Von Juan E. Alemann
Obwohl die Zahlen über Industrieproduktion, Kapazitätsauslastung, Umsätze des Einzelhandels u.a. im Vergleich zur gleichen Vorjahresperiode im April und Mai immer noch hohe Rückgänge verzeichnen, treten zunehmend Besserungen gegenüber dem Vormonat auf, die gelegentlich sogar ausgeprägt sind. Und wenn man die Konjunktur regional betrachtet, so bemerkt man eine viel bessere Lage in der sogenannten “feuchten Pampa”, die den allergrößten Teil der Produktion von Getreide und Ölsaat und auch der Rinderzucht konzentriert, und ebenfalls in Neuquén, wo sich der phänomenale Fortschritt bei der Ausbeutung von Erdöl und Gas im Gebiet von Vaca Muerta zunehmend bemerkbar macht. Das überträgt sich mit Verspätung auf den Rest des Landes.
All dies wirkt sich progressiv auf andere Bereiche aus, an erster Stelle auf den Lastwagenverkehr, der auch im interannuellen Vergleich stark gestiegen ist. Das zweite Halbjahr 2019 steht zweifellos im Zeichen einer zunehmend aufstrebenden Konjunktur, was beiläufig auch die Wahlaussichten für die Regierung verbessert. Und dies wirkt sich wiederum positiv auf die unmittelbare Konjunktur aus, weil viele Unternehmen schon jetzt in diesem Sinn planen.
Die Konjunktur wird stark von der Politik beeinflusst. Ebenso wie die Aussicht, dass Cristina im Dezember 2019 als Präsidentin zurückkehren könnte, ab Mitte 2018 zur Vertiefung der Rezession beigetragen hat, ist es jetzt, mit viel besseren Aussichten für Macri, genau umgekehrt. Dabei haben auch zwei besondere Umstände mitgewirkt: einmal, dass der Präsidentschaftskandidat des Kirchnerismus jetzt Alberto Fernández und nicht Cristina ist, und dann die Aufnahme des traditionellen Peronisten Miguel Angel Pichetto als Vizepräsidentschaftskandidat von Macri. Alberto Fernández ist ganz anders als Cristina. Er ist vernünftiger, pragmatischer, pflegt den Dialog und versteht die argentinische Wirtschaft und ihre Beziehung zur Weltwirtschaft viel besser, als Cristina, die grundsätzlich ein ideologisches Konzept hat, das sie in ihrem Jugend aufgenommen hat, als sie mit den Montonero-Terroristen mitmachte und den ganzen Unfug, den linkslastige Studenten verzapfen, Ernst genommen hat. Außerdem ist sie rein persönlich sehr eigenwillig und lässt sich nicht beraten, weil sie meint, alles besser zu wissen. Alberto Fernández hingegen entspricht dem Typ eines traditionellen Politikers, für den Dialog und Kompromisse die Regel darstellen, und der seine eigene Meinung zunächst in den Hintergrund stellt. Faktisch ist die Macht des Präsidenten sehr groß, und die Beeinflussung durch Cristina ist sehr begrenzt. Cristina ist nicht Perón, und A. Fernández ist nicht Cámpora. Wobei Cámpora auch tat, was er wollte, und vieles missfiel Perón. Perón konnte Cámpora ohne weiteres rausschmeißen, aber Crstina kann so etwas bei A. Fernández nicht vollziehen. Wie es hierzulande heißt: Den Federhalter hat er.
Die Nominierung von Pichetto hat wie eine Bombe eingeschlagen und die Haltung der internationalen Finanzwelt sofort geändert, zu der Pichetto persönlich gute Beziehungen hat. Er hat bei Besuchen in New York stets persönlichen Kontakt mit prominenten Mitgliedern des finanziellen Establishments unterhalten. Abgesehen davon ist Pichetto ein Pragmatiker, der ideologisch viel näher zu Menem steht (mit dem er persönlich befreundet ist), als zu den Kirchners (die keine persönlichen Freunde haben). Außerdem kommt er aus Río Negro (Er vertritt diese Provinz als Senator), und ist sich dabei im Klaren, dass der Aufschwung in Vaca Muerta nicht abgebrochen werden darf. Pichetto spricht viele traditionelle Peronisten an, und wird Macri bestimmt Stimmen bringen, die ohne ihn eventuell woanders gelandet wären. Abgesehen von den Wahlen ist es auch wichtig, dass mit der Mitwirkung von Pichetto an der Regierungskoalition auch eine neue Fraktion im Parlament entsteht, von Peronisten, die geneigt sind, mit der Regierung zusammen zu arbeiten. Schließlich stammen die meisten aus Provinzen, deren Schicksal wirtschaftlich an das der Nation gebunden ist. Die Loyalität zu Cristina hat bei einer Wahlniederlage keinen Sinn mehr. Mit Pichetto können Gesetze verabschiedet werden, die die Regierung bisher nicht durchsetzen konnte. Er trägt entscheidend zur Regierungsfähigkeit (auf spanisch “gobernabilidad”) bei.
