Von Juan E. Alemann
Die argentinische Wirtschaft stagniert seit 8 Jahren, mit Schwankungen, also Jahren mit einer leichten BIP-Zunahme und Jahren der Abnahme. Und jetzt befinden wir uns mitten in einer unteren Welle, die länger dauert und tiefer ist als die vorangehenden. Die Macri-Regierung wollte eine Periode kontinuierlichen Wachstums einleiten, ist dabei jedoch gescheitert. Jetzt will es Alberto Fernández, der wahrscheinliche zukünftige Präsident, versuchen. Er wies auch darauf hin, dass die Staatsschuld nur in einem Wachstumsumfeld gezahlt werden könne. Doch abgesehen vom frommen Wunsch, dass Argentinien wachsen soll, überlegen sich seine Wirtschaftler, wie dies erreicht werden kann. Und wir auch.
Als erstes muss die Staatsschuld geregelt werden. Ein Default würde dazu führen, dass es keine weiteren Kredite an Argentinien gibt, auch nicht von der Weltbank und der BID, auch keine Unterbringung von Staatstiteln auf dem internationalen Finanzmarkt möglich ist, und dies nicht nur den Staat, sondern auch die Privatwirtschaft betrifft, und dabei auch Kapitalinvestitionen hemmt. Und dann gibt es kein Wachstum.
Alberto Fernández hat in der Vorwoche gesagt, dass die Staatsschuld gestreckt werden müsse, wie es Uruguay seinerzeit getan habe. Das bedeutet unterschwellig, dass es keinen Kapitalschnitt geben wird. Doch bei Zinsen (die er nicht erwähnt hat) kann man eher eine Angleichung auf einen Satz vorweggenommen, der dem normalen Zinssatz entspricht, denn die Banken bei Krediten an andere Länder erheben. Das würden die Gläubiger wohl annehmen. Diese Ankündigung hat den Finanzmarkt beruhigt und unmittelbar zu einer Abnahme der Landesrisikorate geführt, weil die argentinischen Staatspapiere an der Börse von New York sofort stiegen.
Schatzminister Hernán Lacunza wies in einem Vortrag anlässlich eines Seminars des Institutes der Verwalter der Finanzen der Unternehmen in Bariloche darauf hin, dass die Staatsschuld, die aus Titeln besteht, die auf dem Finanzmarkt untergebracht worden ist, 33% des Bruttoinlandsproduktes betrage, was gemäß internationalen Maßstäben wenig sei. In der Tat haben unzählige Länder, darunter auch fortgeschrittene wie die Vereinigten Staaten, Deutschland, Frankreich u.a. eine höhere Staatsverschuldung auf dem Finanzmarkt im Verhältnis zu ihrem BIP. Lacunza wies darauf hin, dass kein Land die Schulden kurzfristig bezahlen könne. In der Tat werden die Staatschulden weltweit ständig erneuert, wobei der Zinssatz von der jeweiligen Marktlage abhängt und jetzt in der großen Welt sehr niedrig ist, Die gesamte Staatsschuld beträgt laut Lacunza 85% des BIP. Doch was die 33% übersteigt besteht aus innerstaatlichen und langfristigen Schulden gegenüber der Weltbank, der Interamerikanischen Entwicklungsbank, anderen Banken und auch dem Internationalen Währungsfonds, der schließlich immer flexibel ist, und seine Forderungen den Möglichkeiten des Landes anpasst.
Es ist schwierig für Argentinien, gleichzeitig zu wachsen und Staatsschulden abzubauen. Investitionen, an erster Stelle solche für Infrastruktur bedürfen normalerweise einer Auslandsfinanzierung. Lacunza wies darauf hin, dass die zusätzliche Verschuldung der letzten Jahre ziemlich genau dem Defizit der Staatsfinanzen entspreche. Er vermisste zu sagen, ob die Auslandsverschuldung unter dem Betrag der Staatsinvestitionen liegt, wie wir es annehmen. Es wäre bestimmt gut, wenn hier die Regel eingeführt würde, die in Deutschland gilt, dass das Defizit den Betrag der Staatsinvestitionen nicht übersteigen darf. Wenn es in Zukunft keine Auslandsfinanzierung für das Defizit gibt, dann muss dieses stark verringert werden, was u.a. niedrige Staatsinvestitionen in Infrastruktur mit sich bringt, die für das Wachstum jedoch notwendig sind. Beiläufig sei daran erinnert, dass in der staatlichen Buchhaltung, Investitionen zu den Ausgaben hinzugerechnet werden, während in der privaten nur die Amortisationen hinzugefügt werden.
