Von Stefan Kuhn
Nein, es ist kein „Hauch von Weimar“ wie der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum, einer der letzten Liberalen in der FDP, sich äußerte. Die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten Thüringens mit den Stimmen der AfD, die im Freistaat unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, beschreibt man besser als „Gestank von Erfurt“. Das unschuldige Weimar liegt gut 20 Kilometer und 100 Jahre entfernt.
Man muss nicht immer Weimar bemühen, wenn es um Linke und Rechtsextreme geht. Die Linkspartei hat nichts mit der KPD der Weimarer Republik zu tun, die AfD nur am Rande mit der NSDAP. Der verhinderte Ministerpräsident Bodo Ramelow hat keine Gemeinsamkeiten mit dem früheren KPD-Chef Ernst Thälmann, und der AfD-Chef im Erfurter Landtag, der Geschichtslehrer Björn Höcke, findet, dass es in der NS-Zeit, abgesehen von den Autobahnen, auch andere gute Dinge gegeben hat. Höcke, gebürtiger Wessi, gehört dem „Flügel“ an, dem rechtsextremen oder „völkischen“ Teil der AfD. Ramelow stammt auch aus dem Westen, war viele Jahre Gewerkschaftsfunktionär und ist bekennender evangelischer Christ.
Was am Mittwoch in Erfurt geschehen ist, kann man als Schande oder bodenlose politische Dummheit bezeichnen. Vielleicht auch als gelungenen politischen Schachzug der AfD, aber das würde die Dummheit der CDU-Fraktion im Landtag noch überhöhen. Dort stand der dritte und entscheidende Wahlgang für die Wahl des Ministerpräsidenten an. Der bisherigen Koalition aus Linkspartei, SPD und Grünen hätte jetzt eine relative Mehrheit für die Wahl des Ministerpräsidenten gereicht. Bodo Ramelow trat gegen den FDP-Fraktionschef Thomas Kemmerich und den parteilosen AfD-Kandidaten Christoph Kindervater an. Kemmerich erhielt 45 Stimmen, Ramelow 44 und Kindervater keine einzige. Es gab eine Enthaltung. Kindervater war ein Strohmann, im besten Fall haben sich die CDU und die FDP-Abgeordneten täuschen lassen. Aber sonderlich glaubwürdig ist das nicht. Es dürfte Absprachen gegeben haben.
Zumindest Thomas Kemmerich hat sich täuschen lassen. Sein „Ich nehme die Wahl an“, dürfte schon jetzt der Spottsatz des Jahres werden. Bodo Ramelow hätte eine Minderheitsregierung angeführt, der drei Stimmen zur absoluten Mehrheit fehlten. Es gab in deutschen Bundesländern schon länger dauernde Minderheitsregierungen, etwa in Hessen oder in Sachsen Anhalt. Bodo Ramelow hätte die erste angeführt, die kein Tolerierungsabkommen mit einer Oppositionspartei gehabt hätte. Er hätte immer drei Stimmen von CDU und/oder FDP gebraucht. Das wäre schwer, aber nicht unmöglich gewesen.
Der gewählte thüringische Ministerpräsident Kemmerich braucht etwas mehr als drei Stimmen. Seiner eigenen Partei fehlen 41 Stimmen zu Mehrheit. Die FDP hat mit exakt fünf Prozent den Einzug ins Parlament geschafft. Selbst wenn es Kemmerich gelänge, CDU, SPD und die Grünen ins Boot zu holen, würden sechs Stimmen zu einer absoluten Mehrheit fehlen. Da alle Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD ablehnen, müssen diese Stimmen von der Linkspartei kommen. Es gibt nur einen vernünftigen Grund, weshalb die Linke eine „bürgerliche“ Landesregierung unterstützen würde. Der wäre, den Einfluss von Post-Nazis wie Höcke zu verhindern. Nun aber ist ein Ministerpräsident der Linken nur deshalb gescheitert, weil CDU und FDP zusammen mit den Post-Nazis gegen ihn gestimmt haben. Das wäre keine gute Ausgangsbasis für eine Minderheitsregierung von CDU, SPD, Grünen und FDP. Man kann auch davon ausgehen, dass SPD und Grüne bei diesem Spiel nicht mitmachen.
Es mag ein Anflug von Größenwahn gewesen sein, der Kemmerich dazu bewogen hatte, die Wahl anzunehmen. Es wäre ein etwas makaberer, aber unnötiger Scherz gewesen, um Ramelow die Grenzen seiner Macht aufzuzeigen. Aber die Ablehnung der Wahl wäre da noch ein größerer Nadelstich gewesen. Vor allem ein deutliches Zeichen an die AfD.
Jetzt ist der Schaden da. Da hilft es wenig, dass es dem FDP-Chef Christian Lindner am Donnerstag gelungen ist, Kemmerich zum Rücktritt zu bewegen. Lindner hatte den frisch gebackenen Ministerpräsident am Anfang noch unterstützt und SPD und Grüne aufgefordert, sich an der Regierung zu beteiligen. Wenn es zu Neuwahlen kommt, wird die FDP wohl nicht mehr in den Landtag einziehen. Vermutlich würde auch die CDU verlieren. In der Bundespartei ist der Coup nicht gut angekommen. In seltener Einheit kritisierten CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und der CSU-Vorsitzende Markus Söder das Wahlverhalten ihrer Thüringer Parteifreunde. Niemand glaubt, dass diese das AfD-Manöver nicht durchschaut haben. Warum ist CDU-Chef Mike Mohring nicht angetreten? Er wollte auf gar keinen Fall mit den Stimmen der AfD gewählt werden.
Bundesweit dürfte die FDP auch Federn lassen. Vor gut zwei Jahren ließ Parteichef Linder eine mögliche Koalition auf Bundesebene zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen platzen. Dann fordert er in Thüringen ein Bündnis von CDU, SPD, Grünen unter einem FDP-Ministerpräsidenten, das von der Linkspartei unterstützt werden soll. Jetzt will er Neuwahlen. Die sollte er auch bekommen.
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