Abgesehen von der neuen politischen Konstellation, die für Macri und auch für Argentinien als Land günstig ist, kommen noch besondere Umstände hinzu, die den Konjunkturaufschwung stützen. Halten wir fest:
Die Rekordernte von Getreide und Ölsaat, von bis zu 140 Mio. Tonnen, um die 30 Mio. mehr als im Vorjahr, schafft Einkommen, das in Nachfrage nach allerlei Dienstleistungen (an erster Stelle Frachtendienste der Lastwagen und Eisenbahnen) und Sachgütern zum Ausdruck kommt, und dabei eine Kettenwirkung hat. Hinzu kommt jetzt, dass der Preis für Mais und Sojabohne auf dem Weltmarkt gestiegen ist. Die Ernte von Weizen und Gerste ist schon verkauft und zum großen Teil auch verschifft worden, bei der von Mais, Sojabohne, Sonnenblume u.a. Arten ist über die Hälfte geerntet und viel schon verkauft worden. Das trägt auch dazu bei, dass die Handelsbilanz einen Überschuss aufweist, was beruhigend auf den Devisenmarkt wirkt.
Bei der Landwirtschaft wirkt auch die gestiegene Rindfleischproduktion. Einmal hat in den letzten Jahren eine Aufstockung des Bestandes stattgefunden, und dann gab es auch Fortschritte bei der Mästung, u.a. weil das Klima für die Weiden günstig war. Der Rindfleischexport nimmt dieses Jahr zu, wobei das Auftreten von China als Käufer eine besondere Bedeutung hat, nicht nur wegen der hohen gekauften Menge, sondern weil China besonders die billigeren Schnitte bezieht, die sonst schwer abzusetzen sind. Beiläufig hat dies zu einem geringeren internen Konsum geführt, was wiederum in einer erhöhten Nachfrage (und Produktion) von Schweinefleisch und Geflügel zum Ausdruck kommt.
Die Unternehmen der Industrie und des Handels haben die hohen Lagerbestände, die sie als Folge des Konjunktureinbruchs von Mitte 2018 hatten, abgebaut, was jetzt erlaubt, normal zu produzieren. Ebenfalls wurden dabei allerlei strukturelle Änderungen vorgenommen, die im Endeffekt die Kosten senken und auch das Finanzierungsproblem entschärfen.
Die Wiedereinführung von niedrigen Zinsen bei Verkäufen von dauerhaften Konsumgütern in 12, bzw. 18 monatlichen Raten, hat den Konsum stark angespornt. Im gleichen Sinn hat sich die Subvention für Automobile ausgewirkt. Hinzu kommt noch die Wirkung der eingefrorenen Preise, die für eine Reihe von Produkten des täglichen Konsums mit Fabrikanten und Verkäufern vereinbart wurden.
Der hohe Betrag, den die ANSeS für subventionierte Kredite an Rentner eingesetzt hat, hat auch zusätzliche Nachfrage geschaffen. Die Rentner haben die Mittel besonders für Wohnungsreparaturen und -verbesserungen eingesetzt, was sofort zu einer stark erhöhten Nachfrage von Baumaterialien geführt hat.
Allgemein wirkt der stabile Dollarkurs, der mit geringen Schwankungen seit zwei Monaten besteht, positiv auf die Konjunktur. Der Kurs ist dabei gegenüber der internen Inflation zurückgeblieben, was langfristig bedenklich ist, aber kurzfristig erfahrungsgemäß die Konjunktur antreibt.
Schließlich kommen die Lohnerhöhungen hinzu, die nach und nach effektiv eintreten. Da gleichzeitig die Entlassungen, auch die zeitlich befristeten Arbeitsausfälle, nur noch ausnahmsweise weitergehen, und in vielen Fällen mehr Arbeiter eingestellt werden, nimmt die Gesamtnachfrage zu.
Hinzu kommen noch vereinzelte Faktoren, wie der Aufschwung beim Bergbau, besonders beim Lithium, der jetzt zugelassene Zitronenexport nach den USA, vereinzelte Exporte, die dank höherem real Wechselkurs eingefädelt wurden, der stark zunehmende Export von Informatik-Software, und Effizienzfortschritte auf breiter Ebene.
Je mehr all dies verbreitet wird, umso mehr wird die Konjunktur durch eine bessere Stimmung und ein entsprechendes Verhalten angespornt. Auch hier entsteht eine selbsterfüllte Prophezeiung, zu der auch die Regierung und die Großunternehmer beitragen können, wenn sie all dies verbreiten.
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