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Eine Ära endet - Nachruf auf Stefan Kuhn

Von Marcus Christoph

Am Donnerstag der Vorwoche unterhielten wir uns noch im Rahmen der Schlussredaktion über tagesaktuelle Fragen. Nur zwei Tage später erhielt ich die erschütternde Nachricht, dass unser Redaktionsleiter, mein langjähriger Kollege Stefan Kuhn, gestorben ist. Es kommt mir noch sehr unwirklich vor. Zwar war seit seinem schweren Herzinfarkt vor zwei Jahren offenkundig, dass Stefan Kuhn nicht mehr im Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte war. Doch war er in der Folgezeit wieder in der Lage, den politischen Teil des Tageblatts zu gestalten. Für diesen Monat hatte er eine Reise mit seiner Patentochter nach Deutschland geplant. Und so kam dann die traurige Kunde von seinem Tod recht unerwartet. Stefan Kuhn wurde nur 61 Jahre alt. Er erlag nach dem, was wir wissen, einem neuerlichen Herzinfarkt.

Mit ihm endet eine knapp 30-jährige Ära beim Tageblatt. 1993 war der Baden-Württemberger, der in Augsburg Politikwissenschaften studiert hatte und später auch einen journalistischen Aufbaustudiengang an der Uni Hohenheim absolvierte, nach Buenos Aires gekommen. Zunächst eigentlich nur als Begleiter seiner damaligen Partnerin, wie er einmal erzählte. Doch er knüpfte Kontakte zum Tageblatt und erhielt das Angebot, als Redakteur die traditionsreiche deutschsprachige Zeitung zu verstärken. Als der damalige Chefredakteur Peter Gorlinsky 1996 starb, übernahm Stefan Kuhn die Leitung der Redaktion, die er bis vor wenigen Tagen innehatte.

Seine Führungsweise lässt sich als besonnen und unaufgeregt beschreiben - keine Selbstverständlichkeit im doch oft hektischen Mediengeschäft. Stefan Kuhn setzte mehr auf überzeugende Argumente, denn auf schroffe Dienstanweisungen. Vornehme Empfänge oder Menschentrubel waren nicht seine Welt. Er saß lieber an seinem Schreibtisch umgeben von vielen Büchern und kommentierte das Zeitgeschehen mit tiefgründigen Analysen, die im Tageblatt meist auf Seite 4 unter der Rubrik „Blickfeld“ erschienen. Hier konnte er sein immenses politisches Wissen einbringen. Er schaffte es zudem, komplexe Sachverhalte in eine verständliche und klare Sprache zu kleiden. Seine Kommentare hätten qualitativ auch gut in überregionalen Zeitungen in Deutschland stehen können. Seine politische Ausrichtung lässt sich - stark vereinfacht - als links, aber nicht dogmatisch beschreiben. Vor Letzterem schützte ihn alleine schon sein feiner Sinn für Humor, den die Leser auch in seinen Randglossen finden konnten.

Besondere Mühe gab er sich bei den großen Sondernummern, die das Tageblatt jedes Jahr zum Gründungstag der Zeitung am 29. April, aber auch zu den Nationalfeiertagen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz herausgab. Hier verfasste er gut recherchierte Artikel zur Geschichte des Tageblatts oder zu historischen Ereignissen. Er hatte die Gabe, so zu formulieren, dass man seine Texte mit großem Vergnügen las und Erkenntnisgewinn daraus zog. Seinen Mitarbeitern - seien es Redaktionskollegen oder Praktikanten - stand er stets zur Seite. Zahlreiche Dankesbekundungen, die nach der Todesnachricht bei uns eingingen, bezeugen, dass seine Ratschläge nachhaltig waren und so auch nachwachsende Journalistinnen und Journalisten mitgeprägt haben.

Ein besonderer Höhepunkt der journalistischen Arbeit Stefan Kuhns war der Erfolg bei dem Wettbewerb „Dialog für Deutschland“, bei dem das Tageblatt 2012 als beste deutschsprachige Auslandszeitung ausgezeichnet wurde. Als Redaktionsleiter nahm er den Preis in Berlin aus den Händen des damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert entgegen.

Im Laufe der Jahre identifizierte sich Kuhn immer mehr mit dem Tageblatt, dessen Geschichte als Kampfblatt gegen den Nationalsozialismus er sehr bewunderte. Er empfand eine tiefe Verantwortung gegenüber der Zeitung. Als er vor zwei Jahren nach schwerer Herz-OP aufwachte, war seine erste Sorge, wie es um die Redaktion bestellt sei. Und auch im vergangenen Dezember, als er für mehrere Tage zu einer Untersuchung im Krankenhaus war, hatte er seinen Laptop dabei, um von dort seinen Teil zur Redaktionsarbeit beizutragen.

Als Mensch hatte er ganz verschiedene Facetten: Er lebte - aus deutscher Sicht - knapp drei Jahrzehnte in Übersee, blieb aber seiner Heimatregion Hohenlohe in Baden-Württemberg und seiner dortigen Familie sentimental stets sehr verbunden. In seiner zweiten Heimat Argentinien sah er manches kritisch, hatte andererseits aber durch seine argentinische Wahlfamilie enge menschliche Bindungen aufgebaut. Er war auch kein kalter Intellektueller, der sich nur für Politik und Literatur interessiert hätte. So begeisterte er sich auch für Fußball und Skat und wusste gesellige Runden im kleinen Kreis zu schätzen.

Stefan Kuhn war mit seiner Beständigkeit und Verlässlichkeit ein Garant dafür, dass das Tageblatt gegen alle Wahrscheinlichkeiten Jahr für Jahr weiterbestehen konnte. Bis kurz vor seinem Tod galten seine Gedanken dem Gelingen der Zeitung. Stefan Kuhn hinterlässt menschlich wie journalistisch eine große Lücke. Ein Tageblatt ohne ihn wird es nicht mehr geben. An dieser Stelle lässt sich nur noch sagen: Vielen Dank für die gemeinsame Zeit. Lebe wohl lieber Stefan, Du wirst uns fehlen!



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