Druck gesetzt werden, was zu einer gefährlichen Verringerung der Instandhaltung führt und notwendige Investitionen ad calendas graecas hinausschiebt. Präsident Fernández sprach vor dem Kongress von einer neuen Rahmenordnung für öffentliche Dienste, von Abschaffung der Bindung an den Dollarkurs und von Tarifen, die sich an das Einkommen der Konsumenten halten. Das mag schön klingen, bedeutet in der Praxis jedoch hohe Subventionen, die im Rahmen einer Verringerung des primären Defizits der Staatsfinanzen nicht möglich sind.

Wirtschaftsminister Guzmán ist ein gut ausgebildeter Ökonom, der zwar mit Cristina spricht, aber nicht auf ihre Phantasien eingeht. Eben weil er genau weiß, um was es hier geht. Wie weit sein Einfluss ausreicht, um Cristina zu überzeugen, ihren Standpunkt aufzugeben, sei dahingestellt. Es ist ein Pokerspiel mit ungewissem Ausgang.

Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass der harte Kern der Cámpora, der die Nachfolge der Montonero-Terroristen darstellt, ein anderes Grundkonzept der Wirtschaftspolitik vertritt. Sie stehen für einen Kommunismus wie in Jugoslawien unter Tito ein, der sich vom sowjetischen darin differenzierte, dass nur große und mittlere Unternehmen staatlich waren, aber kleine privat. Das funktionierte viel besser als der totale Staatsbesitz der Sowjetunion und ihrer Satelliten. Dieses Konzept kann auch mit Varianten verwirklicht werden. Z.B. mit einer staatlichen Kontrolle der Privatunternehmen, die sehr in Einzelheiten geht und den Spielraum für unternehmerische Entscheidungen stark verringert. Dies kommt schon in der Preispolitik bei Lebensmitteln, anderen Produkten des Massenkonsums und jetzt auch bei Baumaterialien zum Ausdruck. Achtung! Der Weg in die Hölle ist mit guten Absichten gepflastert…

Für die Ideologen dieser Gruppe sollte das Abkommen mit dem IWF scheitern und zu einer totalen Abkoppelung Argentiniens von der Welt führen. Die Schulden gegenüber dem IWF u.a. ausländischen Gläubigern würden dann einfach nicht bezahlt, und somit wäre das Zahlungsbilanzproblem gelöst, und bei den Staatsfinanzen bräuchte man keine große Anstrengung machen. Es ist im Grunde das Konzept “Mit unseren Ressourcen leben” (“Vivir von lo nuestro”), das der verstorbene Ökonom Aldo Ferrer schon 1983 aufstellte. Die heutige Welt ist infolge der technologischen Revolution viel vernetzter als damals geworden, so dass die Abschottung von der Welt einen viel größeren Schaden anrichten würde als vor einem halben Jahrhundert.

All das erscheint zunächst wie großer Unfug. Es wäre jedoch nicht das erste Mal, dass sich ein irreales und für ein Land schädliches Konzept durchsetzt. Der Kommunismus der Sowjetunion beruhte schließlich auch auf einer großen Phantasie und hat Millionen Menschen das Leben gekostet, die verhungert sind oder keine Existenzgrundlage mehr hatten, oder schlicht ermordet wurden. Und der Nationalsozialismus in Deutschland war auch eine tragische Phantasie, die viele Anhänger hatte.


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