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40 spannende Jahre

Botschafter Jürgen Christian Mertens tritt in den Ruhestand

Von Marcus Christoph

Jürgen Christian Mertens
Jürgen Christian Mertens in seiner Residenz. (Foto: Christoph)

Buenos Aires (AT) - „Ich bedauere nicht eine Sekunde, diese Laufbahn eingeschlagen zu haben.“ Jürgen Christian Mertens blickt auf 40 spannende Jahre im diplomatischen Dienst zurück. Die drei letzten Jahre seiner Karriere wirkte er als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Argentinien. Nun tritt der 66-Jährige in den Ruhestand ein. In wenigen Tagen startet der Flieger zurück in die Heimat. Vorher fand Mertens jedoch noch Zeit, dem Argentinischen Tageblatt ein ausführliches Interview zu geben und sich auf diese Weise von den Lesern der Zeitung und der deutschen Gemeinschaft zu verabschieden. Zudem ließ er die spannendsten Stationen seiner Tätigkeit als Diplomat Revue passieren.

Dass am Ende seines langen Weges im Dienste der deutschen Interessen Argentinien stand, war kein Zufall: „Das hatte ich mir konkret gewünscht“, erläutert Mertens, der zuvor bis 2017 als Protokollchef im Auswärtigen Amt fungiert hatte. Ein Faible für Lateinamerika hatte er schon, als er in jungen Jahren gelegentlich Verwandte in Venezuela besuchte. Durch seine Frau Cecilia, die aus Ecuador stammt, verstärkte sich die Affinität zu dieser Weltgegend. Hinzu kamen diplomatische Tätigkeiten in Kuba, Mexiko und Kolumbien. Es fehlte noch der Süden. Zudem gilt die - in Nicht-Corona-Zeiten - kulturell so vielseitige Metropole Buenos Aires als eine Art „Krone“ unter möglichen Standorten für Diplomaten.

Als Mertens seinen Dienst am Río de la Plata im August 2017 antrat, hatte er bereits Gelegenheit gehabt, sich auf sein neues Betätigungsfeld einzustellen. Denn Deutschland und Argentinien waren zeitweise gemeinsam in der G20-Troika. Zudem waren Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige argentinische Präsident Mauricio Macri in Berlin und Buenos Aires zusammengetroffen, und Mertens war als Protokollchef dabei.

„Es waren drei super interessante Jahre“, bewertet Mertens seine hiesige Botschafterzeit. An den Argentiniern schätzt er vor allem deren Gastfreundschaft. Dies sei schon in früheren Phasen der Geschichte so gewesen, meint der Botschafter, der in diesem Zusammenhang auch an die jüdischen Emigranten aus Deutschland erinnert, die in den Dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts hierher kamen. Die Tradition gehe aber weiter bis zu den großen Einwanderungsschüben im 19. Jahrhundert zurück. Das alles führte dazu, dass es in Argentinien eine große deutschstämmige Bevölkerung gibt.

Jürgen C. Mertens und seine Ehefrau Cecilia mit Bundeskanzlerin Angela Merkel
Jürgen C. Mertens und seine Ehefrau Cecilia mit Bundeskanzlerin Angela Merkel 2017 in Schloss Meseberg, dem Gästehaus der Bundesregierung. (Foto: Privat)

„Die Menschen sind die Brücken zwischen beiden Ländern“, meint Mertens. Politik und Diplomatie könnten den Rahmen schaffen. Eine Freundschaft zwischen zwei Ländern aber mit Leben zu füllen, das gehe nur durch das Engagement der Menschen. „Was die deutsche bzw. deutschsprachige Community hier auf die Beine gestellt hat, ist schon bemerkenswert“, würdigt Mertens und nennt in diesem Zusammenhang das Deutsche Hospital, die Deutsche Wohltätigkeitsgesellschaft, das Maria Luisen Kinderheim, die deutsch-argentinische Handelskammer, die deutschen Firmen und Gewerbetreibenden, die deutschen Schulen, die Honorarkonsuln in den Provinzen, aber auch die hiesigen deutschsprachigen Glaubensgemeinschaften und das Tageblatt. „So etwas gibt es nicht überall“, fasst er zusammen.

