Von Juan E. Alemann
Die Frage, wie hoch die Zinsen in Argentinien sind, lässt sich nicht kurz beantworten. Denn es gibt so viele Zinsen, die so stark unterschiedlich sind, das man nicht von einem normalen Zinsniveau reden kann, wie in den fortgeschrittenen Staaten und den meisten anderen. In den Vereinigten Staaten gibt es es einen Zinssatz, der Sparern bei Depositen gezahlt wird, und dann einen Zinssatz, der bei Unternehmenskrediten gilt, der von Fall zu Fall kleine Unterschiede aufweist. Und dann besteht ein höherer Satz bei Konsumkrediten. Wenn man dort von Zinsen spricht, weiß man, wovon man redet. In Argentinien hingegen, tastet man im Dunkeln..
Per Ende Januar 2020 lagen die aktiven Zinsen bei der Banco Nación zwischen 67,43% und 86%, und im Extremfall (bei Übertretung der Kreditfrist) bei 94%. Der Passivsatz liegt bei staatlichen Banken bei Depositen von über einer Million Pesos (der sogenannte Badlar-Satz) bei 33,25% und bei Privatbanken bei 34,31%.
Bei vordatierten Schecks, die an der Börse gehandelt werden, liegt der Zinssatz jetzt um die 30%, wobei es hier keine Marge zwischen Aktiv- und Passivzinsen gibt, sondern nur die Gebühr des Maklers und der Börse abgezogen wird. Für Kreditnehmer ist dieser Scheckdiskont viel günstiger als ein Bankkredit, Dennoch benutzen nur wenige Unternehmen diese Möglichkeit. Kleine und mittlere Unternehmen (Pymes) diskontieren dabei meistens Schecks, die sie von größeren Unternehmen erhalten. Wenn es eigene sind, dann wird eine Garantie einer Gesellschaft für Risikoversicherung (SGR, Sociedad de Garantía Recíproca) gefordert. Das Geheimnis des im Vergleich zu den Banken niedrigen Aktivzinsen beruht darin, dass die Banken eine hohe Marge zwischen Aktiv- und Passivzins haben, die einmal auf der Mindestreserve beruht, die die ZB bei Depositen fordert, und dann auf den hohen Verwaltungskosten. Die Börse verleiht an erster Stelle eigene Mittel. Um mehr Geld von Sparern anzuziehen, müsste sie höhere Zinsen zahlen und den Sparer den Zugang zu dieser Anlageform erleichtern.
In Brasilien werden Wechsel diskontiert, wobei das brasilianische System in den 90er Jahren auch in Argentinien eingeführt wurde. Aber es hat hier nicht funktioniert. Erst als der vordatierte Scheck eingeführt wurde (der vorher verboten war), der dem Scheck auch den Charakter eines Wechsels verleiht, wurde das entsprechende Kreditsystem geschaffen.
Zurück zu den Banken. Die ZB hat mehrmals verfügt, dass die Banken Kredite an bestimmte Unternehmen, oder für bestimmte Zwecke, besonders für Finanzierung von dauerhaften Konsumgütern, zu niedrigeren Zinsen gewähren müssen, die gelegentlich sogar unter den Passivzinsen liegen. Unlängst wurde auch bestimmt, dass die Banken Kredite in Höhe von bis zu $ 5 Mio. zu 28% auf 12 Monate erteilen müssen. Außerdem müssen sie eine Kreditlinie für Scheckdiskont haben, zu 25% und auf bis zu 90 Tagen. Am Donnerstag der Vorwoche wurde dann noch hinzugefügt, dass die Banken beschlossen haben, angeblich auf Antrag der ZB, insgesamt Konsumkredite auf 48 bis 60 Monate für $ 4 Mrd, zu 45% zu vergeben. Bisher lagen die Zinsen hier bei 60%.
Die ZB versucht die Verringerung der Zinsen, die die Banken von ihren Kunden fordern, durch Senkung des Referenzsatzes, dem Zinssatz für Leliq-Schatzscheine, zu erreichen. Das gelingt jedoch nur zum Teil. Die Leliq werden auf die Zwangsreserven angerechnet, was den Banken Mitteln überträgt, mit denen die sie die Programme mit niedrigeren Zinsen zumindest zum Teil finanzieren. Doch das macht die Zinsrechnung der Banken noch undurchsichtiger als sie sonst schon ist.
Bei Krediten, die über Kreditkarten gewährt werden, reichen die Zinsen bis zu 230% jährlich. Dieser Satz ergibt sich bei Berechnung von Zinseszinsen, wobei davon ausgegangen wird, dass die Zinsen monatlich zum Kapital hinzugezählt werden. Die meisten Kreditnehmer sind sich nicht bewusst, dass sie so hohe Zinsen zahlen. Bei den Banken erklärt dies, warum sie die Verwendung von Kreditkarten fördern, statt die Kunden zu warnen, sich mit Käufen über Kreditkarten zu verschulden. Das sollte das Handelssekretariat, besonders die Abteilung für Konsumentenschutz tun, tut es jedoch auch nicht. Bei diesen hohen Zinsen geraten viele Personen, die leichtfertig mit Kreditkarten kaufen, in eine schwierige finanzielle Lage, die sie nicht überwinden können. Hier entstehen massenweise persönliche Tragödien, die auch die Regierung ignoriert. Auch diese, die ihre soziale Seite stets betont.
