Von Pastorin Karin Krug
Wenn man unverhofft und ohne eigenes Zutun etwas bekommt, sagt man, man sei dazu gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Man könnte eigentlich auch sagen, man sei dazu gekommen wie Saul zum Königreich. Aber das ist eine nicht sehr bekannte Geschichte aus der Frühzeit Israels.
Saul war der erste König Israels um das Jahr 1015 vor Christus. Das Volk Israel war zu der Zeit laut biblischer Überlieferung ein loser Zusammenschluss einzelner Stämme und geführt von sogenannten Richtern. Dieses Richteramt diente der Rechtsprechung, aber nicht nur. Richter führten das Volk in außergewöhnlichen Situationen, zum Beispiel beim Angriff durch einen äußeren Feind. Wenn die Krise vorbei war, legten sie ihr Mandat nieder und nahmen ihr normales Leben wieder auf. Oder auch nicht. Sie konnten ja auch in Ausübung ihres Amtes das Leben verlieren, wie der bärenstarke Simson, der seine Kraft verlor, als die listige Delila ihn seiner wunderbaren Haare beraubte. Aber das ist eine andere Geschichte.
Voraussetzung für das Richteramt war, die eigene Geschichte und die Gebote Gottes zu kennen und vom Geist Gottes inspiriert zu sein. Das reichte, um das Vertrauen des Volkes zu gewinnen. In der langen Liste der Richter gibt es auch eine starke Frau, Debora. Das Richterbuch erzählt von der Deboraschlacht und dem sogenannten Deboralied, welches zu den ältesten Texten der hebräischen Bibel gezählt wird. Die Israeliten kommen zu ihrem Sitz unter der Debora-Palme, um sich dort von ihr Recht sprechen zu lassen. Sie soll jedoch auch über die Gabe der Prophetie verfügt haben. So ist sie führend im Kampf gegen Jabin und dessen Feldherrn Sisera, die das Volk zwanzig Jahre unterdrückt hatten. Georg Friedrich Händel hat dieser Frauengestalt ein Oratorium gewidmet.
Der letzte Richter war Samuel. An seiner Geschichte kann man ablesen, wie manchmal Institutionen veralten oder gar verlottern und einer neuen Realität Platz machen. Es heißt, dass Samuel seine Söhne als Richter über die Israeliten einsetzte. Das war eigentlich nicht üblich. Sie folgten nicht dem Vorbild ihres Vaters, sondern suchten sich zu bereichern und ließen sich durch Bestechung in ihrem Urteil beeinflussen. Da gingen alle Ältesten Israels zu Samuel und schlugen vor, dass das Volk fortan von einem König regiert werden soll. Das war in allen anderen Völkern im vorderen Orient das System. Samuel war nicht damit einverstanden, aber Gott wies ihn an, dass er ihren Wunsch erfüllen soll. Samuel soll ihnen aber zuvor in aller Deutlichkeit sagen, was der König, der über sie herrschen wird, für Rechte hat und was er mit ihnen tun kann: „Der König wird eure Söhne in seinen Dienst holen, damit sie für seine Pferde und Wagen sorgen und als Soldaten dienen. Andere müssen seine Felder bestellen, wieder andere in der Waffenindustrie arbeiten. Auch die jungen Frauen wird er an seinen Hof holen, damit sie für ihn kochen und backen und ihm Salben bereiten. Die besten Felder, Weinberge und Ölbaumpflanzungen wird er euch wegnehmen und seinen Beamten geben. Von dem Ertrag eurer Felder und Weinberge, von euren Schafen und Ziegen wird er den zehnten Teil eintreiben und damit seine Hofleute und Diener bezahlen. Eure besten jungen Leute und auch eure Esel wird er für sich arbeiten lassen. Wenn es so weit ist, würdet ihr den König, den ihr jetzt verlangt, gerne wieder loswerden.“
Aber Volk besteht darauf, dass sie eine neue Regierungsform wollen: Ein König soll Recht sprechen und sie im Krieg anführen.
Ja, aber woher einen König nehmen? Samuel schaut sich um. Und da kommt Saul ins Spiel. Es heißt, dass er jung und stattlich war, schöner und einen Kopf größer als alle anderen jungen Männer in Israel.
Eines Tages waren Sauls Vater die Eselinnen weggelaufen und der junge Saul bekommt den Auftrag, die entlaufenen Tiere zu suchen, was er auch tat. Zusammen mit einem Knecht durchstreiften sie die ganze Gegend, fanden sie aber nicht. Schließlich kommen sie an einen Ort, wo sich Samuel gerade aufhält, dessen Sehergabe bekannt war. Samuel soll ihnen sagen, wohin sich die Eselinnen verflüchtigt hatten. Als sie Samuel treffen, sagt er zu Saul, dass die Eselinnen bereits gefunden sind. Aber er hat eine Überraschung für Saul bereit: Er sei der Mann, der nun das Volk regieren soll.
Und so fand Saul, der ausgezogen war, die entlaufenen Eselinnen seines Vaters zu suchen, ein Königreich.
Diese Geschichte kam mir dieser Tage in den Sinn, als wir darüber sprachen, dass wir vieles verloren haben in den letzten sieben Monaten und dass nichts mehr so sein wird wie vorher. Das ist schwer zu verdauen. Aber, wer weiß. Vielleicht finden wir etwas Erstaunliches, so wie Saul unverhofft ein Königreich fand.
Comments