Überhaupt zeichnete diesen Botschafter eine gelebte Nähe zur deutschen Gemeinschaft vor Ort aus. Er nahm beispielsweise regelmäßig an den Festen der katholischen St. Bonifatius-Gemeinde teil. Als das deutsche Lokal „Extrawurst“ in Constitución durch behördliche Anordnungen vorübergehend schließen musste, zeigte er mit einem Besuch Präsenz. Solidarität zu seinen Landsleuten demonstrierte er auch in den letzten Wochen seiner Amtszeit, indem er bei der Abfertigung der Rückholflüge für gestrandete Deutsche mehrmals persönlich am Flughafen Ezeiza war und die Betroffenen unterstützte.

Bei seinen Reisen ins Landesinnere h

Mit dem britischen Amtskollegen Mark Kent
Mit dem britischen Amtskollegen Mark Kent beim Öffnen der Friedhofsmauer. (Foto: Dt. Botschaft)

aben Mertens auch immer wieder die Begegnungen mit den deutschen Gemeinschaften vor Ort beeindruckt. Etwa das Museum in der Gemeinde Humboldt (Santa Fe). „Manches Museum in Deutschland, das sich mit bäuerlicher Geschichte befasst, kann sich davon eine Scheibe abschneiden“. Wichtig sei, dass die deutsche Sprache weitergegeben werde. Neben der Pflege von Bräuchen, die sich etwa in Tanzmusik oder Kochkultur ausdrücke, gehe es heutzutage aber auch um die Vermittlung von Bildung und Werten wie Toleranz, die Deutschland und Argentinien teilen, so der Botschafter. Bei jungen Menschen gelte es, Interesse an Deutschland zu wecken. „Es gibt hier ein enormes Potenzial“, sagt Mertens, der in diesem Sinne auch das Engagement der Stiftung Verbundenheit würdigt.

Als „persönlichkeitsbildendes Element“ bezeichnete Mertens die Kontakte mit der hiesigen jüdischen Gemeinschaft. Deren „vorurteilsfreie Zusammenarbeit“ mit der deutschen Botschaft könne man vor dem Hintergrund dessen, was in der Geschichte geschehen ist, „gar nicht hoch genug“ würdigen.

Jürgen C. Mertens gratuliert Alberto Fernández
Jürgen C. Mertens gratuliert Alberto Fernández zu dessen Amtseinführung. (Foto: Privat)

Besonderes Format habe die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern. Neben dem bereits vorhandenen deutsch-argentinischen Hochschulzentrum und dem Max-Planck-Partnerinstitut für Biomedizin gebe es derzeit auch Pläne der Fraunhofer-Gesellschaft sowie der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und der Helmholtz-Gemeinschaft, sich in Buenos Aires niederzulassen.

Ein weiterer Meilenstein der deutsch-argentinischen Beziehungen stand im März kurz vor dem Abschluss: Angesetzt war die finale Verhandlungsrunde zum Abschluss eines Sozialversicherungsabkommens zwischen beiden Ländern. Doch aufgrund der Corona-Pandemie konnte das Treffen nicht stattfinden. Das Thema sei indes nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben, denn beide Seiten sind sich in der Sache einig, so Mertens.

Mit den argentinischen Regierungsstellen habe die Zusammenarbeit gut geklappt. Einen „gewissen Optimismus“ hat Mertens auch, dass dies unter Alberto Fernández so bleibt. Er erlebte den neuen argentinischen Präsidenten beim Treffen im Februar in Berlin mit der Kanzlerin. „Die Chemie stimmte“, so der Botschafter mit Blick auf das Miteinander der beiden. Fernández habe deutlich gemacht, dass er an guten Beziehungen zu Europa interessiert sei. Zwar gebe es Meinungsunterschiede in manchen Punkten, aber doch keine Meinungsverschiedenheiten. Argentinien sei für Deutschland ein wichtiger Partner in der Allianz für Multilateralismus. „Wir gehen davon aus, dass der gemeinsame Weg weiter beschritten werden kann“, hofft der Botschafter.