Die Verschleierung hoher Zinsen ist ein typisches Manöver der Wucherer. Besonders beliebt ist das System des “direkten Zinses”, bei dem ein bestimmter Zinssatz auf ein Jahr (oder mehr) berechnet wird, aber der Kredit in monatlichen Raten amortisiert wird, so dass der effektive Zinnsatz doppelt so hoch ist wie der angegebene. Die meisten Menschen bemerken dieses grobe Manöver nicht.
Außer dem Bankkredit und dem Kredit über Scheckdiskont an der Börse besteht noch ein sehr ausgedehnter Bereich von Wucherkrediten, die von Finanzunternehmen gewährt werden, die nicht bei der ZB eingetragen sind, weil sie angeblich nur ihr eigenes Kapital ausleihen und somit keine Ersparnisse von Sparern aufnehmen, um deren Schutz es der ZB geht. Die Zinsen liegen hier gegenwärtig über 100%, und gelegentlich auch über 150%. Meistens wird der Zinssatz direkt vom Betrag abgezogen, der geliehen wird, was in der Regel über vordatierte Schecks erfolgt.
Der Bereich der Wucherkredite ist sehr ausgedehnt, und dürfte gesamthaft den gesamten Bankkredit übertreffen. Das ist jedoch nur eine Schätzung, da es keine konkreten Daten gibt. Die meisten Wucherkredite werden schwarz vergeben, was dem Kreditnehmer ein zusätzliches Problem bereitet. Nachdem der Bankkredit in den letzten Jahrzehnten, und ganz besonders in den letzten 12 Monaten, real stark geschrumpft ist, muss die Nachfrage nach Wucherkrediten stark gestiegen sein.
Beim argentinischen Kreditsystem besteht grundsätzlich ein Rennen zwischen der Inflation und dem Zinssatz. Wer im letzten Jahr unter 53,4% gezahlt hat, hat real am Kredit verdient. Doch wer 80% und mehr gezahlt hat, hat auch real einen phänomenalen Zinssatz gezahlt. Das System, so wie es ist, führt dazu, dass die Unternehmer an der Beibehaltung einer hohen Inflation interessiert sind, weil sie dabei verdienen oder zumindest weniger verlieren. Das ist ungesund.
Die Regierung versucht eine Lösung über indexierte Depositen und Kredite. Das wurde unter der Macri-Regierung eingeführt und wird jetzt fortgesetzt. In Brasilien und Chile funktioniert das indexierte Kreditsystem seit vielen Jahren sehr gut. Das führt auch dazu, dass die Ersparnisse im Land angelegt werden und nicht in den Dollar fliehen. Doch in Argentinien ist diese Indexierung unpopulär und hat schon ein Riesenproblem bei Hypothekarkrediten geschaffen. Bei indexierten Krediten müssen die Zinsen sehr niedrig sein, und das war in Argentinien nicht der Fall, eben weil die Banken zu hohe Kosten haben.
Grundsätzlich spart die lokale Bevölkerung in Dollar, und somit müssten die Kredite auch in Dollar gewährt werden. Beiläufig sei bemerkt, dass für den Kreditnehmer ein Dollarkredit günstiger als ein indexierter Kredit ist, weil sich der Dollar auch entwertet, mindestens 2% pro Jahr und wahrscheinlich etwas mehr. Und außerdem sind die Zinsen bei Dollarkrediten niedriger als bei indexierten. Die Banken zahlen auf Dollardepositen 1,75% jährlich. Da bei diesen Depositen die Mindestreserven nur 20% betragen, könnten sie wohl zu 4% leihen, was günstiger als andere Kredite ist.
Der Wirtschaftsminister und die ZB-Führung sind sich bestimmt bewusst, dass das argentinische Kreditsystem, mit den vielfältigen und teilweise absurd hohen Pesozinsen, und der Willkür bei der Schaffung von Präferenzkrediten, unhaltbar und mit einem normalen Wirtschaftsablauf unvereinbar ist. Aber sie wissen offensichtlich nicht, wie sie das Problem lösen können. Sie improvisieren am laufenden Band, mit einzelnen Kreditverringerungen und der frommen Hoffnung, dass die Zinsen im Zuge der Abnahme der Inflation entsprechend sinken.
Die einzig realistische Lösung ist ein formeller kompletter Übergang auf ein bimonetäres System, bei dem der Peso für laufende Zahlungen eingesetzt wird und der Dollar für Kapitaltransaktionen, also bei Spardepositen und Krediten. Das erfordert an erster Stelle die Aufhebung der Norm aus dem Jahr 2002, dass Dollarkredite nur für Finanzierung von Geschäften gewährt werden dürfen, die mit dem Außenhandel zusammenhängen. Und es wäre auch gut, zu bestimmen, dass bei plötzlichen Abwertungen von Bedeutung, eine automatische Streckung der Amortisationen von Dollarkrediten verfügt wird. Im Grunde erfordert das bimonetäre System, das faktisch schon teilweise besteht, aber von den lokalen Wirtschaftlern noch immer nicht verstanden wird, einen verwalteten Wechselkurs, und, wenn man einen Schritt weiter geht, auch eine klare Zahlungsbilanzpolitik, bei der Defizite vermieden werden. Ist es so schwer, dies zu verstehen?
Kommentare