Von Stefan Kuhn
Ganz neu ist die Sache mit den Frauen an der Macht ja nicht. Angela Merkel ist seit 14 Jahren die mächtigste Frau Deutschlands und fast ebenso lang die mächtigste Frau der Welt. Aber letzteres liegt nur daran, dass in mächtigeren Staaten wie den USA, China, Russland oder Japan Frauen wenig Chancen auf Spitzenpositionen in Politik und Wirtschaft haben. Und in Deutschland hängt das mit der CDU zusammen. Die mächtigste Partei des Landes wurde 18 Jahre lang von Merkel geführt. Ihr folgte mit Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) eine Frau. Und mit Ursula von der Leyen wurde 2013 erstmals eine Frau Bundesverteidigungsministerin. Das Amt übernimmt jetzt AKK.
Das heißt: Auch wenn es lange gedauert hat, haben Frauen in Deutschland inzwischen wichtige Ämter errungen. Im Falle Europas sieht das anders aus. Mit Ursula von der Leyen übernimmt erstmals eine Frau die Präsidentschaft der EU-Kommission. Mit der Französin Christine Lagarde wird erstmals eine Frau Chefin der Europäischen Zentralbank, nach der US-amerikanischen FED wohl die wichtigste Währungsinstitution der Welt. Das sind bedeutende Posten. Man kann schon feststellen, dass Europa weiblicher wird. Für Lagarde, sie war bisher Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), war der Aufstieg vielleicht nicht so groß. Manche werden es sogar für einen Abstieg halten. Ursula von der Leyen hat dagegen wirklich das große Los gezogen.
Der einzige Hemmschuh für die langjährige Merkel-Vertraute ist das knappe Ergebnis. Von der Leyens Wahl kam vermutlich mit den Stimmen osteuropäischer Europaskeptiker zustande. Doch das kann man abhaken. Die Deutsche wurde von der, nennen wir sie Straßburger Koalition, aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen gewählt. Dass da 16 deutsche SPD-Abgeordnete dagegen gestimmt haben, war ein am Ende lächerliches und überflüssiges Theater. Die in Brüssel geborene Niedersächsin von der Leyen, wird ab jetzt an ihren Taten gemessen.
Ursula von der Leyen wird über den Wechsel mehr als froh sein. Das Verteidigungsministerium, es gehört neben Außen, Innen, Justiz, Wirtschaft und Finanzen zu den klassischen Ressorts, ist schon lange kein Sprungbrett mehr für Höheres. Der einzige Verteidigungsminister, der es ins Kanzleramt geschafft hat, war im Übrigen Helmut Schmidt (SPD). Dessen letzte Station vor dem Kanzleramt war allerdings das Finanzministerium.
Deshalb ist die Nachfolge im Verteidigungsministerium die größte Überraschung in den Personaldebatten der letzten Tage. Die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer übernimmt ein Amt in der Bundesregierung, das schon seit langem mehr als Schleudersitz denn als Karriere-Sprungbrett gilt. Von der Leyen galt wegen der Skandale um millionenschwere Beraterverträge, reparaturbedürftiger Waffensysteme und der Renovierung des Segelschulschiffs „Gorch Fock“ mehr als angeschlagen. Jetzt übernimmt ihre Parteichefin das Unglücksamt. Vielleicht ist es für die ebenfalls angeschlagene CDU-Vorsitzende eine Flucht nach vorne. Wenn sie im Verteidigungsressort reüssiert, dann kann sie auch Kanzlerin.
Für die große Koalition ist die Rochade eine Belastung. Jetzt sitzt die Chefin der größten Regierungspartei in der Regierung. Angela Merkel, die Regierungschefin, ist nun im Kabinett Chefin ihrer Parteichefin. Ob das gut geht, mag man bezweifeln. Dazu kommt noch, dass es auch berechtigte Zweifel an der Eignung AKKs gibt. Politiker(innen) sind heutzutage Generalist(inn)en. Aber für den Oberbefehl über eine der größten Armeen Europas sollte man vielleicht etwas mehr qualifiziert sein.
Es scheint, als ob Annegret Kramp-Karrenbauer mit der Übernahme des Verteidigungsressorts ein Himmelfahrtskommando übernommen hat. An Problemen, Kritik und Rücktrittsforderungen wird es in den kommenden Wochen und Monaten sicher nicht fehlen.
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