Jürgen C. Mertens - Präsidenten Mauricio Macri.
Jürgen C. Mertens überreicht sein Beglaubigungsschreiben an den damaligen Präsidenten Mauricio Macri. (Foto: Presidencia)

Zu seinen ganz persönlichen Highlights währen der drei Jahre in Argentinien rechnet Mertens zum einen den G20-Gipfel in Buenos Aires Ende 2018. Zu den Protagonisten des Treffens gehörte fraglos Angela Merkel, die aufgrund technischer Probleme des Regierungsfliegers mit einem Linienflieger in die argentinische Hauptstadt reisen musste. Als sie dann verspätet, aber gerade noch rechtzeitig zum Festakt im Teatro Colón ankam, wurde deutlich, wie wichtig die deutsche Kanzlerin als stabilisierender Faktor der Weltpolitik mittlerweile ist. „Es war sehr schön zu sehen, welches Ansehen sie genießt“, beschreibt Mertens die Situation.

Als die Kanzlerin dann nach dem eigentlichen Gipfel noch einige Stunden in Buenos Aires auf ihren Abflug warten musste, organisierte der Botschafter ein spontanes Programm mit Bummel durch Recoleta und anschließendem Essen im Grilllokal „Don Julio“ in Palermo. Dort wurde Merkel von wartenden Gästen und später hinzukommenden Schaulustigen fast wie ein Popstar gefeiert.

Ein besonderes Erlebnis war des Weiteren die Geste der deutsch-britischen Aussöhnung am 11. November, dem 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs. Mertens und sein britischer Amtskollege Mark Kent öffneten demonstrativ die Mauer, die den deutschen und den britischen Friedhof in Chacarita seit Kriegszeiten voneinander getrennt hatte. „Ein symbolischer Akt der Versöhnung, der mir für immer in Erinnerung bleiben wird“, beschreibt Mertens, der neben Volkswirtschaft auch Geschichte studiert hat, seine Gefühle. Anschließend ging es dann noch weiter zu einer Gedenkveranstaltung in die französische Botschaft - ein hoch emotionaler Jahrestag. Die Bauhaus-Ausstellung und die Feiern zum 25-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Buenos Aires waren weitere Höhepunkte.

Der Botschafter bei der Verabschiedung der gestrandeten deutschen Touristen
Der Botschafter bei der Verabschiedung der gestrandeten deutschen Touristen. (Foto: privat)

Unter dem Strich ist Mertens auf jeden Fall zufrieden mit dem Verlauf seiner Amtszeit in Buenos Aires: „Dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Argentinien sich nicht nur bewahrt, sondern sich vertieft haben, ist natürlich ein Faktor, der sehr schön ist“, formuliert er. Dabei waren die äußeren Rahmenbedingungen nicht die günstigsten: Fast während der gesamten Zeit musste Mertens aufgrund umfangreicher Sanierungsarbeiten in einer provisorischen Residenz amtieren - und als dann die neue alte Residenz in der Straße Villanueva endlich wieder bezogen werden konnte, begann die Corona-Pandemie.

Einen einzigen Empfang - Anfang März anlässlich der deutschen Übernahme der Präsidentschaft der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA) - konnte Mertens in seiner eigentlichen Residenz geben. Die geplante öffentliche Vorstellung der renovierten Räumlichkeiten musste indes coronabedingt abgesagt werden, bedauert Mertens auch mit Blick auf die beteiligten Kolleginnen und Kollegen der Botschaft: „Das Erreichte haben wir nur als Team geschafft.“

Hinter Mertens liegen nun vier Jahrzehnte des höheren diplomatischen Dienstes. Neben den eingangs erwähnten lateinamerikanischen Ländern kam der in Braunschweig groß gewordene Diplomat auch in anderen Länder wie Indien, USA (Florida) und Rumänien zum Einsatz. In Wien hatte er einen multilateralen Posten bei KSZE inne. In Deutschland leitete er mehrere Jahre die Akademie des Auswärtigen Dienstes. Zudem fungierte er als Chef des Protokolls im Auswärtigen Amt. Er war Organisationsleiter für die deutschen Präsidentschaften der EU 2007, des G8 (Heiligendamm, 2007), des G7 (Elmau, 2015), der OSZE (Gipfel in Hamburg, 2016) und des G20 (Gipfel in Hamburg, 2017) zuständig.

