Von Juan E. Alemann
In Argentinien besteht ein Ernährungsproblem, das jedoch ganz anders als in Ländern und Gegenden ist, wo Menschen regelrecht verhungern, weil sie keine Nahrungsmittel erzeugen, oder nur in ungenügendem Ausmaß, auch auch nicht die Mittel haben, um sie woanders zu kaufen. Die Deutsche Welle vermittelt ständig Szenen in afrikanischen Ländern, die tief erschütternd sind. In Argentinien werden einmal Lebensmittel aller Art im Überfluss erzeugt, und was Getreide, Ölsaaten, Fleisch und Fisch betrifft, in hohen Mengen exportiert. Die Menschen sehen allgemein gut ernährt aus, auch die, die in Elendsvierteln wohnen. Dennoch gibt es gewiss Menschen, die zu wenig Nahrung erhalten, und noch mehr, die sich falsch ernähren. Kinder, die ungenügend Protein erhalten, erleben einen ständigen Schaden in der Entwicklung ihres Gehirns. Oft sieht man relativ dünne Menschen mit dicken Bäuchen, was auf falsche Ernährung deutet. Auch gibt es viele Menschen mit Übergewicht, was ihrer Gesundheit schadet und ihr Leben verkürzt.
Die jeweilig Regierenden machen sich Sorgen über diejenigen, die sich nicht ausreichend ernähren können, wissen aber nicht, wie sie an diese Problematik herangehen sollen. Dabei besteht stets die Gefahr der Politisierung des Themas, die dann in einer großen Vergeudung der verfügbaren Mittel endet. Präsident Raúl Alfonsín machte aus dem Hunger, den es objektiv gesehen 1983 kaum gab, einen zentralen Punkt seiner Wahlkampagne, und führte dann das Nahrungsmittelprogramm PAN (Programa Alimentario Nacional) ein, das in der unentgeltlichen Vergabe von Nahrungsmittelpaketen an Millionen Familien bestand, die statistisch als arm eingestuft wurden. Es war im Wesen eine gigantische Vergeudung öffentlicher Mittel, weil nur ein Bruchteil der Empfänger dieser Pakete sie wirklich benötigten. Und auch diesen hätte mit weniger Geld besser geholfen werden können. Das Programm platzte schließlich, weil es die Staatsfinanzen überforderte und mit zum gigantischen Defizit führte, das die Hyperinflation nährte, wegen der die Alfonsín-Regierung 1989 ein vorzeitiges Ende nahm.
Menem versuchte dann, das Problem rationeller zu lösen, mit Vergabe von Kaufscheinen bei Supermärkten. Doch diese Scheine wurden bei der Zuteilung entwendet, so dass sie zum großen Teil in Händen von Leuten landeten, für die sie gewiss nicht bestimmt waren. Es war ein Skandal, und das Programm wurde abgeschafft.
Duhalde und danach die Kirchners gingen an das Problem mit direkten Subventionen an arme Familien und Kindergelder heran. Es war eine teure und unbefriedigende Lösung. Das alles besteht bis heute noch, doch es bezieht sich eben spezifisch nicht auf das Ernährungsproblem. Macri hat sich nicht getraut, diese recht willkürlich verteilten Subventionen abzuschaffen oder zumindest einzuschränken.
Mauricio Macri ist zunächst davon ausgegangen, dass die Wirtschaft unter seiner Regierung stark wachsen würde, und dies auch eine direkte Wirkung auf den Nahrungsmittelkonsum haben würde, auch bei der armen Bevölkerung. Das war eine Phantasie, einmal weil Wachstum die extremen Armutssituationen erst nach einiger Zeit teilweise abschafft, und dann, weil das Wachstum sehr beschränkt war und kurz dauerte. Als 2018 die Krise aufkam, die sich 2019 vertiefte, griff er zu besonderen Maßnahmen, die jedoch das Ernährungsproblem nicht lösten. Die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf eine bestimmte Zahl von Lebensmitteln, die in großen Mengen konsumiert werden, löst überhaupt nichts. Das Steuergeschenk geht zu mindestens 80% an Familien, die es nicht brauchen. Es ist ein Schulbeispiel für eine Maßnahme, die man nicht treffen sollte.
Der zukünftige Präsident, Alberto Fernández, macht sich auch Sorgen um das Problem. In diesem Sinn hat er eine bunte Palette von Politikern und anderen Persönlichkeiten einberufen, und mit ihnen das Thema behandelt. Doch dabei ist überhaupt nichts herausgekommen. Diese Leute haben keine Ahnung von den konkreten Aspekten des Ernährungsproblems, und noch weniger von der Knappheit staatlicher Ressourcen, und reden um den heißen Brei herum. Sie faseln von Einkommensumverteilung, wirtschaftlichem Wachstum u. dgl., was kaum etwas mit der unmittelbaren Ernährungsproblematik zu tun hat. Dabei besteht die Gefahr, dass dies in hohen Ausgaben mündet, die keinen vernünftigen Sinn haben und die Staatsfinanzen noch mehr belasten, nur weil der Präsident unter Druck gestellt wird, und zeigen muss, dass er etwas tut, um den Hunger zu bekämpfen. In diesem Sinn ist schon eine Initiative aufgekommen, die in der Verteilung von Ernährungskarten an arme Familien mit minderjährigen Kindern besteht, damit sie Lebensmittel unentgeltlich oder stark verbilligt beziehen können. So ein Programm ist schwer zu verwalten, und führt voraussichtlich dazu, dass öffentliche Mittel in hohem Umfang vergeudet werden.
