Britischer Vorstoß erschwert Verhandlungen
London/Brüssel (dpa/wvg) - Großbritannien und die Europäische Union ringen nach dem EU-Austritt Großbritanniens weiter um ein Handelsabkommen. Von den Verhandlungen hängt ab, ob ab Januar 2021 geregelte Handelsbeziehungen oder wirtschaftliches Chaos warten. Statt Fortschritte beim geplanten Handelspakt zu verkünden, waren beide Seiten am Donnerstag mit Streitschlichtung beschäftigt. Nicht nur der CSU-Europapolitiker Manfred Weber befürchtet: „Ein ‚No Deal‘ wird jeden Tag realistischer.“
Eigentlich wollten beide Seiten diese Woche in der bereits achten Verhandlungsrunde endlich weiterkommen auf dem Weg zu einem Handelsvertrag. Denn in weniger als vier Monaten endet die Übergangsfrist nach dem britischen EU-Austritt vom Januar, und ohne Vertrag droht ein harter wirtschaftlicher Bruch. Doch dann machte der britische Premier Boris Johnson ein ganz anderes Fass auf: Er will das vor dem Brexit geschlossene Austrittsabkommen in entscheidenden Punkten ändern. Dabei geht es um die Sonderregeln für Nordirland, die eine harte Grenze zum EU-Staat Irland und neue Feindseligkeiten verhindern sollen.
Den ankündigten Verstoß, mit einem „Binnenmarktgesetz“ die Nordirland-Regeln im Austrittsabkommen außer Kraft zu setzen, will die EU-Kommission nicht durchgehen lassen: Sie pocht auf Vertragstreue. Immerhin wurde der Scheidungsvertrag über drei Jahre haarklein ausgehandelt, ratifiziert und in Kraft gesetzt. In Brüssel wird deshalb gerätselt: Was treibt den innenpolitisch angeschlagenen Premier? Die Folgen eines Austritts ohne Abkommen wären immens: Zölle, Lieferschwierigkeiten, Mehrkosten und viel verlorene Glaubwürdigkeit auf dem internationalen Parkett. Dennoch fiel die Drohung mit Gegenmaßnahmen am Donnerstag recht milde aus.
Für die EU ist die Lage heikel. Sie will den Handelsvertrag, mit dem sie gleiche Wettbewerbsbedingungen mit dem Ex-Mitglied vor der Haustür festschreiben will. Außerdem geht es um die für einige EU-Staaten sehr wichtige Fischerei und darüber hinaus um Dutzende Fragen, die zu regeln für beide Seiten nützlich wäre. Brüssel will nicht den Schwarzen Peter, falls diese Verhandlungen scheitern. Andererseits will die EU keinen neuen Vertrag mit einem Partner schließen, der die alten Vereinbarungen nicht einhält.
Dass Vertragstreue unentbehrlich ist, hält nicht nur die EU der britischen Regierung vor. Auch Großbritanniens früherer Premierminister John Major warnte seinen Nachfolger und Parteikollegen Johnson vor einem Vertrauensverlust auf internationaler Ebene.
Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, warnte vor schweren Folgen, sollte die britische Regierung Völkerrecht brechen und durch ihren Alleingang die hart errungene Stabilität in Nordirland gefährden. Ein Handelsabkommen zwischen den USA und Großbritannien habe dann „absolut keine Chance“, sagte sie der Zeitung „The Irish Times“.
Die deutsche Wirtschaft stimmt in den Tenor mit ein. „Für das Zustandekommen eines Freihandelsabkommens mit der EU ist Vertragstreue beim völkerrechtlichen Austrittsabkommen unabdingbar“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Joachim Lang.
Konsum als Sparanlage und/oder Geschäft
Von Juan E. Alemann
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