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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Nord Stream 2: Braucht Deutschland das Erdgas aus Russland?


Geopolitisches Werkzeug, transatlantischer Zankapfel oder Brücke in die grüne Zukunft - umstritten ist die zu 95% fertiggestellte Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 allemal. Die USA wollen die Vollendung des rund 1200 km langen Doppelstrangs zwischen Russland und Deutschland gar mit Sanktionen oder deren Androhung verhindern. Aber ist die Leitung eigentlich energiewirtschaftlich sinnvoll? Auch hier gehen die Einschätzungen auseinander.

Zu einem deutlichen Urteil kommt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): «Wir sagen eindeutig nein.» Man brauche keine zusätzliche Infrastruktur für Erdgas. Dies widerspreche vertraglich zugesicherten Klimaschutzzielen. Offenbar sei etwa die Bundesregierung nicht optimistisch genug, was deren Umsetzung angeht. Schon 2018 hieß es in einem DIW-Bericht, wegen rascher Fortschritte bei erneuerbaren Energien und Speichertechnologien werde «fossiles Erdgas in der Stromwirtschaft keine Bedeutung mehr als Brückentechnologie haben».

Anders beurteilt das die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern, wo das russische Erdgas anlanden soll. Annahmen, nach denen erneuerbare Energien und Speichertechnologien Gas sehr schnell überflüssig machten, seien «sehr optimistisch». Flexible Gaskraftwerke könnten für Energiesicherheit sorgen, wenn mit Wind und Sonne nicht ausreichend Strom erzeugt werden könne. Zudem entstünden durch Atom- und Kohleausstieg Versorgungslücken.

«Es gibt quasi zwei Gattungen von Szenarien, Referenz- und Zielszenarien», erklärte Jens Hobohm, Leiter des Bereichs Energiewirtschaft beim Beratungsunternehmen Prognos. Erstere orientierten sich weitgehend an bisheriger Politik. Zielszenarien legten das Erreichen etwa der Klimaschutzziele zugrunde und berücksichtigten entsprechende Maßnahmen. Je nach gewähltem Szenarientyp beurteile man den Erdgasbedarf anders.

Unter seiner Leitung veröffentlichte Prognos 2017 eine Studie im Auftrag der Nord Stream 2 AG. Um möglichst objektiv zu sein, habe man eine kurz zuvor erschienene Prognose der EU zugrunde gelegt. Man habe kein Ziel- sondern ein Referenzszenario verwendet, um auch dann Versorgungssicherheit zu gewährleisten, wenn bestimmte Ziele nicht erreicht werden.

«Inzwischen denkt man viel intensiver über Zielszenarien nach», sagte Hobohm. Klimaschutzziele seien verschärft und mehr Maßnahmen zu deren Erreichung ergriffen worden. Hätte man das so vor dem Projekt schon gewusst, wäre man vermutlich zu dem Schluss gekommen, man brauche die Pipeline nicht. Man habe sich damals allerdings auf unterschiedliche Ausgänge einstellen müssen.

Hobohm stimmt der Kritik des DIW zu, dass in der Vergangenheit die Prognosen der EU zum Gasbedarf häufig zu hoch gewesen seien. Die verwendete Prognose habe den Bedarf hingegen kurzfristig sogar unterschätzt. Von 2015 bis 2019 sei dieser gestiegen. Für die kommenden fünf Jahre rechnet Hobohm entsprechend des Szenarios mit einem weitgehend stagnierenden Gasbedarf in Europa. Danach werde er vermutlich heruntergehen - «weil dann eben die Klimaschutzpolitik auch greift». Andererseits gehe die europäische Eigenförderung von Gas erheblich schneller zurück als in der Studie von 2017 angenommen. So haben die Niederlande 2019 angekündigt, die Förderung in Groningen, einem der größten Erdgasfelder der Welt, Mitte 2022 zu beenden. Ursprünglich war dies für 2030 geplant.

Laut Simon Schulte vom Energiewirtschaftlichen Institut der Universität zu Köln (EWI) könnte Nord Stream 2 für niedrigere Gaspreise sorgen: «Nord Stream 2 schafft zusätzliche Importinfrastruktur und hat somit einen preisdämpfenden Effekt auf dem europäischen Gasmarkt.» Das EWI hat zusammen mit dem Beratungsunternehmen Frontier Economics im vergangenen Jahr eine Studie im Auftrag von Nord Stream 2 veröffentlicht.

Laut DIW gibt es künftig keine Deckungslücke oder eine Gefährdung der Versorgungssicherheit. Es gebe ausreichend Infrastruktur, sagte Kemfert. Zudem gebe es viele Flüssiggasterminals, die nicht ausgelastet seien. Verflüssigtes Erdgas (LNG) kann per Schiff aus weiter entfernten Ländern nach Europa transportiert werden - etwa aus den USA. Die Amerikaner begründen ihre Ablehnung des Projekts mit zu großer Abhängigkeit ihrer europäischen Partner von russischem Gas. Kritiker werfen den USA vor, nur ihr Flüssiggas in Europa besser verkaufen zu wollen.

Christopher Hirsch (dpa)



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