Von Christiane Jacke
Das Land hat sich auf verstörende Weise an diese Nachrichten gewöhnt: Wieder einmal kommen in den USA Dutzende Menschen ums Leben - durch Schüsse brutaler Schützen, die wild um sich feuern. Diesmal trifft es El Paso in Texas und Dayton in Ohio. Und wieder einmal beginnt danach eine hilflose Debatte über mögliche Konsequenzen. Echte Chancen, dass die Epidemie der Waffengewalt in Amerika tatsächlich endet, gibt es nicht.
Das Recht auf Waffenbesitz ist in der US-Verfassung verankert - und in den Herzen vieler US-Amerikaner. Diesen zweiten Verfassungszusatz wagt niemand anzutasten. Er war zwar für eine Zeit gemacht, in der die USA großenteils aus unerschlossener Wildnis bestanden und ihre Bürger weit entfernt von Ortschaften lebten. Aber auch heute ist das Recht, eine Waffe zu besitzen, vielen US-Bürgern heilig.
Während in vielen Ländern ein aufwendiges Prozedere nötig ist, um eine Waffe zu kaufen - Kurse, Lizenzen und Unmengen an Papierkram - ist es in den USA sehr leicht, sich eine Waffe zu beschaffen. Es gibt Unterschiede je nach Bundesstaat, aber zum Teil werden Waffen sogar im Supermarkt verkauft, bei Vorlage von ein paar Dokumenten.
Die USA sind ein Land, in dem Waffen in Familien zu Weihnachten verschenkt werden. Laut der Studie Small Arms Survey gibt es keinen anderen Staat mit so vielen Handfeuerwaffen pro Kopf im Besitz von Zivilisten: Es gibt mehr Waffen als Bürger in den USA, 120 Stück pro 100 Einwohner. Das sorgt für traurige Rekorde in anderen Statistiken: Nach Angaben der Organisation Gun Violence Archive sind in den USA allein seit Jahresbeginn mehr als 8700 Menschen durch Schusswaffen umgekommen - darunter sind auch Fälle, in denen Polizisten schossen.
Regelmäßig kommt es zu Fällen, bei denen Schützen in Einkaufszentren, Schulen oder auf offener Straße das Feuer eröffnen und ein Blutbad anrichten - wie nun in El Paso und Dayton. Laut Gun Violence Archive gab es allein in diesem Jahr mehr als 250 „Mass Shootings“: Das sind nach Definition der Organisation Fälle, bei denen mindestens vier Menschen durch Schusswaffengewalt verletzt oder getötet wurden. Rein rechnerisch ist das mehr als ein solcher Vorfall pro Tag.
Nach diesen Attacken wiederholen sich immer gleiche Reflexe: Waffenbefürworter empfehlen, Lehrer, Sicherheitsleute oder Bürger mit mehr Waffen auszustatten, damit diese sich gegen Angriffe schützen können. Waffengegner rufen dagegen nach schärferen Waffen-Gesetzen - etwa nach einem Verbot von Kriegswaffen wie Sturmgewehren.
Letzteres haben andere Länder vorgemacht: Neuseeland etwa verbot nach dem Anschlag auf die beiden Moscheen in Christchurch halbautomatische Waffen. Mehr als 9000 Waffen wurden dort so in den vergangenen Monaten aus dem Verkehr gezogen. Die USA sind davon weit entfernt.
Hier hakt es schon bei kleinen Vorhaben. Seit längerem bemühen sich die US-Demokraten, strengere Hintergrundchecks für Waffenkäufer durchzusetzen. Mit ihrer Mehrheit im Repräsentantenhaus haben sie dort bereits im Februar einen Gesetzentwurf dazu verabschiedet. Damit das Vorhaben Wirklichkeit wird, müsste auch der von den Republikanern dominierte Senat zustimmen. Das ist nicht in Sicht.
Am Montag nach dem blutigen Wochenende in El Paso und Dayton spricht sich US-Präsident Donald Trump zunächst dafür aus, die Hintergrundchecks für Waffenbesitzer zu verschärfen. Als er sich drei Stunden später im Weißen Haus mit einer Ansprache an die Nation richtet, erwähnt er das nicht mehr, sondern nennt eine Reihe anderer - vage formulierter - Konsequenzen: Unter anderem sollen psychisch Kranke, die eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen, keine Waffen mehr besitzen dürfen. Trump sagt dazu den bemerkenswerten Satz: „Geisteskrankheiten und Hass drücken ab, nicht die Waffe.“
Soll das heißen, nicht Waffen sind das Problem, sondern ein paar Gestörte, die nicht wissen, damit umzugehen? Experten widersprechen sofort. Trumps Aussage ist auch in anderer Hinsicht interessant: Unter ihm schaffte der Kongress eine Regulierung aus der Regierungszeit von Präsident Barack Obama ab - was dazu führte, dass psychisch Kranke wieder Zugang zu Waffen bekamen. Das will Trump nun also wieder umkehren. Eine echte Gesetzesverschärfung will er nicht.
Die National Rifle Association ist eine der mächtigsten Lobbygruppen der USA. Die Zahl der Mitglieder geht in die Millionen. Sie hat großen Einfluss auf die Politik. Die NRA benotet etwa Abgeordnete mit Blick auf deren Haltung zu Waffen-Themen - quasi als Handreichung an ihre Mitglieder, wen diese wählen sollten und wen nicht.
Die NRA hat schon politische Karrieren beendet: In den 90er Jahren legte sich der damalige Vorsitzende des Repräsentantenhauses, der Demokrat Tom Foley, mit der Waffen-Lobby an, als er ein Verbot von Sturmgewehren unterstützte. Die NRA startete daraufhin eine Kampagne gegen ihn. Am Ende verpasste Foley den Wiedereinzug in den Kongress.
Nach Ansicht des USA-Experten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Josef Braml, wird es so schnell keine substanzielle Verschärfung der Waffengesetze in den USA geben. Für die Republikaner sei das Thema Waffenbesitz ein Grundbekenntnis und ein wichtiger Faktor, um die eigene Basis zu mobilisieren. „Da wird sich kein Republikaner, der politische Ambitionen hat, rantrauen.“ (dpa)
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