Von Annette Reuther und Lena Klimkeit
Endlich hat er das Wort. Giuseppe Conte steht im Senat von Rom. Auf der einen Seite der Chef der rechten Lega, Matteo Salvini, wie ein zum Schweigen verdammter Prügelknabe. Ausnahmsweise. Auf der anderen Seite Luigi Di Maio, Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, immer wieder zufrieden lächelnd, die Augen gen Himmel gerichtet. Schließlich hat der Ministerpräsident ja gerade seinen schlimmsten Feind zusammengestaucht und diesen mit messerscharfen Sätzen für das Ende der „Regierung des Wandels“ verantwortlich gemacht.
Die Allianz aus Lega und Sternen ist nach fast 15 Monaten Dauererregung am Ende. Das, was ein einmaliges Experiment zwischen zwei einzig im Populismus und in ihrer Kritik an Europa vereinten Parteien werden sollte, ist gescheitert. Mit ungewissen Folgen.
Bevor der parteilose Anwalt Conte am Dienstag seinen Rücktritt ankündigt, setzt er immer wieder an: „Caro Matteo“, „lieber Matteo“. Nett ist das, was Conte nun vorträgt, aber nicht. Er wirft Salvini Machtstreben aus purem Eigeninteresse, politischen Opportunismus und Verantwortungslosigkeit vor. Salvini hatte vor zwei Wochen die Koalition aufgekündigt und will eine Neuwahl - um „volle Befugnisse“ zu bekommen, die ganze Macht. Das hat er längst erklärt.
Die Lega habe „14 Monate intensiver Regierungsaktivitäten befleckt, nur um die mediale Werbetrommel zu rühren“, moniert Conte. Seine Ansprache ist die Abrechnung mit Savini, der sich in Italien immer mehr in den Vordergrund gespielt hat, fast betrunken von den guten Umfragewerten. Der wie im Rausch durch das Land tingelt, um die Menschen mit Cocktailgläsern in der Hand an Stränden, Plätzen und bei unzähligen Wahlkampfveranstaltungen auf seine Seite zu ziehen. Der nun zum Gegenangriff ansetzt und sagt, er würde alles wieder genauso machen. Der zum tausendsten Mal über „Merkel und Macron“ lästert, denen die EU-Regeln „vollkommen wurst“ seien. Der es „leid“ ist, dass „jeder unserer Schritte von einer Unterschrift von irgendeinem EU-Funktionärs abhängt“. Und der die armen Italiener zur Wahl aufruft, um ihn als Retter der Nation zu bestimmen.
Ginge es nach Salvini, wäre das schon im Oktober der Fall. Doch Italiens Regierungskrisen sind notorisch kompliziert. Und diese hier ist besonders kompliziert. Die Zeitung „Corriere della Sera“ sprach von der „verrücktesten Regierungskrise der Welt“. Analysten wie die von der Großbank Barclays beschreiben die jetzige Krise als „eine der unvorhersehbarsten“ in der modernen italienischen Geschichte. Der Polit-Analyst Wolfango Piccoli sieht ein „absurdes politisches Theater“. Denn alle Parteien spielen ein taktisches Spielchen.
„Heute ist nach 14 Monaten eine der schlimmsten Erfahrungen in der Geschichte der Republik zu Ende“, erklärte Ex-Regierungschef Matteo Renzi vom sozialdemokratischen Partito Democratico (PD). „Ganz Europa weiß jetzt, dass die Populisten im Wahlkampf funktionieren, aber in einer Regierung scheitern.“ Renzi dürstet es nach einer demütigenden Abwahl seiner Partei im letzten Jahr nach Rache. Denn die Sozialdemokraten könnten Salvini zusammen mit den Fünf Sternen noch ausbooten und in die Opposition verdammen.
Nämlich dann, wenn beide Parteien sich zu einer Allianz zusammenraufen würden. Eigentlich sind sie sich spinnefeind - aber sie hätten beide etwas davon: Die Wahlen würden sich verzögern. In Umfragen sind beide weit abgeschlagen. Doch Beobachter warnten schon vor einer „Koalition der Verlierer“, die gegen die vorherrschende Stimmung im Land gehe.
Auch wenn die sommerliche Politkrise schon surreale Züge trägt. Zum Lachen gibt es eigentlich nichts. Es sind vor allem zwei Themen, die Europa und damit auch Deutschland Sorgen bereiten sollten.
Zum einen ist da der Streit um die Einwanderung. Während sich in Rom machthungrige Männer gegenseitig demontieren, springen verzweifelte Migranten von dem spanischen Rettungsschiff „Open Arms“ vor der Insel Lampedusa von Bord. An Italien scheiterte zuletzt der Versuch, eine vorübergehende Lösung für die Verteilung von Bootsflüchtlingen zu finden. Vor allem Deutschland und Frankreich hatten sich dafür stark gemacht. Doch Salvini lehnt es kategorisch ab, die Schiffe erst mal in Italien anlegen zu lassen.
Auch beim zweiten Thema brennt es an allen Ecken und Enden: Italien ist so hoch wie kaum ein anderes Land auf der Welt verschuldet. Die drittgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone kommt wirtschaftlich nicht auf die Beine. Gut ausgebildete Menschen wandern ab, es werden keine Kinder mehr geboren, der Süden hängt immer weiter hinterher.
Obwohl das Land auf einem riesigen Schuldenberg sitzt, hat die Populistenregierung teure Wahlversprechen wie das Herabsetzen des Rentenalters und ein Bürgereinkommen durchgesetzt. Salvini pocht zudem auf Steuererleichterungen - dafür werde er viel Geld in die Hand nehmen, verspricht er im Senat.
Bis Ende des Jahres muss das Haushaltsgesetz verabschiedet sein. Doch wer bringt den Haushalt für 2020 durch? Wer holt die heißen Kohlen aus dem Feuer? Für Staatspräsident Sergio Mattarella wird diese Frage Priorität haben, wenn dieser Tage die Konsultationen bei ihm beginnen, wie es in der Krise weitergehen soll. Wieder einmal lasten auf dem besonnenen, stillen Mann auf dem Quirinalshügel alle Hoffnungen, dass er es schon richten wird und Italien aus dem Schlamassel holt.
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