Besuch im deutschen Lokal „Extrawurst“
Besuch im deutschen Lokal „Extrawurst“ mit den Geschäftsinhabern Michael Schnirch (l.) und André Kai Kalisch. (Foto: Christoph)

Die Tätigkeit als Protokollchef betrachtet er im Nachhinein als „Geschenk“, weil man bei wenigen anderen Gelegenheiten mit so vielen interessanten Persönlichkeiten der Zeitgeschichte zusammentreffen könne. „Auch wenn man nicht inhaltlich für die Gestaltung der Zeitgeschichte zuständig ist, gibt es doch den Spruch: Was bleibt, ist das Bild - und für die Gestaltung dieser Bilder hat man ja doch maßgeblich Verantwortung übernommen.“

Besonders dramatisch verlief seine Dienstzeit in der rumänischen Hauptstadt Bukarest, wo er 1989 als Referent für Wirtschaft und Deutsche Minderheit den Sturz des kommunistischen Diktators Nicolae Ceausescu miterlebte. Mertens Wohnung befand sich direkt neben der Fernsehstation, die während der Revolutionstage besonders umkämpft war. „Es war, als ob auf einmal Silvester gewesen wäre“, beschreibt Mertens den Moment, als die Kämpfe losgingen. Als er von seiner Wohnung aus das Geschehen filmte, traf eine Kugel seine Kamera. Als er später mit anderen das Gebäude verließ, schlugen Gewehrsalven in unmittelbarer Nähe ein. Einige Zeit vor dem Umsturz hatte sich in Bukarest auch eine Frau in Mertens' unmittelbarer Nähe angezündet, da ihr Ausreiseantrag abgelehnt worden war.

Der Botschafter bei den Festen der katholischen St. Bonifatius-Gemeinde.
Der Botschafter war regelmäßiger Gast bei den Festen der katholischen St. Bonifatius-Gemeinde. (Foto: Christoph)

„Es war schon alles dabei, aber trotzdem war es insgesamt gut“, resümiert Mertens sein Leben als Diplomat, welches ohne den starken Rückhalt seiner Familie so nicht möglich gewesen wäre. Im Ruhestand will er sich nun umso mehr Zeit für die Angehörigen nehmen und mit seiner Frau Cecilia zwischen Berlin und Quito sowie Toronto und Frankfurt, den Wohnorten der beiden Töchter, pendeln. Sorge vor zu viel Leerlauf nach einem so erfüllten Berufsleben hat Mertens jedenfalls nicht: „Mir nun eine neue Beschäftigung zu suchen und morgens in einem Büro zu sitzen, ist nicht das, was ich mir unter Ruhestand vorstelle.“

Sein Konzept für die nächsten Jahre beschreibt er mit den Worten des römischen Politikers und Philosophen Marcus Tullius Cicero als „Otium cum dignitate“, also einer „würdevollen Muße“. Dies beinhaltet vielleicht gelegentliche Beratertätigkeiten, wo Erfahrung gefragt ist. Aber ansonsten gelte: „Ein Lebensabschnitt geht zu Ende. Man muss einsehen, dass dies so ist und Jüngeren Platz machen“, meint Mertens, der sich nun auch seinem alten Hobby des Büchersammelns wieder stärker widmen möchte. Mit sich im Reinen ist er jedenfalls: „Ich bin von einer tiefen Dankbarkeit erfüllt, dass das Schicksal und das Auswärtige Amt mir meinen Erfahrungsgewinn ermöglicht haben.“

Das Argentinische Tageblatt dankt Botschafter Mertens für die gute Zusammenarbeit und wünscht ihm für seinen wohlverdienten Ruhestand alles Gute.

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