Afghanistan nach dem US-Abzug
Kabul (dpa/wvg) - Die Tage von Samira Safari sind eintönig geworden. Früher war die Afghanin jeden Tag unterwegs, eilte als TV-Reporterin von einem Interview zum nächsten. In ihrer Freizeit ging sie in Restaurants und traf Freunde. Davon ist der jungen Frau nicht viel geblieben. Heute verbringt Safari die meiste Zeit zu Hause.
Gut 100 Tage ist es her, seit der letzte US-Soldat Afghanistan verlassen hat. Die Taliban hatten nach ihrer militärischen Blitzkampagne bereits zwei Wochen davor die Hauptstadt Kabul eingenommen. Die Ereignisse waren eine Zäsur für alle Afghaninnen und Afghanen.
Als der letzte US-Soldat das Land verlassen hatte, bekam Safari große Sorgen. „Viele dachten, das Land wird sofort in den nächsten blutigen Krieg stürzen“, sagt sie. Diese Befürchtung sei nicht eingetreten. Aber vor allem Frauen hätten seit dem US-Abzug viel verloren.
Lokale Medien berichten über steigende Zahlen an Depressionen bei Mädchen und Frauen, die nicht mehr arbeiten oder die Schule besuchen können. Auch Safari erzählt, ihr fehle heute jede Motivation. Die Taliban hätten Journalistinnen nicht ausdrücklich verboten, zu arbeiten - sie bleibe aus Angst aber dennoch zu Hause.
Während Safari an Freiheit eingebüßt hat, hat sie Mohibullah Dschihadjar neu erlangt. Der heute 27-Jährige schloss sich vor zehn Jahren den Taliban an. Vor dem Sieg der Islamisten sei es mit seinen langen Haaren und dem langen Bart schwer gewesen, überhaupt aus seinem Heimatbezirk hinauszukommen. „Aber heute ist unser Land frei und wir können reisen, wohin wir wollen. Wir sind sehr glücklich, ganz Afghanistan ist nun unser Zuhause“, erzählt Dschihadjar am Telefon.
In seinem Dorf freuten sich die Menschen, dass der Krieg endlich zu Ende sei. Wermutstropfen bleibe, dass die Nation wirtschaftlich leide und die Taliban-Regierung immer noch nicht anerkannt sei.
In der Tat hat bisher nicht ein einziges Land der Welt die Taliban-Regierung anerkannt. Sanktionen gegen die Taliban-Regierung machen den neuen Machthabern zudem massiv zu schaffen. Frühere Hilfen für die Regierung in Kabul wurden größtenteils eingestellt.
Die Folge: Die Wirtschaft befindet sich in freiem Fall. Fast wöchentlich warnen Hilfsorganisationen vor einer massiven humanitären Krise, auch angetrieben von einer der schwersten Dürren seit Jahren. Die Zahl Hunger leidender Menschen ist massiv angestiegen.
Die Taliban sagen, sie hätten die Wirtschaftskrise von der Vorgängerregierung geerbt. Die Menschen sollten anderen Beteuerungen keinen Glauben schenken. Die Islamisten seien vielmehr dabei, im ganzen Land für Sicherheit zu sorgen.
In der Tat bestätigen viele Afghanen, die Sicherheit sei größer, seit die Taliban an der Macht sind. Kritiker halten dagegen, anstelle von Terroranschlägen steige nun die Zahl mysteriöser Tötungen. Viele Afghanen sagen, sie wollten den Winter noch abwarten. Wenn sich vor allem die wirtschaftliche Situation dann nicht verbessere, bliebe ihnen nur die Flucht.
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