Wir wollen jetzt versuchen, mögliche Initiativen vorzubringen, die das Problem effektiv angehen. In diesem Sinn sei als erstes an das Programm Pro Huerta erinnert, das die Menem-Regierung in Gang setzte, das danach nur zögernd weitergeführt wurde. Es bestand darin, Familien mit einem geringen Bodenbesitz beim Anbau von Gemüse und Obst, auch bei der Hühnerzucht und gelegentlich der Kaninchenzucht, behilflich zu sein (über das technologische Institut der Landwirtschaft INTA), mit Vergebung von Samen und Pflanzen, und Beistand über deren Anbau. Das hat zu über einer halben Million Gemüsegärten von Familien, Schulen und Gemeinden geführt, mit denen sich über 2 Mio. Menschen teilweise ernähren. Die Kosten des Programms waren sehr gering, besonders im Verhältnis zum Ergebnis. Es ist ein effizientes Programm, das intensiviert und auch auf Familien ausgedehnt werden sollte, die keinen eigenen Bodenbesitz haben, denen ein Grundstück zur Verfügung gestellt werden muss.
Es besteht jetzt die Möglichkeit, die zahlreichen Suppenküchen, die vor allem in den ärmeren Vierteln von Groß-Buenos Aires bestehen (Es sind hunderte, und es könnten mit staatlicher Hilfe noch viel mehr sein), und auch die Schulen (in denen die Kinder eine Mahlzeit und gelegentlich auch ein Frühstück erhalten) mit Lebensmitteln zu versorgen.
In Argentinien wird Gemüse im Überfluss erzeugt. Zum Teil wird es nicht einmal geerntet, und zum Teil wird es weggeworfen, weil es verdorben ist. Bei höherer Nachfrage wird sofort mehr produziert. Am Zentralmarkt von Buenos Aires sollte der Staat eine Stelle einrichten, in der er Gemüse und Obst in unbeschränkten Mengen kauft (und sofort bezahlt). Dabei muss nur täglich auf einem Schild angegeben werden, welcher Preis für die einzelnen Produkte gezahlt wird. Dieser Preis würde unter dem liegen, den die Gemüsehändler des Marktes zahlen. Diejenigen, die den Zentralmarkt beliefern, können dann zunächst ihre Kunden versorgen, und dann was übrig bleibt, an den Staat verkaufen. Viele würden dann mehr Ware bringen, weil die Gemüsebauern gewiss bereit sind, mehr zu erzeugen und zu liefern. Dann müsste ein Lastwagentransportsystem organisiert werden, bei dem die Lastwagen mit Gemüse gefüllt werden und zu den Suppenküchen und Schulen fahren, wo die Verantwortlichen dann so viel nehmen können, wie sie benötigen. Das Gemüse wird bestimmt in den Kochtöpfen landen, mit denen die Mahlzeiten zubereitet werden. Eine Kontrolle der einzelnen Lieferungen erübrigt sich. Hierzu sei noch bemerkt, dass die Ärzte, die sich mit Ernährung befassen, darauf hinweisen, dass in Argentinien zu wenig Gemüse konsumiert wird. Dieser Mangel würde mit dem hier beschriebenen System zum Teil behoben. Gegenwärtig hat die Kost in den Schulen und Essanstalten zu viel Teigwaren.
Ebenfalls kann man die Versorgung dieser Essanstalten und Schulen mit tierischem Protein organisieren. Die Schlachthöfe sind bestimmt bereit, Kutteln, die in Argentinien, im Gegensatz zu Europa kaum konsumiert werden, aber ebenso nahrhaft wie Fleisch sind, billig zu verkaufen (da sie sie sonst zu Schleuderpreisen exportieren müssen), ebenso wie andere Teile des Rindes, die keine Gunst der Konsumenten genießen. All dies muss von Lastwagen abgeholt und verteilt werden. Es ist nur eine Organisationsfrage. Ebenfalls können Fleischsurrogate aus Sojabohne (Schnitzel u.a.) bezogen werden, die billiger als Fleisch sind, aber in Bezug auf Proteingehalt nicht viel anders sind. In vegetarischen Restaurants werden diese Produkte normal angeboten., und in vielen Supermärkten immer mehr.
Es bestehen noch weitere Möglichkeiten in Richtung billiger Nahrungsmittel mit gutem Nährwert, die in den Essanstalten geboten werden können. Damit erhält jeder Mensch, der nicht genug zu essen hat, der in Groß-Buenos Aires wohnt (besonders in La Matanza u.a. Armengebieten) die Möglichkeit, täglich eine ausgeglichene Nahrung zu erhalten, ohne dass dabei die Staatsfinanzen überfordert werden.
Doch das Ernährungsproblem geht über dies hinaus. In den Schulen muss gelehrt werden, wie sich eine gesunde Ernährung zusammensetzt. Die Kinder müssen lernen, dass die Nahrung aus Kohlenhydraten, Protein, Fett, Mineralien, Vitaminen und Ballaststoffen besteht, und welche Nahrungsmittel diese Elemente enthalten, und wie viel von jedem. Sie müssen wissen, wie sich eine ausgeglichene Diät zusammensetzt. Und dann müssen auch spezialisierte Lehrkräfte, Kinder, die zu dünn oder zu dick sind, oder andere Symptome einer falschen Ernährung aufweisen, dementsprechend behandeln, oder sie zum Arzt schicken, und auch mit den Eltern reden, Es fällt auf, dass konkrete Vorschläge wie diese in der öffentlichen Diskussion überhaupt nicht aufkommen. Die Regierung muss sich eben bemühen, dass Personen, die das Thema verstehen, zu Wort kommen und eventuell dann bei der Ausarbeitung der konkreten Programme mitwirken.
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