Lacunza sagte beiläufig auch, dass mit dem Kredit des IWF Staatsschulden getilgt worden seien. Was bedeutet, dass es ohne diesen Megakredit zu einem Default gekommen wäre. Und auch, dass der Kredit keine Kapitalflucht finanziert hat, wie es die Opposition behauptet, sondern nur einen Rückzug von Krediten.
Eine geregelte Lösung der Staatsschuld, wie sie Alberto Fernández in Aussicht stellt, bedeutet zunächst nicht, dass Argentinien neue Kredite erhält, ausgenommen derjenigen internationaler Finanzanstalten und eventuell auch von chinesischen u.a. Banken. Doch die Privatwirtschaft würde dann sehr wahrscheinlich wieder Kredite erhalten, vor allem für Finanzierung von Kapitalgüterlieferungen. Und das wirkt auch günstig auf die Zahlungsbilanz und trägt dazu bei, dass die Defaultgefahr verschwindet oder auf alle Fälle als sehr niedrig eingeschätzt wird. Eventuell kann dann auch das PPP-System der öffentlich-privaten Zusammenarbeit bei Infrastrukturinvestitionen wieder aufgenommen werden, das jetzt gescheitert ist, weil es keine Kredite ausländischer Banken gab.
Die Beruhigung des Finanzmarktes wäre eine erste Voraussetzung für Wachstum. Aber dies reicht nicht aus. Als zweites muss die Inflation gesenkt werden, und hier ist ein integrales Konzept notwendig, das A. Fernández angedeutet hat, nämlich dass die Inflationsbekämpfung nicht allein auf der Geldpolitik beruht, sondern auch einer Einkommenspolitik bedarf, was im Klartext in erster Linie eine Beschränkung der Lohnerhöhungen bedeutet. Wie weit es Fernández und seinen Wirtschaftlern klar ist, dass es dabei zunächst nicht möglich ist, den Reallohnverlust der letzten Jahre aufzuholen, sei dahingestellt.
Das Wachstum bedarf in einer ersten Phase kaum neuer Investitionen, weil es sich darum handelt, brachliegende Kapazitäten auszunutzen. Das erfordert nur zusätzliches Arbeitskapital. Das erlaubt eine BIP-Zunahme von gut 10% in etwa zwei Jahren. Und danach muss man davon ausgehen, dass Argentinien mit einer geringen Investitionsrate, also unter 15% des BIP, auskommen muss. Denn für einen höheren Koeffizient wären Auslandskredite und -investitionen notwendig,
Wachstum erfordert an erster Stelle Verfügbarkeit über Finanzierung von Arbeitskapital zu normalen Bedingungen. Der akute Mangel an Arbeitskapital (Umlaufsvermögen) stellt gegenwärtig einen Engpass dar, der das Wachstum behindert. Mit den bestehenden Zinsen für normale Bankkredite kann es kein Wachstum geben. Aber mit einer von oben angeordneten Senkung der Zinsen ist das Problem nicht gelöst, weil sich dann die Sparer zurückziehen und Dollar kaufen und halten, oder das Geld ins Ausland überweisen. Es muss eben erreicht werden, dass die Dollar, die die lokale Bevölkerung in hohem Ausmaß zu Hause oder in Bankfächern hält, (laut Federal Reserve der USA sind es über u$s 50 Mrd.) bei lokalen Banken deponiert werden, was mit angemessenen Zinsen und eventuell auch einer Weißwaschung nur für diesen Zweck erreicht werden kann. Auf dieser Basis können dann Dollarkredite zu normalen Zinsen in ausreichendem Umfang für die Finanzierung des Arbeitskapitals gewährt werden. Das ist die einzig mögliche Lösung des Problems. Die Bestimmung, dass die Banken Dollarkredite nur für Außenhandelsgeschäfte erteilen dürfen, muss aufgehoben werden. Die Finanzierung von Arbeitskapital mit Dollarkrediten erfordert auch eine bewusste Wechselkurspolitik, bei der der Kurs real einigermaßen hoch gehalten wird, aber Schwankungen begrenzt werden. Es muss eine echte Kursverwaltung geben, ein Thema, das auch mit der Regelung der Staatsschuld und der Inflation zusammenhängt.
Das Wachstum der Wirtschaft beruht allgemein etwa zu gleichen Hälften auf materiellen und immateriellen Faktoren. Also Kapitalinvestitionen und Einsatz von mehr Arbeitskräften und natürlichen Ressourcen auf der einen Seite, und Effizienz, Technologie, Ausbildung, und strukturelle Änderungen auf der anderen. Der Einsatz von nicht materiellen Faktoren kann gewiss gefördert werden, umso mehr, als Argentinien über viele intelligente Menschen verfügt, die Gebiete wie Informatik und andere fortgeschrittene Technologien beherrschen. Doch all das wirkt nur, wenn vorher das strukturelle Problem des akuten Mangels an Arbeitskapital gelöst wird.
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