Rechtskandidat Kast gewinnt erste Runde der Präsidentenwahl
Nach Jahrzehnten der Stabilität driftet das südamerikanische Land auseinander: Inmitten massiver gesellschaftlicher und politischer Umbrüche ziehen ein linker Studentenführer und ein rechter Pinochet-Sympathisant in die Stichwahl ein.
Santiago de Chile (dpa) - Der ultrarechte Kandidat José Antonio Kast hat die erste Runde der Präsidentenwahl in Chile gewonnen. Der Sohn deutscher Einwanderer kam bei der Wahl am Sonntag auf 27,91 Prozent der Stimmen, wie das Wahlamt mitteilte. Der frühere Studentenführer Gabriel Boric erhielt 25,83 Prozent. Die beiden Vertreter der äußeren Ränder des politischen Spektrums werden nun in der Stichwahl am 19. Dezember aufeinandertreffen. Das traditionelle Parteiengefüge in Chile ist durch den Wahlausgang vorerst Geschichte. Das erste Mal seit der Rückkehr zur Demokratie 1990 schafften es die traditionellen Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Parteien nicht einmal in die Stichwahl.
“Es ist die Stunde gekommen, die Angst hinter uns zu lassen, die Bequemlichkeit aufzugeben und entschlossen unsere Freiheit zu verteidigen”, sagte Kast am Wahlabend vor seinen Anhängern. “Wir müssen uns zwischen Freiheit und Kommunismus entscheiden. Wir werden Frieden, Ordnung und Fortschritt wiedererlangen.”
Der Bewerber von der Republikanischen Partei will Steuern senken, die Zuwanderung begrenzen und hart gegen Kriminelle vorgehen. Er hat sich nie deutlich von der Militärdiktatur von General Augusto Pinochet (1973-1990) distanziert und sympathisiert mit dem ultrarechten brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Einige Beobachter stufen Kast als Rechtsextremisten ein.
Der gerade einmal 35 Jahre alte Kandidat Boric vom linken Wahlbündnis “Apruebo Dignidad” (Ich stimme der Würde zu) wirbt für den Ausbau des Sozialstaats, Klimaschutz und Frauenrechte. “Wir haben heute den Auftrag erhalten, einen Kampf für Demokratie, Integration, Gerechtigkeit und die Achtung der Würde aller Menschen zu führen”, sagte er nach der Schließung der Wahllokale. “Ich werde den anderen Kandidaten nicht angreifen - das ist nicht mein Stil. Wir werden Fürsprecher der Hoffnung, des Dialogs und der Einheit sein. Unser Kreuzzug, für den wir uns in ganz Chile einsetzen werden, ist der Kreuzzug, dass die Hoffnung über die Angst siegt.”
Lange galt Chile als leuchtendes Beispiel in der von Armut, Gewalt und politischer Unruhe geprägten Region. Das Land hat das höchste Pro-Kopf-Einkommen in Südamerika, die Armut konnte in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesenkt werden. Zudem verfügt Chile über eine aktive Zivilgesellschaft, in den vergangenen Jahrzehnten wechselten sich gemäßigte linke und rechte Regierungen ab.
Heute befindet sich Chile in der Krise: Wegen Brandanschlägen und Attacken radikaler Indigener vom Volk der Mapuche hat die Regierung in einigen Regionen im Süden des Landes den Notstand ausgerufen. Präsident Sebastián Piñera entging in der vergangenen Woche nur knapp einem Amtsenthebungsverfahren wegen eines fragwürdigen Bergbau-Deals.
Zudem leidet das Land auch unter einer großen sozialen Ungleichheit. Weite Teile des Gesundheits- und Bildungswesens sind privatisiert, immer mehr Menschen fühlen sich abgehängt. Vor zwei Jahren gingen deshalb über Wochen hinweg jeden Tag Tausende gegen die Regierung auf die Straße. Die Protestwelle entzündete sich zunächst an einer leichten Erhöhung der Preise für den öffentlichen Nahverkehr. Doch bald ging es um Grundsätzliches: Die Demonstranten forderten einen besseren Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung sowie eine Abkehr vom neoliberalen Wirtschaftssystem.
Mit einer ihrer Hauptforderungen konnten sie sich durchsetzen: Derzeit arbeitet eine Verfassungsgebende Versammlung eine neue Verfassung aus. Der aktuelle Text stammt noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur. Am Sonntag wurden auch alle Abgeordneten und die Hälfte der Senatoren neu gewählt. Sollte die neue Verfassung in einem Referendum angenommen werden, wäre es an den Parlamentariern, die darin vorgesehenen politischen und sozialen Reformen auch umzusetzen.
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