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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Englischer Humor

Von Stefan Kuhn

Das hat Europa nicht verdient. Die Briten nehmen nun doch an den Wahlen zum Europaparlament teil. Das ist der Witz des Jahres, über den vermutlich nicht einmal die Briten selbst lachen können, und denen sagt man ja einen etwas schrägen Humor nach. Natürlich gibt es für den Urnengang im Vereinigten Königreich eine rechtliche Grundlage. Die Regierung unter der konservativen Premierministerin Theresa May hat es in fast drei Jahren nicht geschafft, ein EU-kompatibles Ausstiegsprogramm zu entwerfen. Der mit der EU ausgehandelte Ausstiegsvertrag war in ihrer Parlamentsfraktion in mehreren Abstimmungen nicht mehrheitsfähig. Der anvisierte Scheidungstermin am 29. März konnte nicht eingehalten werden, aus Angst vor einem ungeordneten Brexit hat Brüssel London eine Galgenfrist bis 31. Oktober gegeben. Das Königreich muss an den Wahlen teilnehmen. Aber es tut weh, wenn jemand, der weg will und eigentlich schon weg ist, aus Formgründen noch dabei ist und mitbestimmen darf.

Im Prinzip wäre die Teilnahme Großbritanniens an den EU-Wahlen eine reine Pflichtübung, wenn auch eine ärgerliche und teure. Man hätte dem Urnengang sogar etwas Positives abgewinnen können, wenn er denn zu einer Art zweitem Brexit-Referendum werden würde. Das wird er jetzt, aber in einem ganz anderen Sinne. In den Umfragen liegt eine erst im Januar gegründete Brexit-Partei in Führung, der Nigel Farage vorsteht. Farage ist der Frontmann der EU-Gegner, er war jahrelang Vorsitzender der Unabhängigkeitspartei (UKIP) und sitzt auch heute noch im Europaparlament. Es scheint, als ob sich der erbitterte EU-Gegner nicht von der EU lösen kann.

Aber Farage hat natürlich Recht. Mays Konservative sind sich nicht einig, Jeremy Corbyn von der oppositionellen Labour-Partei, weiß selbst nicht, ob er die EU verlassen will. Einige Labour-Abgeordnete wollen das, andere wollen das auf keinen Fall. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Sozialdemokraten kaum von den Torys. Offiziell steht Labour aber für einen weichen Brexit, einen Verbleib des Landes in Binnenmarkt und Zollunion. Farage dagegen will raus. Sofort. Damit spricht er vielen Briten aus dem Herzen. Sie wissen, wenn sie Farage wählen, wählen sie Klartext. In Umfragen kommt seine Brexit-Partei auf 34 Prozent der Stimmen. Labour folgt mit 21 Prozent, danach die Liberalen, die relativ geschlossen gegen einen Austritt sind, mit 12 Prozent und die Konservativen mit 11 Prozent.

Man muss hier erwähnen, dass ein derartiges Wahlergebnis der proportionalen Verteilung der britischen Abgeordneten im EU-Parlament entsprechen würde. Im Gegensatz zu den Unterhauswahlen gilt in Großbritannien und Nordirland bei EU-Wahlen das Verhältniswahlrecht. Theresa Mays Konservative können ein bisschen durchatmen. Die Brexit-Partei käme zwar auch bei Unterhauswahlen auf beunruhigende 20 Prozent und damit auf einen Prozentpunkt mehr als die Torys, aber solche landesweiten Umfragen spiegeln die künftige Zusammensetzung des House of Commons kaum wider. Die Unterhausabgeordneten werden in Wahlkreisen nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt. Bei den EU-Wahlen werden die Konservativen wohl abgestraft, aber vermutlich nur bis Ende Oktober, dann hat der Spuk ein Ende. Wenn das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen hat, hat auch die Brexit-Partei ihre Existenzberechtigung verloren.

Na ja, manch einer wird hier Zweifel anmelden. Man könnte es ihm nicht verübeln. Theresa May hat fast ein Jahr lang gewartet, bis sie den Austrittsantrag in Brüssel gestellt hat. Man kann davon ausgehen, dass sie in dieser Zeit mögliche Szenarien und deren Mehrheitsfähigkeit ausgelotet hat. Danach hatte sie zwei Jahre Zeit, um einen Austrittsvertrag mit der EU auszuhandeln. Der stand dann erst Ende vergangenen Jahres und scheiterte dann mehrmals im Unterhaus. Für das Hauptproblem, die künftige Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland, das heißt zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich, wurde noch keine Lösung gefunden. Es zeichnet sich auch keine ab.

Optimisten werden vielleicht hoffen, dass die Brexit-Partei ein Drohpotenzial in Hinsicht auf die kommenden Unterhauswahlen darstellt. Es könnte zwar durchaus passieren, dass Farages Partei den Torys in den Brexit-Regionen England und Wales Wahlkreise abnimmt und in größerer Zahl ins Unterhaus einzieht. Aber dieses Angstszenario dürfte kaum geeignet sein, die Konservativen zu einen und noch weniger, die Opposition zur Zusammenarbeit zu bewegen. Der ungeordnete Brexit, das Verlassen der EU ohne ein Austrittsabkommen, den eine breite Mehrheit der Briten auf keinen Fall will, wurde von May wegen dessen Drohpotenzials nie ausgeschlossen. Dies blieb ohne Effekt. Das Unterhaus ergriff selbst die Initiative und lehnte einen Austritt ohne Abkommen ab. May musste in Brüssel um Aufschub bitten. Vermutlich kann man bei den Londoner Buchmachern viel Geld gewinnen, wenn man darauf wettet, dass das Vereinigte Königreich nach dem 31. Oktober nicht mehr EU-Mitglied ist und damit Recht hat.

Für Nigel Farage wird sich sein Wiedereinzug ins Europäische Parlament nicht mehr lohnen. Er ist seit 20 Jahren EU-Abgeordneter und hat damit die maximalen Pensionsansprüche von 70 Prozent seines Gehalts erworben. Der 55-Jährige bekommt bis an sein Lebensende monatlich mindestens 4375 Euro überwiesen. Das sind mehr als 220.000 Argentinische Pesos und in Farages gewünschter Währung immerhin noch 3816 Pfund Sterling. Darüber mag man auch nicht lachen können, aber es entbehrt zumindest nicht einer gewissen Komik.

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