Wasserschweine besetzen Nobelviertel
Buenos Aires (AT/wvg) – Die Anwohner des Nordeltas (Gemeinde Tigre, Provinz Buenos Aires) erlebten in den vergangenen Wochen vermehrt tierische Überraschungen: Nachdem sich zuletzt mehrere hundert Wasserschweine („Carpinchos“, auch Capybara genannt) in den geschlossenen Wohnanlagen angesiedelt hatten, kam es über die letzten Tage zunehmend zu Zusammenstößen zwischen Anwohnern und den großen Nagetieren. Eines der Tiere soll einen Hund verletzt haben, ein anderes gilt als Verursacher eines nächtlichen Motorradunfalls. Zudem beklagten die Anwohner verwüstete Vorgärten und unerwünschte Badegäste in ihren privaten Schwimmbecken.
Zwischen den Carpinchos und den Bewohnern des Nordeltas kam es in der Vergangenheit wiederholt zu Konflikten. Da die Tiere in der Gegend nördlich von Buenos Aires heute kaum noch natürliche Feinde haben, vermehrten sie sich in den letzten Jahren stark. Laut Medienberichten gehen Experten davon aus, dass die Population von derzeit einigen hundert Tieren in kurzer Zeit in den Bereich mehrerer Tausend wachsen könnte. Bevor die privaten Wohnanlagen Ende der 90er Jahre in die Sumpfgebiete des Paraná-Flusses gebaut wurden, sorgten dort unter anderem Jaguare und Anakondas für eine natürliche Regulation des Bestandes.
Mit ihrem „Einfall“ ins Nobelviertel wurden die Nager aus der Familie der Meerschweinchen auch zum Gegenstand der politischen Debatte. In den sozialen Netzwerken sorgte die „Invasion“ der Carpinchos für eine Flut an sogenannten „Memes“. Der Begriff bezeichnet im Slang der Internetnutzer zumeist mit Text versehene „Bildwitze“. Diese thematisierten teils hämisch Empörung und Hilflosigkeit der wohlhabenden Anwohner angesichts der tierischen Übernahme ihrer Wohnanlagen. Viele Internetnutzer drückten darüber hinaus ihre liebevolle Verbundenheit zu den Carpinchos aus. Während Anwohner und Verwaltung nach einer Lösung des Konflikts suchen, wurden die Vorfälle insbesondere von linker Seite als „Quittung“ der Natur für den Bau der Luxussiedlung interpretiert.
Das nördlich von Buenos Aires gelegene Nordelta zählt zu den exklusivsten Wohngebieten Argentiniens. Die von Seen und Kanälen durchzogenen Anlagen stießen in der Vergangenheit immer wieder auf Kritik, da sie mitten in die Feuchtgebiete des Paraná-Flusses gebaut wurden. Umweltschützer sehen in der Bauweise des Nordelta und der damit verbundenen Bodenversieglung zudem die Ursache für Überschwemmungen in angrenzenden Gebieten.
Im Hinblick auf soziale Ungleichheiten im Land wird das Viertel kontrovers diskutiert: Viele Argentinier sehen im Nordelta eine eingezäunte Parallelwelt der „Reichen und Schönen“, fernab der Lebensrealität vieler Menschen im Land.
Der Konflikt fällt zudem mitten in die argentinische Umweltdebatte. Am vergangenen Mittwoch versammelten sich in Buenos Aires hunderte Demonstranten vor dem Kongressgebäude, um für ein neues „ley de humedales“ (dt. etwa: Gesetz für Feuchtbiotope) zu werben. Sie kritisierten die vielfache Trockenlegung von Sumpfgebieten durch Bau- und Agrarindustrie, welche dort Ackerflächen oder meist hochpreisige Wohnanlagen schaffen wollen.
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