50 Jahre „Bloody Sunday“ in Nordirland
Derry/Londonderry (dpa/wvg) - Der 30. Januar 1972, ein Sonntag vor genau 50 Jahren, ging als „Bloody Sunday“ in die Geschichte ein. Das Datum wurde zum Kristallisationspunkt des Nordirland-Konflikts und rückt den Bürgerkrieg schlagartig ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit. 13 katholische Teilnehmer eines Bürgerrechtsmarsches werden damals in der Stadt, die von Protestanten Londonderry genannt wird, durch Schüsse der britischen Armee getötet. Keines der Opfer ist bewaffnet.
Hunderte Freiwillige schließen sich daraufhin der Terrororganisation IRA an. Das Jahr 1972 wird zum blutigsten des als „Troubles“ bezeichneten Konflikts in der Provinz. Der einzige Ausweg für die in der nordirischen Gesellschaft benachteiligten Katholiken scheint damals eine Wiedervereinigung mit dem Süden - notfalls mit Waffengewalt.
Fünf Jahrzehnte später drohen die Wunden wieder aufzureißen: Die Regierung in London plant ein Gesetz, das jegliche Strafverfolgung, Zivilprozesse oder auch nur öffentliche Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Nordirland-Konflikt unmöglich machen soll. Bis heute ist kein einziger der 15 am Massaker beteiligten Soldaten vor Gericht gestellt worden.
Mit dem Gesetzesvorhaben sollten Veteranen vor „rechtsmissbräuchlichen Verfahren“ geschützt werden, sagte Premierminister Boris Johnson im Parlament in London im vergangenen Sommer. Tatsache ist aber, dass außer Johnsons Tory-Partei diese Pläne praktisch niemand unterstützt. Weder die nordirischen Parteien, noch die irische Regierung oder die Überlebenden und Hinterbliebenen.
Der Konflikt um das Gesetz spiegelt das Verhältnis zwischen Dublin und London wider: Es sei so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr, sagt die Konfliktforscherin Katy Hayward von der Queen's University Belfast im dpa-Gespräch.
Schuld daran ist vor allem der Brexit. Die Grenze zwischen dem nördlichen und dem südlichen Teil der irischen Insel glich während des Bürgerkriegs einem Bollwerk. Das änderte sich mit dem Karfreitagsabkommen 1998 - die Trennlinie wurde beinahe unsichtbar. Das Leben unter britischer Herrschaft schien wieder möglich.
Mit dem Brexit wurden Kontrollen plötzlich wieder nötig, weil die irische Grenze zur EU-Außengrenze wurde. Die frühere Premierministerin Theresa May versuchte zwischen den Forderungen der Brexit-Anhänger in London und den beiden Konfessionen in Nordirland sowie der EU zu vermitteln - und scheiterte.
Ihr Nachfolger Johnson schloss gegen den Widerstand der protestantischen Parteien ein Abkommen mit Brüssel, dessen Konsequenz - eine Warengrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs - er inzwischen versucht, wieder rückgängig zu machen. Das sogenannte Nordirland-Protokoll ist seitdem Zankapfel zwischen London und Brüssel - mit ungewissem Ausgang. Das Ergebnis ist, dass laut Umfragen nur vier Prozent der Menschen in Nordirland - gleich welcher Konfession - noch Vertrauen in die nationale Regierung in London haben, wie Konfliktforscherin Hayward sagt.
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