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Die Erben von „El Chapo“

Drogenkartelle lassen Mexiko ausbluten

Von Andrea Sosa Cabrios

Die Schreckensherrschaft von „El Chapo“ ist vorbei - aber die Nachfolger führen sein Vermächtnis in Mexiko fort. Jeden Tag gibt es fast hundert Morde. Bei der Gewalt der Kartelle geht es längst nicht mehr nur um den Drogenhandel.

Joaquín „El Chapo“ Guzmán
Joaquín „El Chapo“ Guzmán (2014). (Foto: dpa)

Mexiko-Stadt - Joaquín „El Chapo“ Guzmán, der berühmteste Drogenboss Mexikos, verbringt heute seine Tage in einer 3,5 mal zwei Meter großen Zelle. Nach seiner Verurteilung zu lebenslanger Haft in den USA vor einem Jahr (17. Juli 2019) kam der heute 63-jährige Ex-Chef des Sinaloa-Kartells in das Hochsicherheitsgefängnis der Stadt Florence im Bundesstaat Colorado. Seine Schreckensherrschaft ist vorbei. Die Gewalt der Kartelle in Mexiko aber längst nicht.

Zerstückelte Leichen werden gefunden, ein Richter und seine Frau werden zu Hause erschossen, auf den Polizeichef der Hauptstadt wird ein Attentat verübt, bei einem Massaker in einer Entzugsklinik werden 27 Menschen getötet - all das und mehr ist allein im vergangenen Monat passiert. Vergangenes Jahr wurden laut offizieller Statistik im Schnitt fast 100 Menschen pro Tag in Mexiko ermordet. Trotz Corona-Krise ist es 2020 nicht weniger geworden.

Mitte Juni, an einem Freitagabend, fuhren um die 20 Kleintransporter voller bewaffneter Männer in die Stadt Caborca in der Wüste des Bundesstaates Sonora, rund 150 Kilometer von der US-Grenze entfernt. Vermummte zündeten Häuser, Autos, eine Tankstelle und einen Lastwagen an. Die Stadt war anscheinend ein Schauplatz eines Krieges zwischen Faktionen des Sinaloa-Kartells geworden.

 

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„Es war eine Horrornacht“, erzählte eine Frau. „Wir sind ins hinterste Zimmer gegangen und haben eine Matte unter das Bett gelegt. Darauf haben wir geschlafen, in Angst davor, was passieren könnte.“ Später tauchten zehn Leichen mit Schusswunden am Rande einer Landstraße auf.

Drei Söhne Guzmáns - Iván Archivaldo, Jesús Alfredo und Ovidio, bekannt als die „Chapitos“ - ließen den mexikanischen Staat im vorigen Jahr schlecht aussehen, als sie in Culiacán, der Hauptstadt des Bundesstaates Sinaloa, Angst und Tod verbreiteten. Der Armee war es gelungen, den 30-jährigen Ovidio festzunehmen, aber seine Brüder erzwangen mit einem Gewaltausbruch seine Freilassung.

Währenddessen breitet sich ein neueres Kartell schnell aus: das Cártel Jalisco Nueva Generación (CJNG), das früher mit dem Sinaloa-Kartell von „El Chapo“ verbündet war und nun ein Rivale ist. CJNG-Chef ist Nemesio Oseguera Cervantes, genannt „El Mencho“. Für Hinweise, die zu seiner Festnahme führen, hat die US-Regierung zehn Millionen Dollar ausgelobt.

Seine Gruppe, die in mehr als 20 der 32 mexikanischen Bundesstaaten präsent ist, hat sich durch den Gebrauch von Kriegswaffen hervorgetan. Vor fünf Jahren holten sie einen Militärhubschrauber aus der Luft - neun Menschen starben. Wenige Stunden nach dem Attentat auf ihn am 26. Juni twitterte der angeschossene Polizeichef von Mexiko-Stadt, Omar García Harfuch, von seinem Krankenhausbett aus: Es handle sich um einen Angriff des CJNG.

In ihrem jährlichen Bericht zur Bedrohung durch Drogen für 2019 schrieb die US-Antidrogenbehörde DEA über kriminelle Organisationen aus Mexiko: „Keine anderen Gruppen sind derzeit in der Lage, sie herauszufordern.“ Der Schmuggel von Fentanyl, einem synthetischen Opioid, das 50-mal stärker ist als Heroin, ist im Moment ein besonders großes Geschäft.

Aber der Drogenhandel ist längst nicht die einzige Einnahmequelle der knapp 200 kriminellen Organisationen, die es nach einem Bericht des Forschungsinstituts International Crisis Group in Mexiko gibt. Darunter sind regionale Gruppen wie das Kartell Santa Rosa de Lima, das aus dem Diebstahl von Kraftstoff erwuchs, und das Nordost-Kartell, das unter anderem Migranten entführt.

„Im allgemeinen sind mexikanische kriminelle Organisationen kleiner und kleiner geworden“, heißt es in dem Bericht. „Sie kämpfen um bescheidene Stücke der Wirtschaft, wie Produktion und Vertrieb von Tabak, Avocados und Schweinswalleber - eine Delikatesse in der chinesischen Küche.“

Das Vermächtnis von „El Chapo“ lebt in Mexiko in der Gewalt seines Kartells weiter, aber auch im Persönlichkeitskult um ihn. Seine Tochter Alejandrina betreibt eine Marke, die seinen Namen trägt. Sein Konterfei ziert Kleidung, Bierflaschen - und während der Corona-Krise auch Mundschutzmasken.

„El Chapo“ hatte 2016 in einem Interview des US-Schauspielers Sean Penn für das Magazin „Rolling Stone“ dem Geschäft mit Drogen eine lange Zukunft vorausgesagt. „Am Tag, an dem ich nicht mehr existiere, wird es nicht nachlassen.“ Diese Prophezeiung bewahrheitet sich gerade. (dpa)

 

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