Was wusste Papst Pius über den Holocaust?
Rom (dpa) - Es sind meterdicke, hohe Mauern, die den Vatikan von der Außenwelt trennen. Hinter diesen Mauern lagern Millionen von Dokumenten aus der historisch brisanten Ära von Papst Pius XII. - es geht um die Jahre des Zweiten Weltkriegs und danach. Im Apostolischen Archiv durften jahrzehntelang nur wenige Kirchenleute zu einem der umstrittensten Päpste der Weltgeschichte forschen. Unabhängige Historiker und die Öffentlichkeit dagegen liefen mit ihren Fragen ins Leere: Was genau wusste Pius XII. über den Holocaust? Warum protestierte die katholische Kirche nicht lauter gegen den millionenfachen Judenmord und andere Nazi-Verbrechen?
Am Montag steht der deutsche Kirchenhistoriker Hubert Wolf vor einem großen, offenen Metalltor seitlich vom Petersplatz. Der Professor von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster ist mit einem Team junger Forscher und Forscherinnen angereist. „Wir alle sind wahnsinnig gespannt“, sagt der 60-Jährige. „Was hat der Vatikan gewusst, hat er überlegt zu schreien, warum hat er dann nicht geschrien? Das ist eine zentrale Frage.“
Er sei schon früher zu Studien hier gewesen. Wolf hat viel zu dem Italiener Eugenio Pacelli geforscht, über dessen Zeit, bevor er als Pius XII. Kirchenoberhaupt wurde. Doch heute gewährt der Vatikan offiziell Zugang zu den Akten seines Pontifikats in der Zeit zwischen 1939 bis 1958 - und zwar in zahlreichen Archiven in Rom.
Wolf und seine Mitarbeiter haben am ersten Tag schon einen „richtigen Treffer“ gelandet, wie er sagt. Aus der Vatikan-Botschaft in der Schweiz hätten sie Fotos von der Ermordung von Juden im Osten gefunden. „Das heißt, die wussten hier mit Bildmaterial, was da passiert.“
Auch aus anderen Ecken der Erde machten Historiker seit Jahren Druck auf den Vatikan, sein ehemaliges Geheimarchiv zu öffnen. Sie fragten zum Beispiel, wie Pius dazu stand, dass sich Naziverbrecher mit vatikanischen Pässen aus Europa absetzen konnten, etwa nach Argentinien. Und was war die Position zur Gründung des Staates Israel?
Das Öffnen der Archive war nach Angaben der Kirche 14 Jahre vorbereitet worden. Der deutsche Papst Benedikt XVI. habe das Sortieren und Digitalisieren angestoßen. Sein Nachfolger Franziskus gab 2019 das Signal, die Wissenschaftler zuzulassen.
Im Blickfeld: Krokodilstränen
Von Stefan Kuhn
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